Kommunikationskoma

„Cloudcuckoohome – Geschichten aus der digitalen Wolke!“ Ab sofort resümiert die Netzpiloten Kolumnistin Miriam Pielhau regelmäßig über ihr tagtägliches Leben in der digitalen Welt.

Miriam Pielhau. Die Schauspielerin, Moderatorin und Autorin resümiert einmal im Monat mit einer eigenen Kolumne auf Netzpiloten.de über ihren digitalisierten Alltag oder darüber, was ist, wenn der Alltag einmal nicht durchdigitalisiert ist, weil zum Beispiel der Akku des Smartphones versagt. Kommunikationskoma nennt sie das und dieser Zustand hat sie viel gelehrt. Miriam Pielhau über einen smartphonefreien Tag: Schwarz. Das Display wurde unvermittelt schwarz. Ein kleines, weißes Zahnrädchen in der Mitte rotierte noch einige Atemzüge lang. Dann war es gänzlich dunkel. Einfach so. Diagnose: Akutes Akkuversagen meines ach-so-cleveren Smartphones bei bis kurz zuvor immerhin noch 35 Prozent Ladestand. WTF?! Hektisch drückte ich auf den wenigen federnden Knöpfen herum. Mit der rechten Hand. Nichts tat sich. Nichts. Kein blinkender Seufzer, kein zartes Vibrieren. Mit der linken Hand bemühte ich mich unterdessen bei 100 Sachen auf der Berliner Stadtautobahn nicht alles zu verlieren. Die Kontrolle über mein Fahrzeug. Und meine Nerven. Dieses vermaledeite Schrottgerät. Seit nunmehr zwei Wochen schon ärgerte es mich mit diesen außerplanmäßigen Blackouts durch unvermittelten Batteriestreik. Angeblich, so hatte ich in der Zwischenzeit erfahren, ein bekanntes Phänomen. Ein verbreitetes Problem dieser speziellen Modelle der Hipster und Popkulturgeneration, von denen auch ich eines besaß. Phänomen, Problem und Popkultur durften mir gerade mal gepflegt den blockierten Buckel runterrutschen. Ich hatte viel ernster zunehmende Schwierigkeiten. Zum einen: einen wichtigen Termin in einer halben Stunde. Zum zweiten: seit gerade kein Navigationssystem mehr. Und zum dritten: keine Chance, den Geschäftspartner in irgendeiner Form über mein Zuspät- oder schlimmstenfalls gar nicht erst Ankommen zu informieren. Ich spürte, wie mir die Farbe aus dem sonst so sonnigen Gesicht wich. Kleine Schweißperlen auf der Stirn. Und in den Handinnenflächen. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über den Mund. Die Atmung flach und schnaufend. So fühlte es sich also an: das totale Kommunikations-Koma. Panik machte sich breit. Angst vor dem bösen Erwachen. Dem meines Telefons. Etliche „kostenfreie Anrufinformationen“ über erfolglose Kontaktversuche, die nach Wiederbelebung des Mobilpatienten einbimmeln würden. Mindestens ein Dutzend SMS von Freunden und wirklich wichtigen Business-Partnern. Nein. Verzeihung. Andersherum: von Business-Partnern und wirklich wichtigen Freunden. Vor meinem geistigen Auge ratterten mindestens zwei Dutzend Emails aus drei Stunden meines werktäglichen Lebens auf einen Schlag in den Posteingang. Wenn… ja, wenn ich mein Smartphone erst viel später an diesem Nachmittag endlich wieder mit Saft würde versorgen können. Wasser. Ein Schluck Wasser tat Not. Mein Hals war staubtrocken. Ich nahm die nächstbeste Ausfahrt. Keine Ahnung, wo ich mich genau befand. Erst recht keine Idee, wo exakt ich hin musste. Keinen Plan. Und auch keinen Stadtplan. Zumindest keinen aus Papier mit Risslöchern an der Falz. Wie hieß die Straße noch gleich? Unter normalen Umständen hätte ich in der Kalenderfunktion des Handies nachgesehen. Hätte den fein säuberlich eingetragenen Termin geöffnet, in dem Vor- und Zuname meines Gesprächspartners nebst Funktion, Geburtstdatum, Name der Ehefrau und Anzahl der Kinder vermerkt war. Darüber hinaus stand da natürlich auch: die Adresse. Wo auch sonst? Doch statt in „Outlook“ oder „iCal“ blätterte ich nun atemlos durch die Windungen des Hippocampus meines Hirns. „Dingsbumsweg! Dingsbumsstraße? Nein. Allée… Dingsbums-Allée. Genau.“ Hausnummer? Keine Chance. Doch bis ich in der richtigen Straße vor der falschen Haustür mit hysterischem Zusammenbruch verzweifelte, war noch etwas Zeit. Erst einmal dort hingelangen. Im Schutze des geschlossenen Wagens fluchte ich schrill. Ich stoppte an einer Tankstelle, erkundigte mich unter allgemeinem Grinsen und Köpfeschütteln nach dem Weg zu meinem Ziel und folgte der grob beschriebenen Richtung. Kurz später frug ich bei einem Gemüsehändler noch einmal nach. Nur zur Sicherheit. Und: weil mein Orientierungssinn und ich einfach schon zu viel miteinander durchgemacht hatten. Zuguterletzt schlich ich mich im Schritttempo mit heruntergelassenem Beifahrer-Fenster an eine ältere Dame heran. „Entschuldigen Sie bitte?“ Keine Reaktion. „Verzeihen Sie, werte Dame?“ Kurzes Zögern. Dann blieb sie stehen. Sie blickte so verstört zu mir herüber, als wäre ich gerade mit dem DeLorian aus dem übernächsten Jahrhundert in ihrem Vorgarten direkt neben den Stiefmütterchen gelandet. Ich seufzte. Nachdem ich ihr glaubhaft versichern konnte, es weder auf ihre schmale Rente noch auf den kläffenden Jackrussel-Terrier abgesehen zu haben, half sie mir zahnlos lächelnd weiter. Sie wusste sogar, zu welchem Haus ich musste. „Die 34 ist das. Da sitzen die ganzen Medien-Heinis.“ Ich grüßte und lächelte und dankte so überschwänglich, dass auch die Dame ihr betagtes Haupt belustigt hin und herwog. Immerhin: kurz darauf stand ich schweißgebadet und einigermaßen zersaust vor dem Gebäude, in dem ein vermutlich bestens deodorierter Anzugträger mit Espresso Macchiato im Anschlag auf mein Eintreffen wartete. Ich strich mich glatt, innen wie aussen, atmete zweimal tief ein und aus und setzte mein Business-Gesicht auf. Das, olé olé, schaffte ich auch ohne Handy. Der Termin verlief reibungslos. Es wurde parliert und präsentiert. Diskutiert und kommuniziert. Jovial gelacht, freundschaftlich geschäkert und am Ende erfrischend verbindlich meine Hand geschüttelt. „Wissen Sie, was mich außerordentlich beeindruckt hat, Frau Pielhau?“ „Nun, was denn?“ Ich lächelte bescheiden in Erwartung einer üppigen Lobhudelei auf mein wirklich originelles Konzept. Und wog im Kopf schon ab, ob ich mit einem typisch weiblichen „Ach, so besonders ist es nun auch wieder nicht“ abwinken oder doch mit einem selbstbewussten „Ja, so etwas kann heutzutage tatsächlich nicht mehr jeder“ antworten sollte. Da durchkreuzte der Branchenkollege meine Gedankenspiele mit einem schlichten: „Kein Handygestarre. Nicht ein einziges Mal. Das hat Stil.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde es unangenehm heiß in meinem Kopf und ich betete zur Allmacht des deckenden Tages-Make-ups, das es die aufsteigende Gesichtsröte tunlichst verbergen möge. Meine Überraschung hingegen blieb kaum unentdeckt. „Äh, danke. Ja. Danke.“ Die Geschwindigkeit, mit der ich mich verabschiedete, war rekordverdächtig. Hatte allerdings weitaus weniger Stil. Nachdenklich fuhr ich nach Hause. Kein Handygestarre. Kein einziges Mal. Dafür hatte ich einen besommersprossten Tankstellengehilfen mit netten Grübchen kennengelernt. Und einen charmanten Südeuropäer mit Ortskenntnis und Faible für Rispentomaten in XXL-Boxen. Außerdem war ich in einen niedlichen Smalltalk mit einer lila-lockigen Rentnerin verwickelt worden. Und alles nur wegen des Kommunikations-Komas meines Handys. Hm. Verkehrt fühlte sich das nicht an. Wieder zuhause weckte ich den Patienten, ertrug das Pling-Pling-Pling stoisch und setzte mich an den Schreibtisch. Die Flut an Emails zu beantworten ging vom Rechner aus deutlich flüssiger als mit dem Daumen auf der Mini-Tastatur. Rückrufe und das Bearbeiten der ePost dauerten 1 Stunde. Nur eine Stunde. Eine konzentrierte Stunde, statt wie sonst halbkonzentriert 5minütlich zu lesen, zu bewerten und zu reagieren und – dem Gegenüber das kostbarste Gut zu entziehen: meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Schwarz – ist das neue Schwarz, dachte ich abends im Bett. Und dann knipste ich das Licht aus.


Image (adapted) „smartphone teen“ by Pabak Sarkar (CC BY 2.0)


kannte die Netzpiloten schon von Anfang an. Sie arbeitete bis zu ihrem frühen Tode seit Mitte der 90er Jahre als Radio- und TV-Moderatorin und war auch als Schauspielerin für Film und am Theater bekannt. Ihre Kolumnen bei den Netzpiloten werden nach wie vor gerne gelesen und erinnern an ihre herzliche Leichtigkeit mit der sie uns unvergessen bleibt.


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3 comments

  1. Sehr schön geschrieben, aber mir brach auch einmal der Schweiß aus, als ich folgendes las:
    „Mit der linken Hand bemühte ich mich unterdessen bei 100 Sachen auf der Berliner Stadtautobahn nicht alles zu verlieren. Die Kontrolle über mein Fahrzeug.“
    Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber das ist ab-so-lut unverantwortlich! Man legt pro Sekunde 30m zurück, das kann der Unterschied sein zwischen rechtzeitiger Bremsung und Crash! Bitte machen Sie so etwas nie wieder!
    Ich will keine Schlagzeilen über Sie lesen, wie man sie aus einem Autowrack zieht!
    Dazu hab ich Sie viel zu gern!

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