Es ist Dezember und die Musikmagazine veröffentlichen wieder ihre zahllosen Jahresbestenlisten. Ganz oben mit dabei sind 2013 auch zwei Bands, die kaum verhohlene Kulturkritik an Smartphonenutzern & Co üben. Doch die kanadisch-US-amerikanischen Grammy-Gewinner Arcade Fire und die britischen Newcomerinnen Savages verfolgen dabei ganz unterschiedliche Strategien.
Nun mag es nicht unbedingt neu sein, dass sich Musiker über die „falschen Freunde“ in den sozialen Netzwerken oder dauerkommunikative und so dauerabgelenkte Daumenakrobaten mokieren. Lieder wie das ebenfalls in diesem Jahr erschienene „Too Many Friends“ von Placebo gibt es zuhauf und schon vor zwei Jahren erreichte „Nur noch kurz die Welt retten“ aus den Händen Tim Bendzko Platz Zwei der Charts und Platinstatus. Nicht wenige Käufer hatten in dem Refrain („Muss nur noch kurz die Welt retten / […] Noch 148 Mails checken […]„) einen spöttischen Kommentar auf die Generation Facebook gelesen. Dabei versuchte sich das lyrische Ich hier lediglich mithilfe eines falschen Vorwands etwas Freiraum zu verschaffen.
Musikalisch hat der seichte Gitarrenpop des singenden Theologiestundenten jedoch wenig mit der Überwältigungsmusik von Arcade Fire www.arcadefire.com/?, einem sechs+X-köpfigen Folk-Rock-Kollektiv aus Montreal, zu tun. Seit dem Debütalbum „Funeral“ stets euphorisch rezipiert, veröffentlichte man nun sein viertes Studioalbum und den Nachfolger des Grammy-gewinnenden US-#1-Albums The Suburbs. Im Titelstück „Reflektor“, in dem auch David Bowie einen kurzen Gastauftritt hat, holt der stets zu Nostalgie neigende Kopf der Band, Win Butler, bereits zu Beginn die bildliche Keule hervor:
Trapped in a prison, in a prism of light
Alone in the darkness, darkness of white
We fell in love, alone on a stage
In the reflective age
Er glaubte, singt Butler im Refrain weiter, einen Zugang, eine Eintrittsmöglichkeit gefunden zu haben. Aber nichts da: „It’s just a Reflektor!“ hallt es ohrwurmgenerierend nach. Wem die Metaphorik da vielleicht noch verschlossen bleibt, dem gibt der Künstler im Folgenden das Wort „screen“ zu nachträglichen Dechiffrierung an die Hand und in Vincent Morissets Musikvideo zum Song blickt eine Tänzerin ratlos in einen, einem iPad auffallend ähnlichen „Spiegel“.
Irritierenderweise bespielt jedoch kaum eine Band, derart stark die digitalen Kanäle wie eben Arcade Fire: Die Kampagne zum Album nahm epische Ausmaße. Das erwähnte Video allein war etwa nur eines von gleich zwei zum Song, noch dazu interaktiv. Schon lange arbeitet man dafür mit Google zusammen, um die visuellen Anwendungen extra für Chrome zuzuschneiden. Welch Doppelmoral!
Noch weiter weg von Bendzko & Co finden sich dann auch Savages. Die vier Londonerinnen erregten im Frühjahr mit ihrem ersten Album Silence Yourself! allerhand Aufmerksamkeit, was neben einigen herausragenden Konzerten und einem energetischen Post-Punk-Sound zwischen Siouxsie & The Banshees, The Slits und Joy Division auch an den Thesen des Quartetts lag. Dem Lied „Shut Up“ stellten sie u.a. ein Manifest voran – Auszug:
The world used to be silent
Now it has too many voices
And the noises are constant distraction
(…)
We live in an age of many stimulations
If you are focused, you are harder to reach
If you are distracted, you are available
You are distracted, you are available
(…)
We should be thinking about putting everything back together
Smartphones werden hier, aufgrund ihrer Dauerverfügbarkeit ermöglichenden Funktion, als Einfallstore für Konsum und Systemkonservierung sowie als Verhinderer einer nonkonformen politischen Aktionsbereitschaft ausgewiesen. Folgerichtig herrscht Handy- und Kameraverbot bei den Auftritten der Gruppe. Die Punk-Nachfolgerinnen bewegen sich dabei (teilweise) in sehr großer thematischer Nähe zu neuen konservativen Meinungsführern wie etwa Frank Schirrmacher. An die NSA hatten die Britinnen dabei noch nicht einmal gedacht.
Während sich bei Arcade Fire und den Bruce-Springsteen-haften Dimensionen, in die die vormalige Indieband in puncto Popularität und Ästhetik schon lange vorgestoßen ist, eine gewisse Reserviertheit gegenüber der Technik, Traditionsbewusstsein und die heimelige Suche nach dem „Echten“ noch mehr oder weniger „natürlich“ aus der Musik ergeben, haben die Savages ihren Look, ihren Sound und ihre Botschaften strikt konzipiert – noch bevor sie den ersten Ton aufnahmen. Dass sie das ohne ein großes Majorlabel oder einen allmächtigen Manager im Hintergrund taten, mag eine sehr schöne Pop-Erzählung sein. Doch ihre schnöde Ablehnung ruft letztendlich doch nur oberflächliche Impulse der Zu- oder Ablehnung ab, die sich schnell abnutzen werden, und verschließt so platt wie sie ist in letzter Konsequenz die Tür zu einer realen Gegenöffentlichkeit.
Interessanter (und nützlicher) wäre es gewesen, die Frage nach einem besseren, konzentrierten Nutzen all dieser Möglichkeiten zu stellen. So wirkt das Manifest nur wie das perfekte letzte Teil im Marketingpuzzle, welches die Band vor allem als einzigartiges Live-Erlebnis verkaufen will. Schade.
Image (adapted) “Blackberry recording“ by Josué Goge (CC BY 2.0)
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Schlagwörter: community, digitalisierung, Musik, Smartphone
2 comments
Ich kann mir schon vorstellen, daß es merkwürdig aussieht, wenn man auf der Bühne steht und lauter in die Höhe gestreckte Arme und smartphones sieht.
Da fragt man sich als Künstler bestimmt, ob die Leute überhaupt zuhören.
Die Bands haben ja nicht gesagt, daß man facebook usw. überhaupt nicht nutzen soll.
Ich finde daran nichts doppelmoraliges oder unglaubwürdiges.