Videokolumne vom 19. Januar 2014

In der Videokolumne diese Woche: NDR und SZ zeigen den Geheimen Krieg der USA (gegen wen eigentlich?), arte zeigt einen Nacktmull und Jean Genet zu viel für seine Zeit. // von Hannes Richter

Es ist so eine Sache mit den Mediatheken und Videoplattformen: Für viele Digital Natives sind sie schon Fernsehersatz – vieles ist überall abrufbar, manches aber nur auf Zeit: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme in den Mediatheken der Sender sind oft nach einer Woche wieder offline. Verlängertes Fernsehen statt digitales Archiv. Bevor sie verschwinden, fischt Hannes Richter die besten Perlen des TV-Vielfalt aus den Online-Archiven und präsentiert sie in seiner wöchentlichen Kolumne.


WAHRHEITEN HINTER FASSADEN UND ZÄUNEN: Geheimer Krieg

Das gemeinsame Projekt Geheimer Krieg der Süddeutschen Zeitung und des Teams des Politmagazins Panorama sucht seinesgleichen: Medienübergreifend widmen sich die Journalisten John Goetz (NDR) und Christian Fuchs einem Thema, von dem wir alle eigentlich schon die Nase voll haben: NSA, Überwachungsstaat, Big Brother. Dazu gehören ein Buch, begleitende Artikel in der Printausgabe der Süddeutschen, ein leider etwas unübersichtlich geratener Snowfall auf der Webseite und eben diese Themenausgabe des Reporter-Magazins von Panorama. Das große Verdienst dieser beklemmenden Reportage ist der kritische Blick, den die Reporter auf das amerikanische Narrative von der „wertvollen Debatte“ (wo doch totschweigen gemeint ist) oder der Schandtat eines Vaterlandsverräters (Snowden) werfen. Sie illustrieren mit klug gewählten Beispielen und hartnäckiger Reporterarbeit die ganze Monstrosität der globalen amerikanischen Geheimdienstaktivitäten. Dass das auch lustig sein kann, zeigt ein Ausschnitt, in dem sich der Reporter mit der „tanzenden Überwachungskamera“ vor einem NSA-Komplex beschäftigt.

In Wirklichkeit geht es bei dem ganzen Themenkomplex weniger um Merkels Handy als um Menschenleben – um den somalischen Familienvater, der ein Recht darauf hat, zu erfahren, warum seine Familie bei einem Drohnenangriff getötet wurde. Und um ein gigantisches diplomatisches Paradigma, dem sich alle mit den USA verbündeten Staaten unterwerfen: Die totale Narrenfreiheit der US-Behörden, die weltweit auf Knopfdruck Menschen töten können – ohne Prozess, ohne Verfahren, ja manchmal ohne Veröffentlichung der Namen der oft genug zivilen Opfer. In Deutschland heißt das ganz konkrete Unterstützung bei der Informationsbeschaffung für bevorstehende Drohnenangriffe, aber auch stillschweigende Akzeptanz. Wussten Sie um Beispiel, dass die tausende Kilometer vom Zielort entfernt am Joystick sitzenden Piloten ihr Handwerk auf deutschem Boden lernten? Oder dass die US-Firma CSC an Entführungsprogrammen beteiligt war, unter anderem an der Verschleppung des unschuldigen Deutsche Khaled el-Masri nach Guantanamo? Der deutsche Ableger des Konzerns sitzt im beschaulichen Wiesbaden und verdient gutes Geld mit öffentlichen Aufträgen wie dem elektronischen Personalausweis. Die Macher von Geheimer Krieg legen den Finger in die offenen Wunden der deutsch-amerikanischen Freundschaft.


GROSSES FERNSEHEN: Das letzte Schweigen

AUS DER MEDIATHEK – ZDF +++ vom 14. Januar, aus Jugendschutzgründen nur ab 22:00 Uhr abrufbar:
Deutsche können keine Serien. Die wenigen Leuchttürme wie die herausragende weil sich selbst nicht so ernst nehmende Sitcom Lukas aus den 90ern (die einzige deutsche Produktion, die diese Genre-Bezeichnung verdient) oder Dominik Grafs Epos Im Angesicht des Verbrechens (das aber auch schon recht bemüht daherkam) sind eher die Ausnahme. Sicher kann noch der ein oder andere Ausreißer mit aufgezählt werden, aber Serienland Nummer eins sind die USA. Natürlich wegen der schieren Anzahl an guten Serien, die auch immer mehr hierzulande geschaut werden. Aber auch, weil US-Serien stilbildend sind. Lukas und Im Angesicht des Verbrechens waren so gut, weil sie bis zu einem bestimmten Grad auch kopiert haben, ähnlich wie es die heute show mit Jon Stewarts Daily Show macht.
Und was hat das mit einem solide gemachten und spannenden Thriller des Kleinen Fernsehspiels im ZDF zu tun? Eine Menge, denn auch in Baran Bo Odars Das letzte Schweigen finden sich viele Elemente einer klassischen US-Serie wieder. An der ein oder anderen Stelle nimmt man dem Regisseur übel, wenn Plottwists, Kameraeinstellungen und Polizeialltag ein bisschen arg nach The Killing aussehen. Doch hängen bleibt: Hier hat jemand genau hingesehen und verstanden. Und eine kleine Redaktion gibt ihm die Möglichkeiten, dass zu zeigen. Das Kleine Fernsehspiel ist schon lange ein Hoffnungsschimmer im öffentlich-rechtlichen Content-Kochtopf und wird seinem Ruf wieder mal gerecht.


SÜSS: Der Nacktmull

AUS DER MEDIATHEK – arte +++ vom 14. Januar, online voraussichtlich bis 21. Januar:
Was kann eigentlich der Nacktmull dafür, dass er so gar nicht in die Schönheits-Vorstellungen des Menschen passt und ihm deswegen der zweifelhafte Ruf des „hässlichsten Tiers der Welt“ vorauseilt? Natürlich nichts. Und Gott sei Dank scheint das den in Ostafrika beheimateten, haarlosen Nager auch selbst nicht die Bohne zu interessieren. Seine vermeintliche Skurilität beschert uns aber so informative wie unterhaltsame Natursendungen wie dieses X:ENIUS-Special auf arte. Dabei erfährt man nicht nur allerlei Gründe, warum es gerade seine äußeren Eigenschaften sind, die das Tier so besonders machen. Die Moderatoren und Sprecher, die sie sich an manchen Stellen kaum das Lachen verkneifen können, nehmen den Zuschauer auch mit in eine Welt der Fun-Facts (25 % der Muskelmasse eines Nacktmulls befinden sich im Kiefer), die sich nur bei oberflächlicher Betrachtung als unnützes Wissen heraus stellen. Es wird Zeit, dass dieses fantastische Tier seinen Platz zwischen Känguru, Panda und Koala einnimmt.


VISIONÄR: Un Chant d’Amour von Jean Genet

Zum Schluss noch ein besonderes Schmankerl: Der Kurzfilm Un Chant d’Amour (Ein Liebeslied) aus dem Jahr 1950 ist ein einzigartiges Werk aus der frühen Schaffensphase des französischen Ausnahme-Schriftstellers und Intellektuellen Jean Genet. Auch wenn er sich später von dem Film über die erotischen Fantasien zweier nur durch eine Wand getrennten Gefängnisinsassen distanzierte, nimmt das Werk doch viel von Genets immer währender Auseinandersetzung mit bürgerlichen Moralvorstellungen und erotischen Grenzerfahrungen vorweg. Nicht umsonst wurde der Film 1966 mit einem Aufführungsverbot in den USA belegt. Ein besonderes Erlebnis mit einer „highly sexualized atmosphere“, wie Wikipedia ihn beschreibt. Wer sich dem hingibt, erkennt viele Elemente in Genets Kunstwerk (es sollte sein einziger Film bleiben), die später auch in den Filmen Warhols oder der Fotografie eines Terry Richardson zu erkennen sind.


Teaser by Paulae (CC BY 3.0)

Image by Roman Klementschitz, Wien (CC BY 2.0)


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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