Perettis Geheimwaffe bei BuzzFeed hat einen Namen: Ky Harlin

BuzzFeed ist eines der meist diskutierten Medienportale der jüngsten Vergangenheit, doch dabei wird wenig über die datengetriebene Viralität des Unternehmens gesprochen. // von Tobias Schwarz

Ky Harlin (Bild: Macey J. Foronda)

BuzzFeed gibt Rätsel auf. Warum ist diese nur wenige Jahre alte Nachrichtenseite so erfolgreich? Ist das noch Journalismus? Und warum sind Listen voller GIF-Bilder beliebter als die Artikel der Medien aus dem Land von Schiller und Goethe? Das sind die falschen Fragen und dies, obwohl jeden Tag über BuzzFeeds Geheimnis diskutiert wird. Daten sind der Ursprung des Erfolgs und ein junger Mann weiß sie zu analysieren: Ky Harlin.


  • Der Erfolg von BuzzFeed wird vor allem durch einen Mathematiker namens Ky Harlin begründet.
  • Harlins Algorithmen können vorhersagen, welche Artikel viral werden und welche nicht.
  • Durch die Analyse des Verhältnisses von Inhalt und Viralität verbessert BuzzFeed seine Redaktionen täglich.

Ist BuzzFeed noch Journalismus?

Journalismus in Deutschland hat in all den Jahren seiner Geschichte hohe Normen entwickelt, weshalb die Medien, die diese Normen erfüllen, oft mit dem Prädikat “Qualitätsjournalismus” betitelt werden. Viralität und Reichweite gehörten bisher nicht dazu, doch das Internet ist ein berechenbares Feld, dass nach neuen Regeln funktioniert. Langsam wird das auch hierzulande erkannt, doch in den USA sind die Medien die berühmten zwei oder drei Schritte voraus. Vor allem BuzzFeed, dass sich als journalistisches Projekt versteht, was von den meisten traditionellen Medienmachern diskutiert wird, doch vor allem beeindruckt BuzzFeed durch seinen Erfolg. Der Artikel zu einem politischen Thema hat dabei genauso seinen Platz au der Seite wie die bilderreichen Listen.

Alle Artikel haben aber eine entscheidende Gemeinsamkeit: sie produzieren Daten. Sei es ein Artikel über Homosexuelle in der russischen Provinz, eine bücherlose Bibliothek oder die 16 besten Instagram-Accounts aus dem Herzen Texas, am Ende erfährt BuzzFeed jede Menge über seine Leserschaft und ihre Gewohnheiten. Das ist jedenfalls genauer als die sicherlich ebenso korrekte Annahme, dass Menschen Qualität schätzen. BuzFeed weiß, dass in Wirklichkeit auch einmal unterhaltsame oder leichtere Lektüre bevorzugt wird oder eben etwas mit vielen Bildern.

BuzzFeeds Geheimwaffe: Ky Harlin

Dieser Erkenntnis hat aber nichts mit Journalismus zu tun, sondern mit nur einem Mann: Ky Harlin. Der studierte Mathematiker hat vor seiner Zeit bei BuzzFeed im Bereich der medizinischen Forschung gearbeitet und mathematische Analysemethoden und Software für Nuklearmedizin entwickelt. Im Gegensatz zu seinen bloggenden Kollegen bei BuzzFeed und den meisten Redaktionen ist er für US-Amerikaner die Verkörperung des meist spöttisch titulierten Rocket Scientist – jemand unglaublich Kluges, der in einem Bereich arbeitet, in dem diese Intelligenz nicht gefragt ist – und das ist das eigentliche Geheimnis von BuzzFeeds Erfolgs. Wie schon David E. Shaw Ende der 80er Jahre bei der Gründung des Hedgefonds D. E. Shaw & Co. (DESCO) anstatt auf Finanzexperten nur Mathematiker und Informatiker einstellte (u.a. den späteren Amazon-Gründer Jeff Bezos), um durch Trading-Algorithmen die Finanzwelt zu revolutionieren, setzt BuzzFeed-Gründer Jonah Peretti auf Zahlen anstatt Buchstaben. Und Harlin ist der, der diese Zahlen findet und auswertet.

Harlin kann mithilfe mathematischer Kombinationsverfahren (Permutation) und eigens entwickelten Algorithmen genauer berechnen, welche Geschichte viral wird und welche nicht. Perettis Entdeckung kam 2010 zu dem damals noch jungem Projekt und sorgte mit seinen Ergebnissen für einen enormen Anstieg der Seitenaufrufe, denn die humorvollen Listen, meist gefüllten mit GIFs, kommen sehr gut an und werden von der Leserschaft gerne in den sozialen Netzwerken geteilt. Doch wie kam Peretti auf den jungen Mathematiker? In ersten Mails, die sich Peretti und Harlin schrieben, erklärte der BuzzFeed-Gründer, dass es bei der Analyse von Viralität journalistischen Contents genauso wie bei Harlins Arbeit in der Nuklearmedizin darum gehe, in Unmengen von Daten ein Muster zu erkennen. Als Harlin sich immer mehr dafür begeisterte heraus zu finden, wie Content geteilt wird und was ihn viral macht, wusste Peretti, dass er den richtigen Mann für sein Unternehmen gefunden hatte.

BuzzFeed setzt mit aller Konsequenz auf Algorithmen

Die lockere Atmosphäre eines Startups genießend, entwickelte Harlin spezielle mathematische Formeln, mit denen er die Inhalte der Artikel auf Eigenschaften untersuchte, die ihm vielleicht Vorhersagen liefern konnten, ob ein Artikel viral wird oder nicht. Mit Erfolg, weshalb Peretti diese Algorithmen hütet wie seinen Augapfel. Harlin gab dem American Journalism Review eine allgemeine Beschreibung seiner Arbeit bei BuzzFeed ab, in dem er den Ansatz seiner Datenanalyse erklärte: „Es gibt viele Variablen, die wir betrachten, sowohl quantitative als auch beschreibende. Quantitative Faktoren sind Dinge wie die Anzahl, wie oft etwas auf zum Beispiel Facebook geteilt wurde, während beschreibenden Faktoren darauf achten, was im Text des Artikels stand. Maschinell lernende Algorithmen helfen uns dann, das Verhältnis zwischen diesen Variablen zu erkennen und sie anzuwenden.“

Die Erkenntnisse, die Harlin so findet, werden in dem laut Kritikern hart geführten Redaktionen eins zu eins umgesetzt. Für Dao Nguyen, Direktorin für Wachstum bei BuzzFeed, hat Harlins Arbeit revolutionäre Auswirkungen auf das Unternehmensmodell: “Er fragt sich, wie diese Daten zu einer besseren Lesererfahrung auf BuzzFeed führen können. Dabei versteht er es, die sinnvollen Daten von anderen zu erkennen, und wie diese für die Redaktionen und das Marketing wertvoll sein könnten”. Das ist viel Arbeit für Harlin, denn BuzzFeed produziert am Tag etwa 400 bis 500 Artikel – rund dreißig Mal soviel, wie zum Beispiel taz.de am Tag veröffentlicht. Neben Redakteuren und Redakteurinnen gibt es auch noch Community-Moderatoren, BuzzFeeds zweite Erfolgsstrategie, die Content finden oder erstellen und dann veröffentlichen.

Daten als Teil des Redaktionsprozesses

Auch wenn die Datenanalysen wichtig für BuzzFeed sind, sie sind nicht das Maß aller Dinge. Harlin produziert keine Ergebnisse, die er wie Gebote an die Redaktionen weitergibt, er versucht von Anfang an viel mit den Redaktionen und auch der Marketingabteilung zusammenzuarbeiten und sich mit den Herausforderungen der einzelnen Abteilung vertraut zu machen. Wo es sinnvoll ist, verbindet er die Abteilungen mit den Daten und hilft ihnen, seine neuen Erkenntnisse in ihre Arbeit zu integrieren. Den Rest seines Arbeitstages macht Harlin sich wieder Gedanken über die Viralität von journalistsichem Content, wie diese besser vorhergesagt werden kann und wie sich die Viralität stets verlängern lässt. Mit Redaktionsmeetings und Blattkritiken hat das alles nicht mehr viel zu tun.


Teaser & Image by Macey J. Foronda


ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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