“Das Internet darf nicht zum Kabelfernsehen werden”

Der 18-jährige Bernhard Hayden könnte im Herbst der jüngste österreichische Parlamentarier aller Zeiten werden. // von Jakob Steinschaden

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Der 18-jährige Bernhard Hayden ist der jüngste Kandidat für den Nationalrat, den es in Österreich bis dato gegeben hat – er steht auf Platz Vier der Bundesliste der Piratenpartei Österreichs. Im Juni hat Hayden seine Matura mit Auszeichnung bestanden, und wenn das Wunder passiert, dann sitzt er im Herbst im Nationalrat – und falls nicht, dann fängt er ein technisches Studium in Wien an. “Burnoutberni”, wie sich Hayden auf Twitter nennt, hat mir im Interview erzählt, warum das Internet nicht wie das Kabelfernsehen werden darf, was er sich über seine Generation denkt und warum er gerne als Antithese zu Frank Stronach gesehen werden will.

Was hat dich als so junger Mensch in die Politik verschlagen?

Hayden: Ich war immer schon politikinteressiert, und die Piraten waren sehr ansprechend wegen den netzpolitischen Themen. Die technischen Aspekte haben mich schon immer fasziniert, und das mit Politik zu kombinieren, ist ein Traum. Was mich bei den Piraten überrascht hat, istkeinen Programmpunkt gibt, den ich gar nicht mittragen kann. Bei allen anderen Parteien gibt`s die schon.

Du bist in deiner Generation die große Ausnahme, was politische Aktivität angeht. Was hältst du selbst von dieser Generation, der immer Politikverdrossenheit nachgesagt wird?

Bis vor kurzem hab ich auch immer dieses Sprücherl geklopft: Das ist keine Politikverdrossenheit, sondern Politikerverdrossenheit. Aber das ist auch zu platt, das stimmt nicht so. Es ist eher eine Systemverdrossenheit, viele sehen, dass sie ihre Stimme nicht mehr platzieren können.

Es gibt diesen Stehsatz “Privacy is dead”. Ist er aus deiner Sicht wahr?

Diese Einstellung, den Glauben an die Privatsphäre verloren zu haben, kann ich grundsätzlich nachvollziehen. Aber ich finde es schwach, einfach aufzugeben. Noch viel schlimmer ist es, wenn Leute sagen: Ich hab` eh nichts verbrochen und nichts zu verbergen, mich können´s eh überwachen. In einer freien, offenen, demokratischen Gesellschaft mag das funktionieren, aber die Gefahr ist, dass das kippt. Das fängt bei der Stärke der FPÖ an und hört dabei auf, das niemand mehr Privatsphäre ernst nimmt.

Menschen in deinem Alter, die permanent online sind, wie denken die über Privatsphäre?

Ich glaube schon, dass das Konzept Privatsphäre noch verstanden und gewollt wird. In den Altersgruppen sieht man Unterschiede: Bei den bis 18-Jährigen dominiert Facebook, die Älteren nutzen dann Twitter. Die Grundidee von Facebook, einmal abgesehen von der NSA-Spionage und dem Verkauf der Nutzerdaten, ist ja eine ganz andere als bei Twitter. Bei Twitter teilt man mit der ganzen Welt, und bei Facebook teilt man nur mit den Freunden. Ich finde, das zeigt schon, dass das “Feature” Privatsphäre bei den Jungen mehr genutzt wird als komplette Öffentlichkeit.

Du hast dich bei den Piraten auf das Thema Netzneutralität spezialisiert. Was ist so wichtig daran?

Die große Gefahr ist, dass das Internet zum Kabelfernsehen wird. Wenn die Netzneutralität wegfällt, bekommt man je nach Internet-Anbieter einen Ausschnitt des Internet zu sehen, so wie wenn man bei Kabel-TV bei verschiedenen Providern verschiedene TV-Sender sehen kann und andere nicht. Als ich mein erstes Handy mit Farb-Display hatte, gab es diese Internet-Taste, vor der sich alle wegen der hohen Kosten gefürchtet haben. Schon damals wurde die Netzneutralität unterwandert, weil Mobilfunker ihre eigenen Internet-Portale betrieben haben und so versucht haben sich vom Anschluss-Provider zum Content-Provider zu wandeln. Heute forcieren das alle Netzbetreiber. Netzneutralität hingegen bedeutet, dass man frei wählen kann, welche Services man nutzen will und man Services selber auch anbieten kann. Wenn das wegfällt, dann verstößt das gegen demokratische Prinzipien und schadet jungen Start-ups, weil sie nicht mehr in den Markt hineinkommen. Wenn A1 plötzlich Geld für die Datenübertragung verlangt, dann kann sich YouTube das vielleicht leisten, eine kleine österreichische Firma aber vielleicht nicht. Das gefährdet die Innovationskraft des Internet, auf die wir ja alle bauen, selbst die ÖVP.

Mit den Piraten gehst du demonstrieren, etwa vor der US-Botschaft. Das ist auch eher selten für Menschen aus deiner Generation, sich mit einer Meinung auf die Straße zu trauen.

Ich finde das lustig. Es gibt ja diesen Vorwurf, dass die Jugend nur mehr diesen Klicktivism macht, und das stimmt sicher zu einem gewissen Teil. Es gibt viele, die sich nicht mehr vorstellen können, für etwas auf die Straße zu gehen. Für mich hat es einen gewissen Fun-Faktor, sich vor die US-Botschaft zu stellen und Fotos zu machen, bis die Polizei kommt. Aber mit den Polizisten und der Security dort zu tun zu haben, kommt einem auch seltsam vor. Ich war noch nie in Amerika, und vielleicht schaffe ich es jetzt auch nicht mehr dort hin, wer weiß.

Bist du die Antithese zum reichen, 80-jährigen Milliardär Frank Stronach im österreichischen Wahlkampf?

Das kann man schon sagen. Ich bin aber nicht die Antithese, weil ich jung bin und er alt, sondern weil ich eine ganz andere politische Idee vertrete. Er sagt, ich bin der Chef, ich regle das für euch, vertraut mir. Die Piraten sagen, dass die Menschen die richtigen Antworten haben und wir maximal die richtigen Fragen stellen.

Welche anderen Parteien sind den Piraten am nächsten?

Ich stelle mal eine gewagte These auf: Wenn die NEOS das Update der ÖVP sind, dann sind die Piraten das Update der SPÖ. Einige unserer Punkte erinnern stark an die Arbeiterbewegung, das fängt schon beim Urheberrecht an. Wir wollen, dass es für alle leistbar ist, Kunst und Kultur zu konsumieren und produzieren. Tagespolitisch am nähesten sind uns wohl die Grünen, die eine ähnliche Entstehungsgeschichte haben und die sich noch am ehesten mit Netzpolitik beschäftigen.

Warum wird der NSA-Skandal im österreichischen Wahlkampf so gut wie nie thematisiert?

Weil da die etablierten Parteien allesamt nur schlecht aussteigen würden. ÖVP und SPÖ haben die Vorratsdatenspeicherung eingeführt, beide führen mit Justiz, Inneres und Verteidigung genau jene Ministerien, die mit dem NSA-Skandal zu tun haben. Da kann es ÖVP und SPÖ nur recht sein, dass nicht viel Wind um die Sache gemacht wird.

Warum interessiert sich der Durchschnittsösterreicher nicht für die NSA-Überwachung?

Gute Frage, das kann ich nicht nachvollziehen. Vielleicht wirkt das für viele wie ein Agenten-Thriller, den man sich aus der Ferne bequem auf der Couch ansieht. Aber vielleicht dreht sich das in den nächsten Jahren, und es ist die Aufgabe der Piraten, dieses Bewusstsein zu schaffen. Aber um ehrlich zu sein, überfordert uns das derzeit ein bisschen.

Wie schützt du deine Daten im Internet?

Bis dato habe ich meine Nutzung noch nicht wirklich verändert, aber ich habe vor, das zu tun. Ich plane mir einen Root-Server zu besorgen und dann E-Mails selbst zu hosten. Durch meine politische Arbeit habe ich mit immer mehr Dingen zu tun, die eigentlich verschlüsselt werden sollten.

Immer mehr Kryptographie einzusetzen, kann aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Wenn es ein technisches Problem wäre, dann könnte man es technisch lösen. Ist es aber nicht, es ist ein gesellschaftliches Problem. Wir sollten da viel radikaler denken. Wir sollten uns nicht fragen, wie wir unsere E-Mails noch besser verschlüsseln können, sondern: Wozu brauchen wir überhaupt Geheimdienste? Das ist auch interessanter als die Frage, wo jetzt diese NSA-Villa genau steht.

Wieviel Prozent rechnest du dir für die Piraten bei der Nationalratswahl aus?

Vier Prozent sind schaffbar. Wenn diese NSA-Sache doch noch aufgeht und wenn das deutsche Wahlergebnis gut für die Piraten ausgeht, dann könnte uns das helfen. Derzeit rechne ich aber mit plus minus zwei Prozent. Wenn wir die stärkste außerparlamentarische Partei werden, dann wäre ich sehr zufrieden für den ersten Nationalratswahl-Antritt.

Sollte das Wunder passieren, dann sitzt du im Nationalrat. Was hätte für dich höchste Priorität, in den nächsten fünf Jahren durchzusetzen?

Ich würde vehement für ein striktes Gesetz für den Erhalt der Netzneutralität eintreten. Außerdem würde ich gerne das bedingungslose Grundeinkommen in die Diskussion bringen und Feldstudien dazu in Auftrag geben. Das wäre zum Beispiel auch eine sinnvolle Verwendung für unsere Parteienförderung.

Wie würde deine erste Reaktion ausfallen, wenn ihr den Einzug ins Parlament schafft?

Party! Außerdem habe ich eine Wette mit Freunden laufen. Ich müsste mir dann meine Haare auf Landeshauptmann Erwin Pröll stylen und violett färben, wovor ich ein bisschen Angst habe. Und dann hätte ich natürlich große Vorfreude auf die parlamentarische Arbeit.


Teaser & Image by Jakob Steinschaden

ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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