Videokolumne vom 2. Februar 2014

In der Videokolumne diese Woche: Das Medienmagazin ZAPP von zwei Seiten, die Macher des Guardians und das Leben des legendären Schriftstellers William S. Burroughs. // von Hannes Richter

Es ist so eine Sache mit den Mediatheken und Videoplattformen: Für viele Digital Natives sind sie schon Fernsehersatz – vieles ist überall abrufbar, manches aber nur auf Zeit: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme in den Mediatheken der Sender sind oft nach einer Woche wieder offline. Verlängertes Fernsehen statt digitales Archiv. Bevor sie verschwinden, fischt Hannes Richter die besten Perlen des TV-Vielfalt aus den Online-Archiven und präsentiert sie in seiner wöchentlichen Kolumne.


KRITIK DER MEDIENKRITIK: Das Debakel mit dem Snowdon-Interview bei ZAPP

AUS DER MEDIATHEK – NDR +++ Sendung vom 29. Januar: Ob es daran liegt, dass man in Deutschland nicht so gern über den Tellerrand schaut? Hierzulande streitet man über den Sendeplatz des letzten Sonntag ausgestrahlten welt-exklusiven Snowden-Interviews in der ARD, woanders herrscht Funkstille. Worum es im Interview eigentlich geht, bekommt so kaum jemand mit, denn der Skandal spielt sich jenseits der Gremien und nicht in Jauchs Schnarch-Talk oder den reißerischen Schlagzeilen der Medienseiten („Gute Nacht, ARD“) ab. Während hier allerlei Medienfuzzis dem Zuschauer Sand ins Gesicht streuen (schlimm, weil glaubhaft unbeabsichtigt), traut sich kein US-Sender an das heiße Eisen. Selten war die etwas platte Pauschalkritik an den Mainstream-Medien berechtigter als in diesem Fall. Selbst Youtube, als Google-Tochter kein unbedeutender Faktor in der weltweiten Diskussion um Privatsphäre und Überwachung, sperrt das Interview offenbar sofort für amerikanische Nutzer, wie der Aktivist Jay Syrmopoulos auf benswann.com empört feststellt.
Wenn also das sonst so klug-kritische NDR-Medienmagazin ZAPP allen an der Programm-Misere Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich zu rechtfertigen, dann bleibt ein fahler Beigeschmack. Rechteinhaber Ulrich Lenze von der ARD-Tochterfirma Cinecentrum möchte das Interview vermarkten, da stört der freie Zugang nur, und Autor Hubert Seipel scheint es zu reichen, wenn „die wesentlichen Teile international“ im Fernsehen laufen. Man hat das Gefühl, sie haben nichts verstanden. Inzwischen ist das volle Interview im (deutschen) Netz zu sehen, nach dem Erbarmen der Rechteinhaber nun auch in der englischen Version.


HELDEN: Interviews mit den Guardian-Machern

AUS DER MEDIATHEK – ARD und NDR +++ Sendungen vom 26. und 29. Januar: Natürlich braucht Edward Snowden den Schulterschluss mit den Massenmedien und die ARD verdient Anerkennung für das erste Fernsehinterview mit dem jungen Exilanten. Doch ein solches Massenmedium trägt auch Verantwortung. Der britische Guardian hat sich wie keine zweite Zeitung im vergangenen Jahr um den internationalen Journalismus verdient gemacht. Der Dienst, den Glen Greenwald und Edward Snowden der Weltöffentlichkeit geleistet haben, ist gar nicht zu überschätzen und es ist diese eine Zeitung, geführt von einem kompromisslos sturen Chefredakteur, die den beiden den Rücken frei hält und ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre. Dafür steht der Guardian enorm unter Druck, die öffentliche Anhörung des Chefredakteurs Alan Rusbridgers war nur der sichtbarste Teil des „Ermüdungskriegs“ der britischen Regierung gegen das Blatt, wie es der deutsche Mitarbeiter Wolfgang Blau nennt. Er ist im Verlag für die Digitalstrategie des Blattes und einer von zwei Interviewpartnern, mit denen die Journalistin Annette Wittert in der letzten Woche für die ARD gesprochen hat. Für das Medienmagazin ZAPP steht noch ein anderes Thema auf der Tagesordnung: Wie stellt der Guardian seine Finanzierung sicher, als zur Zeit wohl berühmteste kleine Zeitung der Welt, mit einem frei abrufbaren Online-Angebot. Im Weltspiegel gibt es dann ein kurzes Porträt des Chefredakteurs selbst.
Wenn nun im Internet der Ruf nach einem Friedensnobelpreis für Edward Snowden laut wird, sollte eigentlich der Guardian mit eingeschlossen werden. Eine wünschenswerte Wiedergutmachung für die skurrile Auszeichnung Barack Obamas im Jahr 2009 und eine Überraschung, die dem Osloer Komitee zuzutrauen wäre.

ZAPP veröffentlicht auf seiner Seite übrigens das ganze Interview mit Wolfgang Blau, während in der Sendung nur eine in einen Beitrag eingebettete, kürzere Variante gesendet wurde. Eine schöne Vorgehensweise, die ein bisschen an die Extended Interviews aus Jon Stewarts Daily Show erinnert. Wenn dort der Moderator während des Gesprächs feststellt, dass es sich lohnt, länger zu sprechen, bricht er zur geplanten Zeit ab und bittet die Zuschauer einfach im Netz weiterzuschauen (wie hier bei der superlangen Ausgabe mit der Chefin der Demokraten im US-Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi).


LEGENDE: William S. Burroughs – A Man Within

AUS DER MEDIATHEK – arte +++ vom 29. Januar, nur noch bis 5. Februar online:
Kennen Sie das, wenn in einer Dokumentation oder einem Beitrag eine deutsche Stimme als Over-Voice übersetzt und man hört einen Fehler? Oft ist es auch Absicht. Die Übersetzung ist sich bewusst, dass sie nicht perfekt sein kann und lässt manchmal sogar einiges vom Original stehen. Bei der Suche nach einem Einstieg in eine sehr, sehr warme Empfehlung für diese Dokumentation über die amerikanische Popkulturikone William S. Burroughs bin ich über ein solches Beispiel gestolpert. Die Journalistin Regina Weinreich beschreibt den Einfluss von Naked Lunch, Burroughs berühmtestem Werk: „Das Buch leitete außerdem die Ära der Hipster ein, weil es so beispiellos subversiv war“ übersetzt die Sprecherin. Ach ja, subversiv gleich Hipster? Da müssen wir genauer hinhören: „It inaugurated the era of hip because it was so subversive that it had its own cachée.“ (bei 57:25). Sicher, die Übersetzung ist irgendwie okay. Die Journalistin hat ihr ganzes Leben über die Generation der Beat-Poeten geschrieben, Zwischentöne und Camouflagen sind ihr nicht fremd und sie nutzt dieses Wort nicht unbeabsichtigt. In diesem Abschnitt der Dokumentation geht es um den Blick von außen auf die urbane westliche Kultur und die Suche nach „vollkommener Aufrichtigkeit“ („Complete Sincerity,“ Burroughs, 1955). Doch während sich diese Fragen für den drogensüchtigen Autoren ganz und gar existenziell stellten, zeichnet sich die Subversität des Hipstertums durch eine ungefährliche Sinnsuche aus dem Komfort des Mittelstands heraus aus. „Hip“ ist hier also eher eine kulturelle Einbahnstraße, an deren Ende James Franco Spring Break feiert.
Viele Zeitzeugen, Freunde und Collaborators tragen zu diesem unglaublich lehrreichen Porträt einer Ausnahmepersönlichkeit bei und beleuchten die Wurzeln seines künstlerischen Schaffens ebenso wie den immensen Einfluss William S. Borroughs auf seine und zukünftige Generationen.


EIN HOCH AUF UNSER’N BUSFAHRER: Mukhtars Fødselsdag

Virale Videos zu empfehlen ist immer ein bisschen komisch, erstens ist man bei einer wöchentlichen Kolumne sowieso meist zu spät dran und zweitens soll es hier ja um mehr gehen als den letzten viralen Hype und überhaupt: ein Flashmob? Och nee… Doch! Diese Aktion des städtischen Busunternehmens in Kopenhagen ist zu zuckersüß um nicht weitergegeben zu werden. Die Firma bedankt sich auf eine besondere Weise bei einem Busfahrer. Der denkt schon als die Fahrgäste anfangen, gemeinsam ein Geburtstagsständchen zu singen, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte – und dann schaut er auf die Straße. Klar, nutzt die Firma das auch zur Imagepflege, Millionen Klicks sind vorprogrammiert. Und trotzdem, die Überraschung des Fahrers ist echt und der Ansatz voll korrekt. Es soll nämlich hierbei die vielen migrantischen Fahrerinnen und Fahrer des Unternehmens gefeiert werden. Schnief.


WATSCHEN: Bruno Ganz bei der Goldenen Kamera

Deutschland, deine Preise. Niemand weiß, warum die bekanntesten Auszeichnungen mit den angeblich glamourösesten Fernsehgalen, oft im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eigentlich das Privatvergnügen zweier Medienunternehmen sind. Die Preise werden an Hollywoodstars vergeben werden, wenn die mal zufällig im Land sind oder teuer eingekauft werden konnten. Für inländische „Stars“ werden gerne mal Kategorien erfunden, wie der legendäre Integrationsbambi an Bushido. Nun hat die Goldene Kamera gerade noch einen besseren Ruf, sitzen hier doch zumindest Fachleute in der Jury. Doch Bruno Ganz, dem gestern der Preis für sein Lebenswerk überreicht wurde, nutzt seine Dankesrede für eine launige Watschen an Friede Springer, deren Verlag bis zum letzten Jahr noch Herausgeber der veranstaltenden Hörzu war. Normalerweise meide er solche Veranstaltungen, vermeldet er, bevor er von zwei peinlichen Situationen erzählt. Ob es sich dabei um eine persönliche Abrechnung mit der nicht anwesenden Verlegerin handelte oder Ganz kräftig nachtreten wollte, weil sich keiner der ehemaligen Preisstifter hat blicken lassen, weiß niemand. Spaß macht es allemal und die falsche trifft es auch nicht.


Teaser by Paulae (CC BY 3.0)

Image by Daniel Catt (CC BY 2.0)


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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