Netzpiloten vor Ort: Das 30. Jahrestreffen des Chaos Computer Club in Hamburg wird von der NSA-Überwachung und der Entwicklung von Strategien gegen eben diese geprägt. // von Jakob Steinschaden
400 Teilnehmer waren es im bedeutungsschwangeren Gründungsjahr 1984, 8000 sind es 29 Jahre später: Zum 30. Chaos Communication Congress, kurz 30C3, kamen so viele an Technologie-Interessierte – vom Bastler über Hacker bis hin zu Netzpolitikern – wie noch nie zum derzeit in Hamburg stattfindenden Jahres-Event des Chaos Computer Club. Das Thema, das über der Veranstaltung hängt wie ein Damoklesschwert, ist natürlich die von Edward Snowden aufgedeckte NSA-Überwachung. Doch daneben gibt es auf dem 30C3 noch andere Dinge, mit denen sich eine Beschäftigung lohnt.
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Die NSA, vor der die Hacker-Szene seit Jahren warnt, überschattet naturgemäß das Jahrestreffen des Chaos Computer Club.
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8.000 Besucher sehen sich 130 verschiedene Vorträge an und werden wahrscheinlich insgesamt mehr als 11.000 Flaschen Mate trinken.
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Abseits der Bühnen bietet der Kongress Bastlern und Tüftlern einen Schauraum für ihre Hightech-Kreationen.
1. Den NSA-Skandal verarbeiten
Wurde im vergangenen Jahr, zum 29C3, noch die große Warnung vor der NSA-Überwachung ausgesprochen, so ist sie ein Jahr später Fakt. “Sprachlos” sind die Veranstalter ob der Fakten, die die jahrelangen Warnungen des CCC unterstreichen, weswegen es heuer kein Motto für den 30C3 gibt. Dennoch gilt: Die Hacker-Gemeinde will den NSA-Skandal verarbeiten und einen Ausweg aus der Misere finden. Deswegen geht es um Technisches wie verbesserte Kryptografie als Schutzschild gegen die Geheimdienstspionage, um Hilfsmittel zur Sicherung der Anonymität im Internet, um Strategien gegen die Überwacher. Nein, um die NSA kommt man am 30C3 auf keinen Fall herum.
2. Szene-Größen lauschen
Am 30C3 stellt man sich nach den Snowden-Enthüllungen die große Frage: Wie umgehen mit dem wahr gewordenen Albtraum? Inspiration dazu können sich die Besucher bei den geladenen Sprechern holen, allen voran Keynote-Speaker Glenn Greenwald, der mit Snowden für den britischen Guardian eng zusammen arbeitete, um die Dokumente zu veröffentlichen. Szene-Star Jacob Appelbaum, der bei WikiLeaks tätig war, an der Anonymisierungs-Software TOR mitarbeitet und zu den Kontaktleuten von Snowden zählt, spricht zu verschiedenen Themen von NSA bis Anonymisierung, und auch die Videoschaltung zu WikiLeaks-Gründer Julian Assange, der immer noch in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt, ist ein Publikumsmagnet. Weiters gibt Jan Philipp Albrecht, grüner EU-Parlamentierer, Auskunft über den Status Quo der stockenden EU-Datenschutzreform, und Künstler Trevor Paglen zeigt, wie er die Überwacher überwacht.
3. Ein Indoor-Festival mitveranstalten
Bei CCC-Veranstaltungen geht es nur maximal zur Hälfte um das, was auf den Bühnen gezeigt und geredet wird. Auf den Gängen des Hamburger Congress Center, seit 2012 Austragungsort des Hacker-Festivals, passiert ziemlich viel. Bastler und Computer-Freaks mieten sich große Tische, an denen vier Tage lang programmiert und gelötet wird, was das Gerät hergibt. Außerdem gibt es verschiedene Netzwerk-Treffen, bei denen Gleichgesinnte – “ich will irgendwas mit Social Networks machen” – zusammenfinden können. Insofern ähnelt der 30C3 einem Rock-Festival – dort fährt man auch nicht nur wegen den Bands auf der Bühne, sondern auch wegen dem Spaß am Camping-Platz hin.
4. Basteln und Tüfteln
Ohne sie wäre ein Chaos-Computer-Club-Treffen kein Chaos-Computer-Club-Treffen: Die Bastler und Tüftler. Vom selbstgebauten Quad-Copter über ferngesteuerte Club-Mate-Kisten bis hin zu bunt leuchtenden Plastikkübelwänden kann man am 30C3 verschiedenste Basteleien bestaunen. Das neueste Lieblingsspielzeug der Geeks und Nerds ist aber die „Seidenstraße 2.0“: Diese von der Künstler-Truppe Telekommunisten aus Plastikrohren und Industriestaubsauger gebautes Rohrpost-System wird augenzwinkernd als würdiger Nachfolger des Internet bezeichnet und kann auf zwei Kilometer Länge Kapseln durch das Hamburger Congress Center schicken – die Staubsauger saugen bzw. blasen die bis zu einem Kilo schweren Geschosse, die stilecht im 3D-Drucker gefertigt wurden, durch die Rohre. Wer also Lust hat, kann am 30C3 seine selbstgebastelte Rohrpost durch die gelben Rohre, die sich durchs ganze Gebäude schlängeln, schicken.
5. Club Mate trinken
Anders als auch vielen anderen Kongressen geht es am 30C3 eigentlich erst gegen Abend so richtig los. Die Hauptredner sprechen am Abend, und das Programm inklusive “Hacker Jeopardy”, “Googlequiz” oder der Jahresrückblick des CCC dauert lange bis nach Mitternacht. Wer möglichst viele der 130 Vorträge sehen und zusätzlich etwas vom Rummel rundherum mitbekommen will, braucht also viel Koffein. Diesen munter haltenden Stoff führen sich die Hacker am liebsten in Form von Mate-Getränken zu, die nicht umsonst auch Hacker-Brause genannt werden. Im Vorjahr, am 29C3, wurden rund 11.000 Club-Mate-Flaschen konsumiert, und das dürfte heuer noch einmal getoppt werden.
6. Hacken
Ja, natürlich wird auf einem Hacker-Kongress auch gehackt. Auf der Bühne wird in der Theorie durchgegangen, wie etwa mobile Netzwerke, die Daten-Brille Google Glass oder Bankomaten geknackt werden, auf den Gängen wird an der Praxis geübt. In bestimmten Bereichen des 30C3 – typischerweise dunkle Räume, in denen junge Männer in schwarzen Kapuzenpullis über ihre noch schwärzeren Notebooks gebeugt in Gruppen sitzen – ist Fotografieren strengstens verboten. Was genau da in grünen und weißen Zeichen über die dunklen Bildschirme flimmert, mögen nur Experten sagen können. Ziemlich sicher ist, dass über die 100-GBit-Leitung, an die sich der 30C3 gehängt hat, auch die eine oder andere Attacke auf Webseiten laufen dürfte. Auch die Besucher, die sich ins hauseigene WLAN-Netz einloggen, sind gewarnt: Die Veranstalter geben jährlich eine “How to Survive”-Liste heraus, in der auch ausführlich auf die Sicherung der eigenen mitgebrachten Computer eingegangen wird.
7. Schlösser knacken
Regelmäßig bei den Chaos Communication Congresses vertreten: der SSDeV, besser bekannt als die Sportsfreunde der Sperrtechnik. Der Verein übt sich Hobby-mäßig in der Kunst des Schlossöffnens und will daran auch die Hacker-Gemeinde teilhaben lassen. Interessierte können sich am SSDeV-Stand in die Geheimnisse der Sperrtechnik einweisen lassen und einmal im Trockenen probieren, wie sie eine Türe aufbekommen – etwa mit Dietrich oder mit Kreditkarte. Zum Diebstahl soll das Ganze natürlich nicht animieren, vielmehr verfolgt man “ausschließlich gemeinnützige Ziele durch die Pflege und Förderung des Amateursports und der Volksbildung zum Nutzen der Allgemeinheit”. Gebrauchen kann man das erworbene Wissen ja auch, wenn man sich einmal selber aussperrt und sich den Schlüsseldienst ersparen will.
8. Crypto-Party machen
Für Party im herkömmlichen Sinn gibt es am 30C3 genügend Gelegenheit – etwa bei Electro-DJ-Sound und mit Mate versetzten Cocktails, aber es gibt auch ein wenig ernstere Partys – Crypto-Partys. Bei den Zusammenkünften vermitteln Spezialisten Interessierten, wie sie sich im Internet bzw. ihre Computer verschlüsseln und so vor Fremdzugriff schützen können.
Teaser & Image by Jakob Steinschaden
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Schlagwörter: 30C3, Aktivismus, hacker, hamburg, kongress, Netzpolitik, NSA