Matthias Rauh: „Meiner Meinung nach gibt es keinen Kompromiss“

Der Streit um die GEMA-Reform, die zum Januar 2013 geplant ist, polarisiert seit einiger Zeit genauso stark, wie der um das Urheberrecht. Verschiedene Initiativen kritisieren die Maßlosigkeit der Verwertungsgesellschaft und deren erhöhte Gebühren, die zuweilen 1.000% höhere Abgaben von den Veranstaltern bedeuten. Einer der Initiatoren von Kultur-retten.de, Matthias Rauh, der außerdem auch die Petition „Gegen die Tarifreform 2013 – GEMA verliert Augenmaß“ einreichte, hat sich bereit erklärt uns zum Thema ein paar Fragen zu beantworten.


Ich habe heute Matthias Rauh im Interview von der Initiative Kultur-Retten.de, die als Aktionsbündnis für Veranstalter, Club-Betreiber, DJs, Event-Agenturen, Musiker, Tanzschulen, Tänzer, Verbände und Musikbegeisterte gegen die aktuell beabsichtigte Tarifreform der GEMA ins Leben gerufen wurde. Lieber Matthias, danke dass du dir heute die Zeit für uns genommen hast.

Hey Andreas, kein Problem.

Du hast als einer der Gründer von Kultur-Retten.de, auch die Petition „Gegen die Tarifreform 2013 – GEMA verliert Augenmaß“ bei OpenPetition eingereicht und kritisierst die angekündigten GEMA Tarife mit dem Argument, dass die erhöhten Abgaben für Veranstalter, u.a. eine Art Clubsterben bewirken werden. Warum sollte die GEMA ein solches Risiko eingehen und die Clubs, die die Musik der Künstler spielen, in die Insolvenz führen?

Die Frage an sich, kann ich dir leider so auch nicht beantworten. Warum die GEMA dies tut und die Gefahr eingeht, dass bei solch einer eklatanten Erhöhung der Gebühren ein „Kultursterben“ in Deutschland eintritt, weiß ich nicht. Das müsstest du die Kollegen der GEMA schon selbst fragen, aber ob du darauf eine sinnvolle und wahrheitsgemäße Antwort bekommst, kann ich nicht sagen.

Was ich dir dazu aber sagen kann ist, dass mich sehr viele Mails von Künstlern erreichen, die Mitglieder der GEMA sind und aufgrund der Erhöhung Ihre Mitgliedschaft kündigen, da Sie diese Aktion nicht für gut heißen.

Ist es nicht eher an der Zeit, dass die Künstler sich neu organisieren sollten, anstatt einfach nur auszutreten? Die GEMA als Verein besitzt hierzulande eine Monopolstellung, die gesetzlich nicht legitimiert ist. Warum nehmen sie diese Monopolstellung einfach so hin? Warum gründen sie nicht Ihre eigene Verwertungsgesellschaft?

Da sprichst du genau den richtigen Punkt an, die Monopolstellung in Deutschland. Es gibt derzeit eine in Gründung stehende Gesellschaft, die C3S. Und wie ich verlauten hörte, gab es schon früher Versuche weitere Verwertungsgesellschaften zu gründen, dies scheiterte aber dann immer wieder am Deutschen Patent- & Markenamt.

Die Künstler nehmen das Definitive nicht einfach so hin, nur leider ist es nicht leicht für sie. Gerade für „Newcomer“ ist es recht schwer sich Gehör zu verschaffen oder gerecht über die GEMA entlohnt zu werden. Selbst etwas bekanntere Künstler, die von der GEMA vertreten werden, haben jährlich eine Tantiemen-Ausschüttung weit unter Harz IV Niveau.

Umso mehr stellt sich doch die Frage, warum diese Künstler dann überhaupt einsteigen? Und der Monopolstellung somit den Rücken stärken?

Das ist eine sehr gute Frage, die man sicherlich jeden einzelnen Künstler selbst stellen müsste. Es ist nun leider so, dass es, wie angesprochen, in Deutschland nur die GEMA als Verwertungsgesellschaft gibt und somit keine Auswahl besteht, wenn sich ein Künstler vertreten lassen möchte. Ich würde auch behaupten, dass genügend Künstler hierzulande auch kein Mitglied der GEMA sind, eben weil Sie sich es in den meisten Fällen auch „sparen“ können, außer Sie haben einen großen Namen z.B. in der Schlagerszene und somit Chancen durch den ominösen Verteilerschlüssel der GEMA auch tatsächlich Tantiemen zu erhalten.

Das Verteilungssystem funktioniert also nur für erfolgreiche Künstler. Laut GEMA sollen die neuen Tarifverträge nun aber genau das ändern und eigentlich mehr Tarifgerechtigkeit sowie eine Vereinfachung des Systems herbeiführen. Denkst du dass das neu angestrebte System den kleineren Künstlern zu Gute kommen wird? Oder denkst du, dass das zusätzliche Geld im aufgeblähten Bürokratieapparat des Vereins verpufft? Das behaupten zumindest Kritiker in den Medien sehr oft.

Ich möchte mich jetzt nicht zu weit in die Seite der Künstler hineinlehnen, da ich diese Seite persönlich auch nicht kenne und nur auf Erfahrungen und Aussagen von anderen zurückgreifen kann. Im Hinblick auf die Künstlerseite, wäre Frau Bestle wohl die bessere Ansprechpartnerin gewesen, mit der ich übrigens auch sehr eng zusammenarbeite. Sie hat 2009 schon einmal eine Petition eingereicht, in der es u.a. um die Verteilungsschlüssel der GEMA und das sogenannte „PRO-Verfahren“ ging.

Ändern werden sich 2013 die „Live“-Tarife für Veranstaltungen aller Art. Was ich der GEMA eingestehen muss, ist die einzige wahre Aussage, dass sich der Tarifjungel 2013 für Veranstalter von momentan 11 auf 2 reduziert. Dies betrifft aber keine Künstler direkt, sondern die Veranstalter, Diskotheken, Clubs, Vereine und Stadtfeste.

Die Erhöhung der Gebühren 2013 um ca. 1.000% in einigen Fällen, sagt glaube ich schon alles dazu aus und ob dies gerechtfertigt ist, brauche ich nicht mehr zu erwähnen. Die GEMA selber rechtfertigt dies übrigens mit den Aussagen, dass die Club- und Kulturlandschaft in Deutschland boomen würde. Außerdem sei es eine Inflationsanpassung!

Da stelle ich mir nur die Frage, wo hat die GEMA diese Erkenntnis her, dass in Deutschland die Clublandschaft boomt? Das Gegenteil ist nämlich in den meisten Gebieten der Fall, gerade die neuen Bundesländer sind sehr vom Rückgang betroffen. Und eine „Inflationserhöhung“ um 1.000%, ist keiner Begründung wert. Niemand hätte etwas gegen eine Anpassung, wie sie ebenso die letzten Jahre stattfand, denn teurer wird nun einmal leider alles.

Wie könnte ein gerechtfertigter Kompromiss deiner Meinung nach aussehen? Und gab es bisher Versuche mit der GEMA direkt in den Kontakt zu treten, um eure Sicht der Dinge zu diskutieren?

Meiner Meinung nach, gibt es keinen Kompromiss. Die Tarifreform 2013 muss so wie sie geplant ist, erst einmal gestoppt werden. Von mir persönlich, gab es auch keine Versuche mit der GEMA direkt zu sprechen, aber u.a. von der DEHOGA und zahlreichen anderen Verbänden. Da die GEMA aber alles was anhand der Petition und Kultur-retten.de passiert, sehr wohl verfolgen wird, könnte diese genauso den Kontakt zu uns suchen. Die Sicht unserer Dinge, kennt die GEMA glaube ich schon sehr gut.

Das tun sie mit Sicherheit. Ich frage das nur, weil sich bezüglich dieser Themen rundum Verwertungen, Rechte, Legitimationen, Entlohnungen usw. gerade auch im Zuge der Urheberrechtsdebatte, mehr und mehr abzeichnet, wie wenig direkt mit einander gesprochen wird und wie man über die Medien zu oft dazu tendiert, mit Kampfansagen seinen Standpunkt durchzudrücken.

Da gebe ich dir völlig Recht, das ist genau das Problem, die Kommunikation und Koordination deutschlandweit. Und genau deswegen haben wir Kultur-retten.de als Aktionsbündnis ins Leben gerufen und das schon kurz nach Petitionsbeginn. Ich möchte nicht, das sich dieses Thema wieder verläuft, wenn jede kleine „Gruppe“ Einzelaktionen durchführt, wie das die letzten Jahre schon passierte. Dies ist ja bei weitem nicht die erste öffentliche Aufregung bezüglich der GEMA.

Wir haben schon sehr viele Verbände, Organisationen, Veranstalter, Diskotheken und Privatleute gebündelt über Kultur-retten.de und es werden täglich mehr. Des Weiteren versuchen wir bundesweit auch Informationsveranstaltungen für bestimmte Ballungsgebiete zu organisieren, um eben auch den letzten Betroffenen zu erreichen. Leider fehlen dafür momentan meistens noch die finanziellen Mittel, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch das in den Griff bekommen, dank der Unterstützung derjenigen, die erkannt haben was passieren wird.

Viele Kritiker, die nun ebenfalls verschiedene Initiativen gegründet haben, neigen bei der Debatte oftmals dazu, zunehmend emotional zu werden und wenn ich mir beispielsweise Dr. Mottes Auftritt beim GEMA-Talk vor zwei Wochen anschaue, dann wird der Diskurs oftmals sehr unprofessionell geführt. Ist das deiner Meinung nach der richtige Weg, wie man mit dem Thema umgehen sollte? Läuft man derzeit nicht Gefahr, dass die Fronten sich so stark verhärten, dass ein sachlicher Umgang mit den GEMA-Reformen unmöglich wird?

Dr. Mottes Auftritt auf dem GEMA-Talk zeigt deutlich wie sehr eine solche emotionale Entgleisung in den Fokus kommt und zugleich den Inhalt, also das Thema überstrahlt. Obgleich aus der Menge der Anwesenden viel wichtigere Fragen und auch sehr gute Anregungen kamen, haben diese nicht dieselbe Präsenz erreicht und gingen daher leider unter. Dennoch hat dieser Auftritt natürlich auch etwas positives, wenn man bedenkt, dass viele vielleicht erst wegen dieser Entgleisung auf das Thema ‚GEMA Tarifreform‘ gekommen sind.

Dennoch ist auch der sachliche Umgang nicht immer von Erfolg gekrönt, so wurde ein Gründungsmitglied von Kultur-retten.de, nach kritischen, aber stets sachlichen Beiträgen und Wahrung der Nettiquette von der GEMA in dem sogenannten GEMAdialog auf Facebook ohne Verwarnung grundlos gesperrt. Von Seiten der GEMA wurden – nach mehreren Protesten und Nachfragen anderer Benutzer – haltlose Anschuldigungen in den Raum gestellt, ohne einen Beweis zu erbringen. Wer also zu unbequeme Fragen stellt, der kommt auch auf der sachlichen Ebene nicht zu einem Dialog mit der GEMA. Daher haben wir schon seit Bestehen der Plattform Kultur-retten.de eine eigene Facebookgruppe gegründet, auf der sich schon über 2.000 Personen sachlich austauschen und informieren können.

Wie man es dreht und wendet, es kann kein Konsens erfolgen, solange kein echter Dialog geführt wird und weiterhin die Tarife von der GEMA realitätsfern als ‚angemessen‘ bezeichnet werden, obgleich schon jetzt zahlreiche Gastronomiebetriebe vor der Schließung stehen. Es existiert ja durch die Tarife und das von der GEMA eingeleitete Schiedsverfahren schon jetzt eine Planungsunsicherheit für 2013 und es werden schon die ersten Veranstaltungen auf Grund dieser Unsicherheit abgesagt. Auch der DEHOGA hat daher in seiner neuesten Presseerklärung noch einmal klar Stellung bezogen und auf die Dringlichkeit einer zeitnahen Lösung hingewiesen.

Die Frontenverhärtung führte die GEMA in dem Moment herbei, als sie die Schiedsstelle angerufen hat, anstatt sich in Verhandlungen auch als verhandlungsbereit zu zeigen. Denn nun kommen die Tarife bis zur Klärung am 01.01.2013 auf den Tisch und die GEMA positioniert sich für alle nun folgenden Verhandlungen mit diesem Damoklesschwert über den Köpfen der zukünftigen Verhandlungspartner.

Kann man eigentlich sagen, dass die Tarifreformen, wenn sie denn durchgeführt werden, eine bestimmte Musikszene am meisten treffen wird? Gerade aus dem elektronischen Genre vernehme ich die lautesten Stimmen, wenn es um die eigene Existenzangst geht.

Die Berechnung setzt sich aus zwei Faktoren zusammen, Veranstaltungsfläche und Eintrittshöhe. Es trifft also insbesondere zum einen alle Veranstaltungen, die eine große Fläche benötigen. Dabei berechnet die GEMA bei Stadtfesten von Häuserwand zu Häuserwand, bei Räumen von Wand zu Wand. Ob dazwischen Flächen sind, auf die kein Besucher Zutritt hat (Thekenbereich, Fluchtwege, Stände, Bühnenbereich, Backstage etc.) oder bei einem Stadtfest gar eine Straße angrenzt, ist der GEMA dabei egal.

Die GEMA nimmt z.B. für eine Gala-Veranstaltung 1Person/m2 an. Man fragt sich bei solchen Annahmen schon, wie die GEMA ‚Gala‘ definiert, denn auch hier wird ja von Wand zu Wand also inkl. Bühne, Tische, Theken etc. gerechnet. Nebenbei bemerkt setzt sich die GEMA bei ihrer Berechnung über die geltenden VStättVO der Länder hinweg. Nicht die tatsächlich zugelassene Personenzahl eines Raumes bzw. einer Veranstaltung ist die Berechnungsgrundlage, sondern die ‚Annahmen‘ der GEMA.

Um die Frage nach einer Musikszene zu beantworten, so trifft es auf der einen Seite Veranstaltungen, die auf Grund ihres Charakters nicht die Fläche komplett füllen können, z.B. bei Salsa-Veranstaltungen, die auf Grund des Paartanzes schlicht mehr Platz benötigen. Auf der anderen Seite wird es alle Veranstaltungen treffen, die nicht rein kommerziell ausgerichtet sind, daher erklärt sich der Aufschrei aus der Electro-Szene. Denn hier sind die Clubs häufig nicht voll ausgelastet.

Man zahlt aber nicht nach tatsächlichen Besuchern, sondern nach der ‚Annahme‘ der GEMA. In der Schweiz kommt es z.B. bei der SUISA „auf die Anzahl der an einem Tag anwesenden Personen an“. Es ist also nicht so, dass alle Verwertungsgesellschaften auf dem europäischen Kontinent die Ansicht der GEMA teilen.

Es wird ständig von der GEMA verkündet, dass nicht sie sondern der Veranstalter die Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg trage. Dabei gibt es zahlreiche Nischen in der Musikkultur, die selbstverständlich ihre Daseinsberechtigung haben und nicht eine kommerzielle Absicht verfolgen, wie es auch im elektronischen Bereich häufig der Fall ist. Der Wert von Kultur kann nicht am finanziellen Erfolg gemessen werden, dennoch scheint dies die Ansicht der GEMA zu sein, wenn man ihre Äußerung bezüglich der Verantwortung des wirtschaftlichen Erfolgs zu Ende denkt.

Lieber Matthias, ich danke dir für das Gespräch!

Gerne.

schreibt seit 2011 für die Netzpiloten und war von 2012 bis 2013 Projektleiter des Online-Magazins. Zur Zeit ist er Redakteur beim t3n-Magazin und war zuletzt als Silicon-Valley-Korrespondent in den USA tätig.


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