Käpt’n Nuss und die Piraten

Damals in der guten alten Zeit, also in den 70er, die die Jüngeren unter uns als die stylishe Zeit in Sachen Design auserkoren haben, damals also, da gab es Käpt’n Nuss. Das war sechs Trillionen mal leckerer als Nutella. Aber das ist weg. Ausgemustert. Wahrscheinlich bis unter’s Dach voll mit Geschmacksverstärkern. Und deswegen habe ich neuerdings Sympathie für die Piraten: Es wird mit denen genauso kommen wie mit Käpt’n Nuss. Weil die anderen Nutella sind.

Seit die Musik- und Verlagswelt mit ihrer IG Content gegen die Piraten schießt, finde ich die bedauernswert. Sie bekommen den Underdog-Bonus. Der ist gut für eine Emotionalisierung. Mit dieser Kampagne schießen sich die etablierten Parteien und Lobbyverbände ins eigene Weichteil. Manche von den Piraten sind wirklich sehr eloquent und viele haben hehre Absichten und setzen sich für wichtige Belange ein. Aber für mich ist es ein Unding, dass System der Parteiendemokratie weiterhin zu unterstützen. Deshalb ist die Piratenpartei für mich so etwas wie biologisch-dynamische Prostitution. Ein Wolpertinger. Etwas, das nicht aufgeht. Ein Paradoxon im Gewand eines Analogieschlusses. Man kann nicht die Vereinsmeierei der Parteien überwinden, indem man eine Partei gründet…

Aber genau die Leute bekommen Angst, die eigentlich seit Jahrzehnten nur noch mit der Hand am Geländer der Geschichte durch die Kultur der Demokratie stolpern. Es sind die Menschen, die in Parteien organisiert sind, um dem Individuum zu mehr Freiheit oder Wohlstand zu verhelfen. Man könnte lapidar behaupten, gut gemeint ist nicht gut gemacht. Doch damit verbirgt man seinen Blick vor dem Bösen. Und das Böse lebt in der Gewohnheit. Es ist das Tier, das jeden Morgen den Wecker zum Klingeln bringt und „Aufstehen, Demokratie machen!“ kreischt.

Nur leider kann man Demokratie nicht wesentlich mit Disziplin erreichen. Es fehlt das Entscheidende: die Herrschaft. Ein Herr ist jemand, der Anerkennung an seinen Knecht verteilt, damit dieser niedere Arbeiten leistet. Der Knecht kann seinerseits die Gefolgschaft kündigen und abhauen – genießt dann aber keine Anerkennung mehr. Wenn ein Volk herrscht, kann es das nur mit Anerkennung. Parteien erhalten aber keine Anerkennung. Also glauben sie, dass sie der Herrscher sind. Und damit beginnt der grundlegende Denkfehler der Parteiendemokratie. Damit enden die etablierten Parteien…

Und nun also werden in Sachen Piraten die untersten Schubladen aufgezogen und die letzten Klischees bedient von ehemaligen Journalisten, die eigentlich keine Tinte mehr auf dem Füller haben. Politiker lassen Argumente gegen die Piraten (und Parteien allgemein), die es zuhauf gibt, zu einem Klamauk verkommen.

Der Kern der Problematik ist ja nicht, dass es mit der Schill-Partei oder Pro-NRW nichts zu diskutieren gegeben hätte in Sachen Programmatik. Man verbeißt sich im Angstgegener und macht ihn damit stärker. Gut für die Piraten? Vielleicht?

Es liegt – wie immer – an der Personalisierung. Daran scheitern neben den Talkshowgästen und Leitartiklern aktuell auch Google. Was sonst soll Google+ denn sein als der Versuch eine Art semantisches Textverständnis mit riesigen Lernmengen zu füttern. Und auch die orange Revolution im Gewand der Piraten laufen wie die Lemminge vor den Parteien her. Diese lassen in diesem Inkubator der Partizipation neue Mittelchen ausprobieren gegen die Einfallslosigkeit der Professionalität. Wenn es sich tot gelaufen hat das Thema Partizipation und Internet, was so gegen 2016 der Fall sein dürfte, dann ist es vorbei mit Käpt’n Nuss. Und dann werden (wieder?) alle Nutella lieben, weil es eine andere Verpackung hat. Aber in den alten Parteien werden die alten Werte und die alten Ideologien stecken, die exakt das verursacht haben, was wir seit zwanzig Jahren beklagen: eine Verrohung der Sitten, eine emotionale Verarmung des Umgangs und einen Begriff von Fortschritt, der nicht mehr auf Gesellschaft und Kultur gerichtet ist sondern auf Technologie. Sie simuliert seit den 80er Jahren unsere Idee des Wachstums. Die Piraten hätten an dieser Stelle die Chance gehabt, ein neues Paradigma einzuläuten – aber es sind zumeist Menschen mit technolibertärem Hintergrund, die ihr Geld mit der Simulation verdienen, dass Technologie das Leben lebenswerter macht.

Die Grünen sind schon daran gescheitert, dass sauberes Essen nicht glücklicher macht. Die Piraten werden daran scheitern, dass digitales Mitmachen nicht sozialer ist.

  ist seit 1999 als Freier Autor und Freier Journalist tätig für nationale und internationale Zeitungen und Magazine, Online-Publikationen sowie Radio- und TV-Sender. (Redaktionsleiter Netzpiloten.de von 2009 bis 2012)


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1 comment

  1. Hallo,
    hat mich gefreut, auf Ihrer Seite die Nugatcreme meiner Kindheit wieder zu finden!
    Ich hatte sie mal in Wikipedia eingepflegt, nur fehlt leider ein Bild. Hätten Sie eines von dem Käptn Nuss-Glas, das Sie der Wikipedia zur Verfügung stellen würden?
    Einfach an meine E-Mail-Adresse senden, ich baue es dann ein…

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