Hass-Postings: Wie Medien die Trolle bändigen wollen

m die Qualität von Online-Postings zu verbessern, werden verschiedene Strategien verfolgt – eine Patentlösung gibt es aber nicht. Wie sollen und dürfen wir künftig im Internet unterwegs sein: Mit dem Namen, den uns unsere Eltern gaben und der im Reisepass steht? Oder mit dem, den wir uns selbst gegeben haben? Um diese Frage tobt vor allem in Bezug auf Kommentare bei Online-Zeitungen in Österreich, aber auch Deutschland und den USA eine heftige Debatte. Die Diskussion wird dabei nicht immer sachlich geführt wird, sondern ist von politischen Anschauungen und wirtschaftlichen Interessen geprägt.

In Österreich debattieren Medienmacher (darunter etwa Vertreter von DerStandard.at, ORF-Moderator Armin Wolf oder Falter-Autorin Ingrid Brodnig) derzeit intensiv das Thema „Anonymität im Internet“. Im DerStandard-Forum mit bis zu 20.000 Kommentaren pro Tag finden sich immer wieder Postings, die rassistisch, sexistisch oder anders verletzend sind. Online-Medien entwickeln immer neue Strategien, um den aggressiven und beleidigenden Postings Herr zu werden. Kommentare unter bestimmten Artikeln werden abgedreht; einzelne Postings werden gelöscht; die Huffington Post will nur mehr Klarnamen zulassen und Nutzer zur Registrierung mit Facebook zwingen; andere Medien wie DerStandard.at oder Zeit Online setzen auf verstärkte Moderation. Folgende Punkte sind für die Debatte rund um Anonymität und Klarnamen essenziell:
 
1. Online Disinhibition Effect: Der Psychologe John Suler hat den Online-Enthemmungs-Effekt im Internet bereits 2004 in einer Studie beschrieben (kostenpflichtiges PDF). Laut Suler fehlt bei der Online-Kommunikation direktes Feedback, das wir in der Offline-Welt immer bekommen – wir sehen etwa, wenn sich jemand gekränkt fühlt, errötet, vor Zorn rot anläuft und so weiter. Im Netz, wo wir auf Bildschirme und darauf dargestellte Wörter starren, fehlt dieses Feedback. Anonymität, Unsichtbarkeit, Ungleichzeitigkeit oder das Fehlen einer Autorität würden enthemmte Kommentaren, die andere beleidigen oder kränken, begünstigen, so Suler. Dass Menschen im Netz anonym sein können, ist also nur einer von mehreren Faktoren des Enthemmungs-Effekts.
 
2. Pseudonyme: Wie die Anbieter des Kommentar-Systems Disqus herausgefunden haben wollen, sind Nutzer von Pseudonymen (Nicknames) jene, die die meisten Kommentare schreiben (61 %, Klarnamen: 4 Prozent, anonyme Poster: 35 Prozent). Wer viele Kommentare auf seiner Seite haben will, sollte demnach pseudonyme und anonyme Postings erlauben.
 
3. Facebook Comments: Eine neue Studie (PDF) des britischen Forschers Ian Rowe, Professor an der Londoner University of Kent, ist zu dem Schluss gekommen, dass es bei Facebook Comments, einem kostenlosen Kommentarsystem, in dem man nur mit einem Facebook-Account schreiben kann, zivilisierter zugeht als unter den Online-Artikeln der „Washington Post“, wo anonym gepostet werden kann. „The occurrence of uncivil communicative behaviour in reader comments is significantly more common on the website version of the Washington Post where users are able to maintain their anonymity, compared to the Facebook version of the Washington Post where commenters are identified with, and accountable for, the content they produce“, so Studienleiter Rowe. „Secondly, the uncivil and impolite behaviour that was identified on the Washington Post website was significantly more likely to be directed towards others participating in the discussion, compared to the Washington Post Facebook page where instances of incivility and impoliteness were less likely to be interpersonal, and more likely to be aimed at individuals not involved in the discussion, or used as a way to articulate an argument, rather than offend others.“
 
4. Auswirkungen auf Artikel: Forscher der Universität Wisconsin haben herausgefunden, dass negative Online-Postings zu journalistischen Texten Einfluss auf die Wahrnehmung des Leser des Artikels haben können (NYT-Bericht). Leser würden einen Bericht als negativer empfinden, wenn darunter aggressive Psotings zu lesen sind.
 
5. Social-Login-Systeme: Kommentar-Systeme wie Disqus, Lifefyre, IntenseDebate oder Gigya, die Online-Medien oder Blogger unter ihre Artikel hängen können, setzen stark auf die Login-Systeme von Google, Facebook und Twitter. Auch sie versprechen, dass sich u.a. dadurch die Qualität der Diskussion verbessern soll. Zwar werden auch andere Logins z.B. via LinkedIn, AOL, Yahoo oder E-Mail angeboten, doch die drei erstgenannten Web-Firmen dominieren immer das Netz (und v.a. Mobile) immer stärker. Social Logins sind zwar bequem für die Registrierung auf einer neuen Seite (anstatt einen neuen Account anlegen zu müssen, verknüpft man seinen Facebook-, Twitter- oder Google-Account mit wenigen Klicks mit der neuen Seite), schließen aber viele Menschen von der Nutzung aus. In Österreich haben etwa 40 Prozent der Bevölkerung einen Facebook-Account, in Deutschland etwa 35 Prozent. Viel mehr Internetnutzer aber haben einen E-Mail-Account.
 
6. Ventilfunktion: Kaum beleuchtet ist die These, ob Online-Foren als Ventil dienen können. Denkbar wäre, dass Menschen in anonymen Postings virtuell Dampf ablassen, anstatt im Realen andere zu beleidigen oder anzugreifen. Spannend ist auch der Gedanke, den der deutsche Soziologie Stephan Humer über anonyme Hass-Postings formuliert hat: „Man sieht viel eher den echten Menschen, weil er sich nicht mehr bemühen muss, die Regeln, die seine echte Identität verlangen würde, zu erfüllen“, so Humer zu futurezone.
 
7. Trollen unter Klarname: Die Nutzung echter Identitäten sind kein Garant für einen zivilisierten Umgangston in Online-Foren. Einschlägige Postings etwa auf Facebook-Seiten der FPÖ, aber auch der Occupy-Bewegung zeugen davon.
 
8. Identitätskontrolle: Online-Medien, die auf echte Identitäten bestehen – die Huffington Post etwa will dadurch die Qualität der Kommentare heben -, stehen vor einem Problem: Außer mit einer Ausweiskontrolle ist die Klarnamenpflicht nicht umsetzbar. Bei Facebook sind Menschen tendenziell mit echtem Namen angemeldet, wenn auch etwa zehn Prozent der Profile gefälscht sind oder erfundene Namen (Psyeudonyme) haben. Mit einer beliebigen E-Mail-Adresse und einem gestohlenen Foto lässt sich in wenigen Minuten ein Fake-Profil erstellen. Der fortlaufende Betrieb eines Fake-Profils ist nicht einfach (Facebook prüft, ob sich das Profil „menschlich“ verhält und nicht etwa zum Spammen dient), aber möglich.
 
9. Anonymität als Schutzschild: Die Möglichkeit auf anonyme Postings ist in einigen Bereichen wichtig. „Dass ein Klarnamenzwang die Qualität der Debatte erhöht, ist ein weit verbreiteter Glaube. Sicher wissen wir aber nur, dass ein solcher Zwang Nachteile mit sich bringt“, schreibt dazu Juliane Leopold, Social-Media-Redakteurin bei Zeit Online. „Leser werden ihre vertraulichen Informationen nicht unter Klarnamen teilen. Wer zum Beispiel auf seinen Verdienst als Leiharbeiter bei Amazon angewiesen ist, wird über die prekären Arbeitsbedingungen dort sicherlich nicht öffentlich schreiben, wenn ihm der Schutz der Anonymität verweigert wird. Viele internetversierte Menschen achten außerdem penibel darauf, was mit ihren Daten geschieht. Diese „digitale Bohème“ verlieren Sie für Ihre Community, wenn Sie von ihr verlangen, sich unter Klarnamen zu registrieren.“
 
10. EU-Datenschutzverordnung: Wenn die neuen EU-Datenschutzregeln so umgesetzt werden, wie sie heute am Tisch liegen, dann müssen Internet-Dienste ihren Nutzern die Möglichkeit einräumen, sie anonym oder mit Pseudonym nutzen zu können. Klarnamenzwang bei Postings wäre dann nicht erlaubt (PDF, Seite 225).

Image (adapted) „Writing with finger“ by Long Zheng (CC BY-SA 2.0)


 

ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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