Fehlender Kontext und psychologische Effekte führen leicht zum Falschverstehen – besonders bei Social Media.
Urlaubszeit ist Fotozeit. Das merkt man vor allem in den Online-Netzwerken, die via Smartphone-Kameras mit Schnappschüssen aus aller Welt geflutet werden. Denn anstatt mal offline zu bleiben, schicken wir lieber eine Bilderflut in Richtung Facebook, Twitter, Tumblr und Instagram – in der Erwartung, dort viele Likes und Retweets von unseren Netzfreunden einzuheimsen. Doch das viele Posten führt zum ärgerlichen Oversharing – was die Gemüter an beiden Enden der Leitung stark erregen kann.
Wer heute mit seinem Smartphone in den Urlaub fährt, der fährt sicher nicht alleine – auch dann nicht, wenn er ein Einzelzimmer gebucht hat. Denn zumindest im Kopf ist der Bekanntenkreis mit auf Urlaub. Man ist nicht da, um da zu sein, man ist auch da, um den Moment zu teilen – auch mit Menschen, die tausende Kilometer entfernt im Büro sitzen. Das merkt man spätestens dann, wenn man vor Sehenswürdigkeiten, auf tollen Stränden und an exotischen Destinationen posiert und sich dabei schon überlegt, wo, wann und für wen man das Foto via Internet veröffentlicht. Da nimmt man durchaus einige Mühe auf sich, um den fotografischen Urlaubsgruß besonders zu inszenieren – immerhin spitzt man auf viele Facebook-Gefällt-mir und Instagram-Likes. Die Grenze vom freundschaftlichen Teilen zur unsympathischen Angeberei ist dabei unmerklich und schnell überschritten – schneller, als man es vielleicht selbst merkt.
Wenn man es mit dem Sharen übertreibt (während meiner letzten Neuseelandreise konnte ich nicht anders, als dutzende Bilder aus dem wunderschönen Land zu posten), dann schlägt die Stimmung am anderen Ende schnell um. Bald bekam ich negatives Feedback anstatt „Gefällt-mir-Klicks“: “Deine Reportage ist supergenial und fies zugleich.” Oder: “Du hast zu viel Spaß und bist im schönsten Land der Welt. Der Neid frisst mich auf!” Oder: “Oh der Neid…” Oder: “Bist Du wirklich dort oder ärgerst nur uns in Regen und Hochwasser Untergehende?” Oder: “Du musst echt aufhören, so etwas zu posten.” Eigentlich heftige Gefühlsregungen, die wegen ein paar Instagram-Bildchen entstehen können.
Das Verzwickte an der Sache ist, dass die Fotos unter gänzlich unterschiedlichen Umständen wahrgenommen werden. Auf der Macher-Seite sieht es so aus: Schnappschüsse sind in Sekunden gemacht, hochgeladen und wieder vergessen – sie sollen nur einen winzigen Ausschnitt des Erlebten (meist die Highlights) zeigen. Für die Daheimgebliebenen hingegen, die sich durch die Newsfeeds der Social Networks scrollen und ständig über eben diese Highlight-Fotos stolpern, sieht es so aus, als würde der andere ständig hinausposaunen wollen, wie schön er es gerade hat. Social Networks haben mit ihrer Kunst, uns möglichst viele Daten aus der Nase zu ziehen, ein wenig Mitschuld an der Sache: Denn die Facebook-Tochter Instagram oder die Twitter-App bieten Foto-Filter, die fade Bilder aufhübschen und es so attraktiver machen, überhaupt ein Foto zu posten. Und Facebook selbst bevorzugt Bilder in seinem neuen Newsfeed, während anderer Content (Text, Links) in den Hintergrund rückt.
Beim Oversharing – die Wall-Street-Journal-Schreiberin Elizabeth Bernstein nennt das „BYB“ („Blabbing Your Business”, “zu viel plappern”) – setzen außerdem psychologische Effekte ein. “Experten sagen, das Oversharing oft deswegen passiert, weil wir unbewusst versuchen, unsere eigene Angst zu kontrollieren”, schreibt Bernstein. “Dieser Vorgang ist als „Selbstregulierung“ bekannt und funktioniert so: Während einen Gespräch wenden wir eine Menge mentaler Energie auf, um den Eindruck, den die andere Person von uns hat, zu beeinflussen. Wir versuchen, smart, witzig und interessant zu sein. Aber dieser Aufwand lässt dem Gehirn weniger Kapazität, zu filtern, was wir eigentlich sagen.” Deswegen würden wir etwa unseren Chefs, Flirt-Partnern oder künftigen Schwiegereltern ungewollt Dinge verraten, die wir ihnen eigentlich gar nicht erzählen wollten.
In Online-Netzwerken wie Facebook dürfte dieser Effekt auch zum Tragen kommen: Wir sind so sehr damit beschäftigt, uns dort möglichst positiv darzustellen (Stichwort “Narzissmus”), dass wir vergessen, wem wir uns da eigentlich preisgeben. Denn 80, 90 Prozent unserer Publikums dort sind keine engen Freunde, die uns nicht für Angeber halten, sondern entfernte Bekannte, Arbeitskollegen, Online-Bekanntschaften oder gar Fremde, denen man unabsichtlich eine Freundschaftsanfrage bestätigt hat. Auch eine Studie von Forschern der Stanford University (PDF) im Silicon Valley zeigt: Nutzer von Social Networks unterschätzen ihr Publikum massiv und glauben im Schnitt, dass nur 27 Prozent der tatsächlichen Menge an Menschen ihre Posting sehen. Dass dieses Oversharing negative Effekte auf Job, Liebes- und Familienleben haben kann, zeigen uns verschiedenste Fälle.
Image (adapted) „Allegory for the modern era“ by Quinn Dombrowski (CC BY-SA 2.0)
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Schlagwörter: sharing, Smartphone, Social Media, urlaub
5 comments
Neid ist schon eine sehr unangenehme Sache – meist sogar für beide Parteien. Social Media sollte man – wie vieles im Leben – mit Bedacht einsetzen.
Da schreibst du was. :))
Den Artikel könnte ich direkt so übernehmen und bei mir bringen.
Allerdings betrifft das nicht nur Urlaubsbilder, sondern auch Review-Produkte oder auch Bilder und Infos aus dem eigenen Umfeld – über die geschrieben wird.
Je weiter oben angesiedelt, um so mehr lässt sich der Neid spüren.
Das ist manchmal nicht mehr lustig.
Falls du eine Lösung dafür hast, bitte gern her damit … ich suche diese noch.
Ein bisschen Vorsicht, was man wann postet, finde ich auch angebracht. Insbesondere, wenn nicht nur engste Freunde sondern auch Kollegen auf Facebook und Co geadded sind. Stichwort betrunken sein etc.
Im Übrigen poste ich lieber Fotos, wenn ich wieder zu Hause bin – im Urlaub brauche ich kein Smartphone.