Vergangene Woche trennte sich Axel Springer vom gesamten Printgeschäft außer der „BILD“-Gruppe und der „Welt“-Titel. Verlegerischer Offenbarungseid oder konsequenter Schritt in die digitale Zukunft?
Letzten Donnerstag kündigte der Axel-Springer-Verlag an, seine Regionalzeitungen Berliner Morgenpost, Hamburger Abendblatt sowie diverse Frauen- und Fernsehzeitschriften an die Funke-Gruppe zu verkaufen. Diverse Beobachter fragen sich, ob damit die Filetstücke des Konzerns veräußert oder der Sondermüll des Unternehmens weggeräumt werden soll.
- Der Presseverlag Axel Springer trennt sich vom gesamten Printgeschäft außer der „BILD“-Gruppe und der „Welt“-Titel.
- Käufer ist die Funke-Gruppe, die beim NRW-Portal Der Westen bisher mehr durch Spar- als durch innovative Digitalmaßnahmen auffiel
- Ob Axel Springer mit dem konsequenten Schritt erfolgreich sein wird und Mediengeschichte schreibt, ist noch unklar.
Beim Axel-Springer-Verlag wird derzeit kräftig aufgeräumt. Das Bundeskartellamt kündigte bereits an, das Vorhaben überprüfen zu wollen. Springer verkauft für 920 Millionen Euro die Regionalzeitungen Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost, die Hörzu und alle noch aktiven Fernseh- und Frauenzeitschriften an die Essener Funke Mediengruppe (ehemals WAZ). Vor allem bei den TV-Zeitschriften, die noch immer viel Geld in die Kassen der Verlage spülen, würde sich der Markt völlig neu aufteilen. Der Heinrich Bauer Verlag müsste folglich seine bisherige Spitzenposition aufgeben. Den Markt teilen künftig die Verlage Heinrich Bauer und Funke unter sich auf. Der klägliche Rest in Höhe von 9.6 Prozent Marktanteil entfällt auf die Hamburger TV Spielfilm GmbH, ein Duopol entsteht. Aus vier Konkurrenten werden drei. Konkurrenz belebt nachweislich das Geschäft. Umso größer der Wettbewerb, umso mehr muss sich jeder Wettbewerber anstrengen, die Leser zufriedenzustellen. Doch es gibt noch ein anderes Problem: Wenn künftig fast nur noch zwei Verlage darüber entscheiden, was im TV sehenswert ist, steigt die Abhängigkeit der Fernsehsender vom Goodwill der verbliebenen Programmredaktionen.
Über die Hintergründe des letzte Woche angekündigten Deals kann nur gemutmaßt werden. Die Deutsche Telekom sucht momentan nach neuen Investoren für ihre Online-Tochter Scout 24. Die Anzeigen-Portale für PWKs, Immobilien, Berufe, Reisen und Partnerschaften ziehen zusammen monatlich etwa 13 Millionen Besucher an. Unter den Bietern befindet sich auch eine Tochter des Springer-Konzerns. Der Hamburger Berater und Netzpiloten-Kolumnist Nico Lumma vermutet eine vollständige Digitalisierung des Unternehmens, die so brutal wie eben möglich durchgezogen wird. Die früheren Traditionsmedien von Springer, die bisher zur eigenen DNA dazugerechnet wurden, werden offenbar zum passenden Zeitpunkt veräußert. Die Käufer aus Essen haben künftig die undankbare Aufgabe, den sterbenden Klotz am Bein zu verwalten.
Auch PR-technisch macht der Deal Sinn. Wenn im Zuge der Zusammenlegungen der Redaktionen und Verwaltungen Massenentlassungen bekannt werden, wird Springer damit nichts mehr zu tun haben. Wirtschafts-Journalist Stephan Dörner kann zudem beim Funke-Konzern keine „überzeugende Digitalstrategie“ ausmachen. Man müsse vielmehr kritisch abwarten, wie lange die Bestandsgarantie der Arbeitsplätze in Essen und anderswo Bestand haben wird. Bislang sei das frühere WAZ-Management vor allem durch den gescheiterten Aufbau des NRW-Portals Der Westen aufgefallen. Die Printkuh durch ein gnadenloses Zusammenstreichen der Arbeitsplätze noch ein wenig zu melken, könne hingegen kein Zukunftsmodell darstellen. Wer Lokalzeitungen retten will, muss sie ähnlich, wie den „Texas Tribune“ ins Digitalzeitalter hinüberretten. Eine Möglichkeit dafür wäre es nach Ansicht des WSJ-Journalisten Dörner, die Leser auf lokaler Ebene zu einer aktiven Online-Diskussion mit den Größen aus Politik und Wirtschaft einzuladen.
Journalist Richard Gutjahr, ein bekennender Digital Native, attestiert Springer ein unglaubliches Gespür für den Markt. Sie würden nun ihre Kuh verkaufen, solange sie noch Milch gibt. „Wer weiß, in ein paar Jahren hätte Springer vielleicht sogar die gleiche Summe zahlen müssen, um die Blätter abzuwickeln. Die Entscheidung für einen solchen Mega-Deal kommt nicht über Nacht. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die Motive für Springers Leistungsschutzkampagne letztes Jahr zu hinterfragen. Wollte man mit diesem Schritt die Konkurrenz in Sicherheit wiegen, während man selbst schon die Rettungsboote bestiegen hat?“
Gutjahr sieht die Ankündigung letzten Donnerstag quasi als Weckruf für alle Journalisten, die sich schon bald nach passenden Alternativen umsehen sollten. Die Hoffnungen auf ein Einschreiten des Bundeskartellamts wurden bereits von Rechtsexperten ausgebremst. Lediglich die Schaffung eines gemeinsamen Unternehmens zur Vermarktung aller Anzeigen und für den Vertrieb könnte von der Behörde abgelehnt werden. Ansonsten steht der gnadenlosen Digitalisierung des eigenen Unternehmenszwecks nichts im Wege.
Zwar wirbt man in Berlin damit, dass man zur Gestaltung der BILD-Zeitung noch kreative „Medien-Revolutionäre, Visionäre und Macher“ sucht, die das Springer-Flaggschiff ins nächste Jahrhundert steuern sollen. Doch eigentlich braucht man keinerlei Unterstützung. Der Ankauf der Scout 24-Anteile wäre ein weiterer Schritt weg von einem Verlag hin zu einem bunten Konzern-Mischmasch, der letztlich nur einen Zweck verfolgt: den maximalen Umsatz zu erzielen. Fraglich ist nur, ob Springer in zehn Jahren Medien- oder nur noch Unternehmensgeschichte schreiben wird.
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Schlagwörter: Axel Springer, digital, Funke-Gruppe, Internet, journalismus, waz