„Cloudcuckoohome – Geschichten aus der digitalen Wolke!“ Hier resümiert die Netzpiloten Kolumnistin Miriam Pielhau regelmäßig über ihr tagtägliches Leben in der digitalen Welt.
Mit der verbalen „Stempelisierung“ von Umständen, Personengruppen oder Ereignissen, vorzugsweise durch kreative Wortschöpfungen, macht man mir generell eine große Freude. Unbedeutend in dem Fall, ob dann nach anständiger Be- oder Abnutzung des Begriffs durch Mensch und Medien die Schmähung als Unwort-des-Jahres folgt. Gerne bin ich die erste, die sich an der Neukombination von Buchstaben zur Frisch-Etikettierung von Trends ergötzt. Und diese mal mehr, mal minder originellen Begrifflichkeiten auch inflationär benutzt. Es gab schon längst keinen „Tweef“ mehr (Sie erinnern sich: Twitter + Beef = Tweef) zwischen Boris Becker und Oliver Pocher, da habe ich immer noch enthusiastisch kleinste Zwitscher-Diskurse so betitelt und in Plauderrunden bei Freunden wortgewaltig abgefeiert. Das, was mir jüngst unter das lesende Auge kam, hinterlässt zum ersten Mal keine Begeisterung. Sondern nur einige zusätzliche Falten auf der Stirn. Ich weiß nicht einmal mehr, ob es ein von mir geschätzter Autor oder ein bevorzugtes Print-Organ war, dem ich diese Entdeckung zu verdanken habe, oder ob sich die „Neu- Benennung“ aus dem Kosmos der Unbedeutsamkeit in mein Gedächtnis gebrannt hat. Jedenfalls las ich etwas über junge, aufstrebende, selbstredend hippe Menschen in Berliner S-Bahnen und deren Wirkung auf die Umwelt. Und was am Ende des Tages und des Artikels übrig blieb war das niederschmetternde Urteil „Nach unten“. Genauer: Generation „Nach unten“. Das klang nicht sexy, nicht cool, noch nicht mal irgendwie lustig. Eher wie das jammernde Gegenteil von jung und hip und undsoweiter. Wie war es dazu gekommen? Nun. Der Wortschöpfer hatte sich seine Mitmenschen sehr genau angesehen. Beziehungsweise: er hatte es versucht. Aber, was ihm ins Auge stach, waren keine Blicke die schnell abgewandt wurden, sondern gesenkte Häupter. Freie Sicht auf Basecaps, zweifarbige Haaransätze oder Kapuzenspitzen. Denn: die Meute sah kollektiv nach unten. Nicht in den Schoß, nicht auf die Füße, nicht auf den schmierigen S-Bahn-Boden. Nein. Auf die Smartphones natürlich. Wohin auch sonst in der Welt 2.0. Im Text wurde sich darüber chronistenpflichtgemäß aufgeregt. So weit nichts ungewöhnliches. Denn wir alle kennen das Bild. Mich hat diese Stempelisierung allerdings nicht losgelassen. Die Gedanken hingen noch einige Stunden in meinem Kopf als ich durch Zufall auf eine Fotografie aus der Zeit der Weimarer Republik stieß. Eine Aufnahme aus einer Tram. Vollbesetzt. Adrett gekleidete Menschen. Männer zumeist. Alle starren vor sich. Was der Betrachter der Fotografie nur erahnen kann, denn jeder hielt vor sich eine Zeitung. Jeder. Bis auf einen Passagier. Der sah aus dem Fenster. Mit diesen Eindrücken und den vielen Fragen, die schwirrten, wand ich mich an die Zielgruppe. Weit musste ich dafu?r nicht gehen. Denn mein um einiges jüngerer Bruder erfüllt alle Parameter. Was hat es auf sich mit der Generation „Nach unten“, fragte ich ihn. „Ich lese auch in der S-Bahn.“ „Auf dem Handy? E-Books?“ „Nein. Richtige Bücher. Dieses hier aktuell.“ Er wedelt mit einem abgegriffenen Enzensberger, den er vermutlich günstig in seinem Lieblings-Antiquariat erstanden hat. Ich lache. „Ach, der feine intellektuelle Herr Emerit in der digital verseuchten Masse?“ Wenigstens muss er auch schmunzeln. „Nun ja. Noch hab ich kein Smartphone. Weißte doch.“ Mein Bruder ist der, der aus dem Fenster starrt. Aber immerhin hat er eine Meinung zu meinem Thema. Wo Menschen auf engem Raum zu Zweckgemeinschaften gemacht werden, ist Lesen oder sich anderweitig mit sich beschäftigen eine Flucht aus dem Kollektivismus des Bahnfahrens und der damit einhergehenden „Gefahr“ der Interaktion mit anderen. Schutz schaffen und gleichermaßen eigene Weite auf kleinstem Raum. Auf diese Erklärung können wir uns gemeinsam verständigen. Handyspiele, Quatsch-Gechatte, Playlisten basteln – alles erlaubt. Es sei egal, meinte er, welches Modul Fluchthelfer oder Ablenker wäre. Hauptsache nicht ausgeliefert sein und im Zweifel zwanghaften Kommunikationen ausgesetzt werden. So betrachtet verliert das Gestarre nach unten an Brisanz. Und Meckerpotenzial. Gleicht es doch mehr einem frei gewähltem Rückzug, der jedem jederzeit gestattet sei. Zumindest in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Würde es nicht auf dem Gehweg, im Park, selbst beim Treffen mit den Freunden weitergehen. Ich gebe zu, es verleitet mich zu leicht genervtem Seufzen, wenn ich das beobachte. Genauso wie es mir unangenehm aufstoßen wu?rde, wenn ich Gäste hätte, die ihre Handys auf den Tisch legen, während ich ein liebevoll zubereitetes Dinner serviere und die bei jedem Pieps hektisch nach dem Gerät fingern. Derlei bleibt mir in meinem Freundeskreis herzerfrischender Weise erspart. Aber ich habe solche Szenen in Momenten, wo ich selbst Gast war, bereits erlebt. Unhöflich ist das. Und doof. Wir, die ältere Variante der Generation „nach unten“ (und manchmal immer noch dazu gehörend) machen uns zu Sklaven der pausenlosen Erreichbarkeit, verkommenen Email-Junkies oder Whatsapp- und Twitter-Ju?ngern in ausdauernder Huldigungshaltung. Fu?r immer? Fu?r immer immer? Wie immer ist es das Maß. Das soll einfach jeder fu?r sich finden. Und tut es – jenseits der Zwanziger – auch. Da hilft der Menschenverstand, das Bedürfnis zum „Abschalten“ oder selbst auferlegte Digital-Kommunikations-Diät. Das haben wir bereits diskutiert. Soweit jedenfalls meine Beobachtung unter den Mitmenschen meiner Zeitzone. Ich grübele nur über die Entwicklung derer, die in mir das Bedürfnis wecken, ihnen etwas Positives mitgeben zu können. Ach, herrjeh. Ich merke selbst, wie furchtbar schulmeisterlich und altklug das daher kommt. Und doch ist das wohl der Wind, den der Wunsch umweht, Erfahrung weiterzugeben. Mit der allgemeingültigen Erkenntnis, wie schön es ist, sich mit Menschen im real life zu unterhalten, ist es nicht getan. Die perlt an der „Nach unten“- Generation ab, wie das Wasser vom Lack nach dem DeLuxe-Programm in der Waschstrasse. Denn sie „reden“ ja. Sie „kommunizieren“. Nur eben mit Daumen und Touchscreen. Aber was sei schon dabei? Vielleicht dringt dennoch zu einem von Hundert die Botschaft durch, dass eine der tausend Strategien fu?r Glu?ck im Leben die ist, die sich aus der Summe erfüllender Sozialkontakte herstellt. Und zwar mit Gespräch und „touch“ von Angesicht zu Angesicht. Und so will die Mama in mir die Generation „nach unten“ liebevoll an den Schultern ru?tteln und sagen: Auszeit. Die Vernunft in mir unterdru?ckt diesen Impuls immerhin rechtzeitig. Denn, und zu diesem Schluss bin ich nach dem Gedanken-Konfetti gekommen, es ist nicht aussichtslos. Die Hoffnung in mir sagt: dieses Phänomen löst sich von selbst. Da muss keine Miriam P. ihren erhobenen Zeigefinger durch Berlin-Mitte spazieren tragen. Irgendwann wird es den meisten so ergehen, wie es uns doch allen fru?her oder später widerfahren ist. Wir befreien uns von der Freiheit von u?berall arbeiten zu können und jederzeit erreichbar zu sein. In dem wir das Kommando-Instrument der Daten-, Informations- und Kontakt-Mobilität unsererseits in seine Schranken weisen. Nicht mehr Befehlsausfu?hrer eines Piep-Piep. Sondern Handy in die Tasche. Und Ruhe. Oder noch verwegener: ausmachen. Die Generation „nach unten“ wird irgendwann etwas „nach oben“ rollen. Da bin ich mir sicher. Die Augen nämlich, die eigenen. Weil sie auch genervt sind. Von sich selbst. Und dann das Ding in die Ecke pfeffern. Fu?r eine Weile jedenfalls. Der Moment kommt. Vermutlich sehr individuell. Bei dem einen mit 20. Bei dem anderen mit 60. Diese Personengruppe wird eine breite Altersstreuung haben und vielleicht den schönen Stempel „Generation Pause“.
Image (adapted) „Interrail 07 – D10B – WiFi“ by Mr. Theklan (CC BY-SA 2.0)
Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: Cloudcuckoohome, digitalisierung, Kolumnen, Miriam Pielhau, web 2.0