Katharina Große, Tinka genannt, schreibt in ihrer Kolumne über den digitalen Wandel in unserer Gesellschaft. Diesmal sinniert sie über die Neuland-Metapher von Bundeskanzlerin Merkel nach. #Neuland ist inzwischen fast ein alter Hut, aber ich möchte ihn mir noch einmal aufsetzen. Ob das jetzt eine gut oder schlecht gewählte Aussage war von unserer Bundeskanzlerin und warum oder warum nicht man sich darüber aufregen sollte, darum geht es mir nicht. Verschiedenste Artikel haben sich dazu positioniert. Cicero hat sogar einen Neulandsreaktionskompass angelegt.
Die Hauptkonfliktlinie verläuft entlang der Linie: stimmt oder stimmt nicht. Entweder heißt es, Frau Merkel betreibe „Gegenwartsverweigerung“ oder man entsetzt sich à la: Hat sie da gerade NEULAND gesagt? Nicht wirklich, oder! Andere finden, Neuland ist im Kern eigentlich richtig, weil viele Menschen überhaupt nicht online seien oder wenn, dann nur sehr eingeschränkt zwischen „Spiegel Online und Homebanking“. Außerdem/und die schwierigen gesetzlichen Fragen wie Leistungsschutzrecht oder Urheberrecht seien noch keineswegs ausreichend geklärt, besonders auf internationaler Ebene (Quelle, Quelle).
Einige rufen dazu auf, sich nicht von #Neuland ablenken zu lassen, es sei ein „[d]reister Versuch der Schönredens“ von PRISM. Andere bitte um eine andere Diskussionskultur. Unglaublich, wie viel kreative Energie in die Diskussion über die vermeintliche Hintermondigkeit unserer Regierung geflossen ist. Ist davon noch etwas übrig? Ich würde es mir wünschen. Ich würde sie gerne umleiten auf eine andere Bahn.
Ein alter Hut, der immer noch passt
Die Neuland-Metapher ist in Wirklichkeit ein alter Hut, und zwar einer aus dem Second-HandLaden. Schon 2000 hat Kenichi Ohmae in seinem Buch „The Invisible Continent“ eine ähnliches Bild verwendet. Genau, entgegnen jetzt vielleicht einige, vor dreizehn Jahren. Da war das Internet für uns auch noch Neuland, aber inzwischen kennen wir uns top aus. Wenn man das so sieht, dann mag es einem bizarr vorkommen, wenn man meint, die Bundeskanzlerin würde erst jetzt den neuen Kontinent betreten.
Diese Einstellung aber verkennt die tatsächliche Aufgabe, die sich hinter der Erschließung einer Terra Incognita verbirgt (Quelle). Es gilt, immer wieder vorzustoßen in Gebiete, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Das ist besonders schwer in einer Welt, die sich stetig vergrößert und verändert, wie ein High-Speed-Hawaii. (Wegen der Vulkane entsteht dauernd neue Landmasse.) Diese Erkenntnis scheint erst bei einigen angekommen (Quelle). Und damit ist es nicht getan, denn es geht nicht nur um das Entdecken von Neuland, es geht auch um das Erkunden.
Erkunden, das heißt nicht, sich eine kleine, ruhige Siedlung in Küstennähe zu erschließen, die man kennt wie seine Westentasche. Es gilt immer wieder zu überlegen, wie man neues Land besiedeln und nutzen kann, welche interessanten Möglichkeiten sich bieten, welche neuen Lebens- und Geschäftsmodelle sich auftun. Deswegen ist für unsere Forschung ganz klar: Das Entdecken und Erkunden von Neuland wird uns dauerhaft beschäftigen.
Raus aus der Küstensiedlung
Viele, die sich Im Netz heimisch fühle, scheinen hingegen in ihrer zivilisierten Küstensiedlung zufrieden. Denn seien wir ehrlich, die meiste Zeit bewegen wir uns zwischen irgendeinem sozialen Netzwerk, irgendwelchen Nachrichten und verschiedenen (Foto-) Blogs. Wer macht sich denn schon wirklich die Mühe, aktiv darüber nachzudenken, wie wir neue Technologien für unsere Gesellschaft nutzen können? Wer versteht wirklich Zusammenhänge und Hintergründe? Ich stoße in meinem Bekanntenkreis immer wieder auf die Frage: Und was ist jetzt an PRISM so schlimm?
Zum Glück gibt es einige Entdecker, die sich um die Siedler bemühen, uns zum Beispiel den Überwachungsstaat erklären, digitale Werkzeuge für Bürger entwickeln, oder Parlamenten bei der Öffnung helfen. Es werden Ideen gefördert und Veränderungen diskutiert. Auch wenn das nur ein kleiner Auszug war und es noch einige andere tolle Projekte gibt: Deutschland steht ganz am Anfang seiner Entdeckungsreise. Auch die Anzahl der Forscher, die sich dieser Aufgabe in Deutschland annehmen, ist überschaubar.
Auf, auf zum Gipfel
Es wäre großartig, wenn „Das Internet ist für uns alle Neuland“ dazu führen würde, dass sich mehr Gewillte aufraffen und sich der Expedition anschließen. Lasst uns uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Anstatt vom Basislager den angeblichen Flachländern zuzuwinken oder im besten Fall gutmütig eine Hand auszustrecken, lasst uns uns daran erinnern, dass der Weg zum Gipfel noch weit ist.
Wie wird sich Open Government in Deutschland entwickeln? Wie gestaltet sich die Bürgerrolle im Digitalen? Welche neuen Formen der Zusammenarbeit und Innovation stehen uns offen? Wie sieht unser Leben mit/in der Wolke aus? Das sind nur ein paar der Fragen, die uns beschäftigen, und auf unserem Weg durch Neuland freuen wir uns immer über neue Gesellschaft.
Die Kolumne von Katharina Große ist Ergebnis der Medienkooperation zwischen dem Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität (ZU) in Friedrichshafen und Netzpiloten.de.
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Schlagwörter: debatte, digitalisierung, Diskussion, Gesellschaft, Internet, Neuland
3 comments
Zwar endlich mal eine sachliche herangehensweise, jedoch mit einem kleinen Denkfehler.
Nicht nur für die Menschen die überhaupt nicht im Internet sind ist Internet dieses beschriebene Neuland auch für alle anderen, gerade durch Prism sollte uns das eigentlich klar werden.
Wie können wir von uns behaupten wir würden uns in der digitalen Welt bestens auskennen, wenn wir unsere eigene reale Welt noch nicht einmal komplett entdeckt haben.
Es macht keinen Sinn zu sagen das Internet gibts doch schon so ewig lange… Und mal ganz ehrlich was sind 13 Jahre? Nichts..
Genau das sage ich ja :) Es gilt zu erkunden, nicht nur zu entdecken und besonders da sich dieses Neuland ständig weiterentwickelt, gibt es viel zu tun!
LG
Tinka