In der Videokolumne geht es heute um die ermordete Fotografin Anja Niedringhaus, den Nirvana-Sänger Kurt Cobain und den Umgang der Medien mit der vermeintlichen Modedroge Crystal Meth.// von Hannes Richter
Crystal Meth erobert die Büros und hält müde Manager und Studenten fit? Pustekuchen, das Problem liegt ganz woanders, findet Suchtforscher Roland Härtel-Petri im hr-Interview. Im Saarland macht man sein Geld offensichtlich eher mit Schweinesülze als mit Meth, wie ein kreativer Webfernsehmacher zeigt. Und an Kurt Cobain erinnert man sich am besten, in dem man ihm zuhört. Ihn wird man nicht vergessen, genau wie die engagierte Kriegsfotografin Anja Niedringhaus, die am Freitag in Afghanistan ermordet wurde.
ERMORDETE FOTOGRAFIN: Anja Niedringhaus erzählt von ihrer Arbeit
Am vergangenen Freitag wurde Anja Niedringhaus in Afghanistan erschossen. Die wohl bekannteste Kriegsfotografin der Welt, geboren 1965 im westfälischen Höxter, war gerade dabei, die Auslieferung der Stimmzettel für die am Wochenende anstehende Präsidentschaftswahl zu dokumentieren, als ein afghanischer Polizist das Feuer eröffnete. Nach seiner Verhaftung gab er an, Rache für den Tod seiner bei einem NATO-Angriff getöteten Familie genommen zu haben. Ob er gezielt auf die Fotografin der Agentur AP geschossen hat, ist noch nicht bekannt. Sicher ist, dass unser Bild von Afghanistan anders aussehen würde, hätte es die Bilder von Anja Niedringhaus gegeben. Sie vermochte es, kleinste Details am Rande von Kampfhandlungen in den Fokus zu rücken oder weite Szenerien auch ohne eine einzige Waffe zu einem schaurigen Gemälde zu komponieren. Oft haben ihre Motive auf den ersten Blick gar nichts direkt mit den Kampfhandlungen zu tun, auf den zweiten schlägt einem dann aber die ganze Grausamkeit des Krieges, die Verzweiflung seiner Opfer mit voller Wucht ins Gesicht. Diese Fähigkeit, so lässt sich aus ihren eigenen Worten über ihre Arbeit schließen, kommt wohl von einem aufrichtigen Humanismus, der wie eine Art Panzer vor dem sonst bei den kriegerischen Akteuren selbst, aber auch bei vielen Journalisten verbreiteten Zynismus schützt. Die Menschen, die sie fotografiert, sieht sie zu allererst als genau das: Menschen. Das Wort „to shoot“, also ein Foto schießen, lehnt sie ab. Sie sagt lieber „to take a picture“, wie sie in diesem kleinen Video-Selbstporträt für das kanadische Fotografiefestival Rencontres Internationales de la Photographie en Gaspésie erklärt.
Mit dieser Einstellung stand sie auch außerhalb der Kritik an der Propaganda-Taktik des Embedded Journalism. Beim Krieg im Irak hatte die US-Armee ausgewählte Journalisten quasi an vorderster Front mit marschieren lassen. Aufsehen erregende Bilder und Texte sendeten diese Journalisten nach Hause. Der Preis dafür war oft die totale Abhängigkeit von den Informationen und Planungen der Armee, „mascots for the military“ nannten Kritiker diese Reporter. Niedringhaus‘ Bildern vom Irakfeldzug sieht man diese Beschränkungen und die vermeintliche Einseitigkeit nicht an. Im Gegenteil, die Soldaten auf ihren Bildern haben wenig vom Heldenepos, den die Bush-Regierung so gern verbreitete. Ihr Blick, der aus den namenlosen Opfern des Krieges wieder Menschen machte, machte auch aus den Soldaten wieder einfache amerikanische Jungs. Für ihre Arbeiten im Irak wurde Anja Niedringhaus 2005 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Auch in Afghanistan hat sie ihre eigenen Bilder gemacht und sich nicht vor den Karren einer Kriegspartei spannen lassen. So berichtet die FAZ-Journalistin Friederike Böge in einem Nachruf, dass Niedringhaus kurz nach dem von der Bundeswehr angeforderten Angriff auf einen Tanklastwagen die erste war, die die gespenstische Szenerie fotografierte. Ihre Bilder straften schon am Tag des tragischen Ereignisses die hilflose Schutzbehauptung der deutschen Verantwortlichen, es habe nur wenige zivile Opfer gegeben, Lügen. Friederike Böges Artikel führt einem auch die Situation in Afghanistan vor Augen, in der offensichtlich Journalisten immer mehr zur Zielscheibe der Taliban werden. Man spürt die Angst und die Unsicherheit der Autorin und ihrer Kolleginnen und Kollegen nach der schrecklichen Tat, gerade in einer Zeit, in der in Afghanistan große Veränderungen anstehen.
In dem viereinhalbminütigen Video für die Rencontres Internationales berichtet Anja Niedringhaus von ihrer Arbeit und erklärt, warum es sie trotzdem immer wieder in Kriegsgebiete gezogen hat. Unterlegt mit vielen ihrer bekanntesten Motive wird es wie die Bilder selbst zu einem eindrucksvollen, traurigen Zeugnis.
CRYSTAL METH IN DEN MEDIEN: Überraschendes Interview mit einem Suchtexperten
AUS DER MEDIATHEK – hr (Hörfunk) +++ Sendungen vom 1. April:
Crystal Meth ist gerade in aller Munde. Seit der Veröffentlichung einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studie des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung. Artikel im Spiegel, der FAZ und nahezu aller anderen Medien stürzten sich auf die spannendsten Teile der groß angelegten Befragung von Konsumenten der neuen Horrordroge, auch wenn diese für die Artikel ein bisschen aufgehübscht werden müssen. So überschreibt Spiegel Online einen Artikel mit „Crystal Meth erobert deutsche Büros“; „Sucht am Arbeitsplatz“ titelt faz.net. „Miserabel recherchiert“ nennt das der hörbar aufgebrachte Suchtmediziner Roland Härtel-Petri in diesem Interview mit dem Hessischen Rundfunk, der dem Phänomen Crystal Meth am 1. April einen Schwerpunkttag widmete. Die Konzentration auf den Lifestyle-Aspekt der Droge gehe völlig am Problem vorbei. Die hervorragende und informative Studie sei missverstanden worden, dadurch würden gefährliche Auswirkungen des Crystal Meth vernachlässigt und vor allem kluge Präventionsansätze ausgeklammert. Ähnlich verhält es sich mit den überall auftauchenden Vorher-Nachher-Bildern von Meth-Abhängigen aus den USA. Sicher, die Bilder seien grausam. Es handele sich aber um Momentaufnahmen. Erstens würden Abhängige Toleranzen entwickeln und danach wieder „besser“ aussehen. Außerdem seien solche gesundheitlichen Folgen für den User im richtigen Leben kaum verifizierbar. Große Medien sind aber mehr an Schockbildern interessiert, auch weil es an adäquater staatlicher Prävention fehle, so Härtel-Petri. Das Interview gerät so zu einer Abrechnung mit dem Sensationsjournalismus beim Drogenthema und zu einem Plädoyer für mehr Unterstützung für konkrete Präventionsarbeit. Das Problem ist nämlich weniger in den Nasen überarbeiteter Manager zu finden, als vielmehr in den unterfinanzierten Praxen der Suchtberatungsstellen.
BLAUE SCHWEINESÜLZE: Breaking-Bad-Parodie aus dem Saarland
Den Vorwurf, Chrystal Meth zu glorifizieren musste sich auch die amerikanische Fernsehserie Breaking Bad gefallen lassen. Dabei stehen die dort gezeigten User den auf diversen Schockbildern dargestellten Abhängigen in nichts nach. Und die Karriere des drögen Chemielehrers Walter White vom kleinen Meth-Koch zum rücksichtslosen Drogenboss ist wohl auch nicht der Lebensweg, den sich die meisten Serienjunkies vorstellen. In der inzwischen beendeten Erfolgsserie geht es auch weniger um die Droge an sich, als um die Krise des amerikanischen Mittelstands und seiner Abgründe. Und so lässt sich Meth auch ganz leicht austauschen. Durch Schweinesülze zum Beispiel: Der arbeitslose Metzger Walter Weiß aus dem Saarland kann sich seinen Zahnersatz nicht mehr leisten und braucht dringend Geld. Zufällig trifft er einen ehemaligen Lehrling, der selbst gemachte Sülze vertickt. Die gibt es nämlich nirgendwo mehr, seit die Dorfmetzgereien durch Supermärkte ersetzt worden. Wie es weitergeht, kann man sich denken, zumal ein Wohnwagen dabei eine wichtige Rolle spielen wird. Manche der Breaking-Bad-Referenzen in dieser sonst gelungenen Persiflage wirken ein bisschen bemüht und Mundart-Comedy im Youtube-Format samt Untertitel ist inzwischen auch ein alter Hut. Trotzdem: was Michael Valentin da als Rip-Off der lokalen Polizeiwebserie Recht und Ordnung, in der zwei Beamte der Griminalbolizei hölzern aber liebevoll gespielt durch’s Saarland stolpern, produziert hat, ist ein Muss für jeden Breaking-Bad-Fan. Kenntnisreich und mit viel Liebe zum Detail wird die stark vermisste Serie für wenige Minuten wiederbelebt.
ZUM 20. TODESTAG: Nirvana – MTV Unplugged in New York
Kurt Cobain war in den letzten Tagen überall, was man besonders an der Anzahl der Blogeinträge erkennt, die damit beginnen, dass Kurt Cobain in den letzten Tagen überall war. Ist ja auch kein Wunder. War der Hype um die Erfolgsband Nirvana damals einigen, die sich selbst sehr ernst nahmen, suspekt, zweifelt heute niemand mehr an der popmusikalischen Bedeutung des wütenden Trios aus Seattle. Und die Leute, die es damals von den Socken riss oder eben nicht, schreiben heute Blogs. Schlimm ist es aber nicht, wenn alle sich einig sind. Und deswegen darf zum 20. Todestag von Kurt Cobain (am 5. April 1994 nahm sich der Sänger von Nirvana in seinem Haus das Leben) auch diese MTV-Unplugged-Konzertaufnahme wieder rausgekramt werden, von Ronny vom Musikblog kraftfuttermischwerk zu recht als „das beste, was Musik-TV jemals generierte“ bezeichnet. Und für wen die bekannten Riffs und die rauchige Stimme Cobains dann doch nicht ganz so zeitlos sind, wer sich also doch zurückversetzt fühlt in die frühen Neunziger, der hat seine Freude an den gesammelten Bravo-Artikeln eben jenes liebevollen Blogeintrages von vongestern. Oder er oder sie verdrückt eine Träne bei der überraschend ausführlichen Original-Tagesschau-Meldung vom 8. April 1994 (man ging zu dem Zeitpunkt noch davon aus, dass Kurt Cobain am 7. gestorben ist).
Teaser & Image by Screenshot, http://www.youtube.com/watch?v=q1BiQdOlrSw
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Schlagwörter: afghanistan, Breaking Bad, Crystal Meth, Drogen, irak, Kriegsfotografie, mediathekentipp, Medien, Niedringhaus, Pulitzerpreis, Saarland