Man munkelt. Bei Facebooks Börsengang soll sie also erreicht werden, diese surreale Zahl von 100 Milliarden Dollar bei einem Initial Public Offering (IPO). Sie müssen das tun. Sie haben keine Wahl. Denn viele Investoren haben Abermillionen in das Unternehmen gepumpt, damit heute die andere Traumzahl weltweit bekannt ist: 800 Millionen registrierte Nutzer. Das Handelsblatt ist skeptisch – aus Erfahrung. Denn auch Yahoo war beim Börsengang mit 150 Dollar je Aktie bewertet worden. Heute kostet sie 15 Dollar. Google hatte seinerzeit übrigens 25 Milliarden erlöst. Aus heutiger Sicht war der frühe Einstieg ein gutes Investment. Aber Facebook…?
Wenn die Firma von Mark Zuckerberg im Frühsommer 2012 an die Börse geht, dann haben sie solide Zahlen im Gepäck, und zwar einen Jahresumsatz von 2 Milliarden Dollar. Das ist fast ein Viertel dessen, was Google in einem Quartal umsetzt. Zwei Milliarden sind kein Pappenstiel, aber angesichts der riesigen Summe, die sie von den potentiellen Aktienkäufern haben möchten, müssten sie ein gute Story haben. Die Story ist allerdings eine einzige Person, der umstrittene Gründer Zuckerberg. Er ist keine Lichtgestalt wie Steve Jobs oder ein Arbeitstier wie Jeff Bezos von Amazon. Er erzählt gerne mal einen über den Durst, den Datendurst. Früher hat er seinen Nutzer erzählt, sein Unternehmen würde den Werbetreibenden, also seinen Kunden, keinen persönlichen Daten der Nutzer übermitteln. Die zahlreichen Apps von Drittanbieter hatten dann aber doch umfassenden Zugriff auf allerlei Persönliches. Überhaupt der Datenschutz. Zuckerberg war sozusagen der Oheim des Begriffs Post-Privacy, als er zu Beginn des Jahres 2010 das Zeitalter der Privatsphäre für beendet erklärte. Der Techcrunch-Gründer Michael Arrington hatte den Facebook-Gründer darauf angesprochen, dass alle persönlichen Daten wie Geschlecht, Profilfoto, aktueller Wohnort und Freundeslisten per default öffentlich einsehbar waren. Facebook ruderte in der Folge zurück und überarbeitete die Einstellungen für den Datenschutz mehrfach. Zuckerberg begründete das neue Zeitalter damit, dass ja im Rahmen des Bloggens sowieso jeder alles in die Welt hinausposaunt. Und dass das Teilen von Informationen mit allen praktisch zu einer neuen sozialen Normen geworden sei.
Nun hat die amerikanische Handelsaufsicht FTC einen Riegel vor diese neue Ära geschoben und Facebook muss sich 20 Jahre lang auf die Finger schauen lassen, wenn es um aktuelle Funktionen und ihren Datenschutz geht. Leider kann Facebook jedoch neue Funktionen nach Gutdünken gestalten. Allerdings muss man sich nun bei Änderungen vom Nutzer die ausdrückliche Zustimmung einholen, was dann wahrscheinlich mit einem einfachen Klicken beim nächsten Einloggen getan ist, damit man schnell die neuesten Statusupdates durchlesen kann. Die Diskussion um das Schleswig-Holsteinischen Datenschutzzentrum ULD hat sicher weniger Übersicht für die Nutzer verschafft als echte Verwirrung zu stiften angesichts von den Bußgelder im fünfstelligen Bereich. Und in der Bewertung von IP-Adressen und Zuständigkeiten verheddern sich noch heute die Exekutive und Legislative bei den Sozialen Netzwerken.
Aber diverse Rebellionen und Aufstände haben die Plattform als Verabredungs- und Verteilungs-Plattform benutzt. An dieser Stelle besitzt Facebook auch das größte Potential. Deshalb führt man nun auch das automatisierte Verteilen aller Lesevorgänge der Nutzer ein. Das Frictionless Sharing soll in der letzte Ausbaustufe jeden Freund darüber in Kenntnis setzen wenn jemand aus der eigenen Freundesliste irgendeinen Artikel irgendwo im Netz liest oder kommentiert. Man will nicht mehr einfach Nutzer an Werbetreibende verkaufen, man will auch Plattform für Content Marketing werden. Mit Facebooks Timline, also dem Abbilden aller digitalen Aktivitäten via Open Graph auf Facebook (plus Newsstream und den Ticker) kann man dann deutlich mehr als nur liken. Denn die Aktionen, die die Nutzer mit digitalen Objekten durchführen können werden, sind ja nun offen definierbar. Schade, dass die FTC auf diese neuen Funktionen wahrscheinlich keinen großen Einfluss mehr nehmen darf. Auch Drittanbieter werden auf diese Weise via Facebook zunehmend mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben. Dafür opferte Mark Zuckerberg sogar die eigene HTML-Variante namens FBML. Welches Opfer die Nutzer bringen werden in der geschlossenen Welt des Open Graph, wird sich noch zeigen. Die User von Spotifiy und Netflix sind die ersten Versuchskaninchen, die in die Fänge des neuartigen digitalen Zoos geraten. Da die Zoo-Designer nun die gewohnte Lebensumgebung der Einsitzenden täuschend echt nachahmen, wird es wohl keine großen Proteste mehr vonseiten der 800 Millionen geben, bis auf die paar professionellen Meckerer von den Behörden und Verbänden. Aber dagegen hat Zuckerberg ja auch schon eine tolle Wunderwaffe: Er diskutiert einfach zwei Stockwerke höher mit seinen Diplomaten – und zwar solange, bis die Tatsachen vollendet sind (also bis der gemeine Nutzer sich dran gewöhnt hat).
Wenn all das klappt und wenn die Medien und Drittfirmen im Netz wirklich ihre Produktionskosten für Inhalte wieder hereinholen können, dann wird Facebook so groß werden wie Google heute schon ist. Aber wo ist dann Google? Sicher nicht kleiner geworden. Oder doch? Allerdings könnten beide auch genau da sein, wo Yahoo heute schon ist, oder gar dort wo MySpace sich gerade befindet – wenn es sich überhaupt noch befindet: Im Zustand der Auflösung. Dann wären 100 Milliarden verpufft. Aber das tun sie sowieso. Inflation. Schwund ist immer. Dann doch lieber ein 50:50 Chance, dass die Aktie durch die Decke geht für 10 Monate. So geht das eben im Finanzcasino. Neulich glaubte auch noch der eine oder andere, dass Aktien von Photovoltaik- oder Windkraftanlagen-Herstellern sichere Geldanlagen seien. Das glaubt heute auch keiner mehr.
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Schlagwörter: Börsengang, facebook, IPO