#IceBucketChallenge: The good, the bad, and the ugly

Die #IceBucketChallenge-Kampagne für die ALS Association ist das Internetthema des Sommers und hat enorme Spendengelder für die Bekämpfung einer tödlichen Nervenkrankheit lukriert. Doch wo viel Licht ist, da ist auch Schatten. // von Jakob Steinschaden

John Maino performs the #ALSicebucketchallenge (Image: Rauglothgor [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia)

Diesen Sommer ist die #IcebucketChallenge über uns, ja, wie ein kalter Schwall Wasser gekommen. Prominente, Halbprominente und viele tausende andere Internetnutzer leerten sich Eiswasser über den Kopf, posteten davon ein Video auf den üblichen Social-Media-Plattformen und forderten drei andere User heraus, um auf die unheilbare Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) mit tödlichem Ausgang und deren Bekämpfung durch die ALS Association aufmerksam zu machen. Fantastische 100 Millionen Dollar konnte diese über die Aktion sammeln, die sich im Social Web viral stark verbreitete und schnell von Massenmedien aufgegriffen wurde.


Warum ist das wichtig? Die #IceBucketChallenge hat vorgeführt, wie Social Media früher etablierte Gatekeeper außer Kraft setzen kann und einfach über neue Kanäle umgeht – mit positiven wie auch negativen Folgen.

  • Was mit den gespendeten 100 Millionen Dollar passieren wird, ist fragwürdig – Kritiker weisen auf Tierversuche und dicken Gehälter der ALS Association hin.
  • Die Kampagne hat sich zu einem Spielfeld der Selbstdarsteller entwickelt – ihnen geht es nicht um den guten Zweck, sondern um die massentaugliche Inszenierung ihrer selbst.
  • #IceBucketChallenge weist einige Parallelen zu der Social-Media-Kampagne #Kony2012 auf, bei der mit Hilfe des Internet ein in der breiten Öffentlichkeit unbekanntes Problem plötzlich große Aufmerksamkeit erhielt.

So weit, so gut. Die karitative Kampagne hat ihren Zweck voll erfüllt und vorgeführt, wie Spendensammeln im 21. Jahrhundert funktionieren kann. Lustige Videos, gepaart mit einem karitativen Zweck, sozialem Druck und digitalen Verbreitungswegen – in nur 30 Tagen sind so unglaubliche Summen in Bewegung gesetzt worden. Doch schnell hat mich auch ein komisches Gefühl beschlichen, je mehr Eiswasserduschen ich auf YouTube, Facebook und Twitter gesehen habe, und je mehr ich über die ALS Association erfuhr.


Der Podcast des Marketplace Radio stellt die #IceBucketChallenge-Kampagne vor:

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Tierversuche und dicke Gehälter

ALS ist eine dramatische Krankheit, die meist nach drei bis fünf Jahren zum Tod des Patienten führt, der bei fast immer klarem Verstand zusehen muss, wie sein Körper verfällt. Der bekannte britische Physiker Stephen Hawking ist einer der betroffenen Erkrankten, er leidet an einer langsam verlaufenden Variante von ALS. Seit 1985 versucht die ALS Association, eine Non-Profit-Organisation aus den USA, ein Gegenmittel gegen die Nervenkrankheit zu finden. Für die weltweit etwa 350.000 ALS-Erkrankten sind die 100 Millionen Dollar Spendengelder eine sehr gute Nachricht.

Bei der #IceBucketChallenge hat die virale Verbreitung im Social Web dafür gesorgt, dass die Filterfunktion klassischer Medien außer Kraft gesetzt wurde. Nur eine Minderheit, die die #IceBucketChallenge gesehen haben, haben auch hinterfragt, wofür die ALS Association, der so viel Geld gespendet wurde, überhaupt steht und wer dahintersteckt. Erst im Laufe der letzten Tage sind einige bedenkliche Details ans Tageslicht gekommen. „Die ALS-Gesellschaft macht keinen Hehl daraus, bei ihren Forschungen auf ‚Tiermodelle‘ zu setzen, wie es im lebensverachtenden Jargon der Tierexperimentatoren heißt„, kritisierte etwa Corina Gericke, Tierärztin und Vorstandsmitglied des Vereins „Ärzte gegen Tierversuche“, gegenüber RTL Aktuell. Dabei sei seit Jahren bekannt, dass „Tierversuche für die ALS-Forschung ein völliger Fehlgriff sind.“

Zusätzlich kam die Steuererklärung der ALS Association an die Öffentlichkeit, aus der hervorgeht, dass nur 28 Prozent ihrer Ausgaben für Forschungszwecke ausgegeben wird und die Führungskräfte dicke Gehälter beziehen, die deutlich über jenen von vergleichbaren Positionen bei deutschen Non-Profit-Organisationen liegen.

Spielfeld der Selbstdarsteller

Währenddessen hat der Social-Media-Hype so bunte Blüten getrieben, dass von der ursprünglich karitativen Kampagne wenig bis gar nichts übriggeblieben ist. Die IceBucketChallenge hat sich zu einem Wettbewerb der Selbstdarsteller entwickelt, die mit ihren Schütt-Videos um die Aufmerksamkeit des Internet-Publikums heischen. Der vorläufige Höhepunkt ist das Video einer jungen Frau mit etwa 1,5 Millionen Views, die sich zur Schadenfreude der Seher das Eiswasser auf einem Pferd sitzend über den Kopf leert – worauf das Pferd erschrocken losprescht und die junge Dame unsanft in der Wiese landet. Tragischerweise soll auch ein britischer Teenager im Zuge der #IceBucketChallenge zu Tode gekommen sein.

Während die westliche Welt sich über IceBucket-Clips im Web amüsierte, wurde das Phänomen auch im Nahen Osten aufgegriffen. Dort schütteten sich Internetnutzer allerdings nicht Wasser, sondern Schutt (teilweise aus Trümmern, die israelische Angriffe in Gaza verursachten) über den Kopf, um zu Spenden für den kriegsgebeutelten Gaza-Streifen unter dem Hashtag #RubbleBucketChallenge aufzurufen. Der palästinensische Journalist Ayman al Aloul, der mit diesem Clip als ihr Begründer gilt, sagte gegenüber NBC: „Wir haben nach einem Eimer Wasser gesucht, aber Wasser ist hier zu wichtig, um es uns über den Kopf gießen. Und selbst, wenn es Wasser gibt, ist es schwierig, es einzufrieren.“ Das dürfte alle, die sich den Eiswasser-Spaß erlaubten, nachdenklich stimmen.


Sogar die halbe Führungsebene von Nintendo unterzog sich der #IceBucketChallenge:

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Wie vor zwei Jahren bei Kony2012

Insgesamt erinnert mich die #IceBucketChallenge stark an die Social-Media-Kampagne #Kony2012, die vor zwei Jahren wie ein Lauffeuer durchs Netz ging. Auch damals brachte eine den meisten völlig unbekannte Non-Profit-Organisation, Invisible Children, mit Hilfe eines sehr emotionalisierenden Videos (mein Blog-Eintrag dazu hier) und digitalen Verbreitungswegen ein Thema auf die Tagesordnung, das die Masse überhaupt nicht am Plan hatte: der Kampf gegen den ugandischen Warlord und internaitonal gesuchten Massenmörder Joseph Kony. Die Kony2012-Kampagne löste einen enormen Hype aus (fast 100 Millionen Views auf YouTube) und brachte Invisible Children in dem Jahr 26,5 Millionen Dollar Spendengelder. Nur ein Jahr später war alles vergessen, und Invisible Children sammelte so wenig Spenden wie seit 2007 nicht mehr. Konys raubende und mordende “Lord’s Resistance Army”, wenn auch geschwächt, verübt heute übrigens immer noch ihre Gräueltaten in Zentralafrika.

Die #IceBucketChallenge hätte für die ALS Association nicht besser laufen können – Menschen zu riesigen Spenden zu bewegen für einen Zweck, den sie zuvor gar nicht kannten, ist eine sehr tolle Sache. Ein fahler Beigeschmack bleibt allerdings: An den Grenzen Europas, in der Ukraine, in Syrien und in Gaza, herrscht Krieg. Auch diese Menschen bräuchten viele Spendengelder (allein in Syrien sind 9,5 Millionen Menschen auf der Flucht), doch virale Social-Media-Kampagnen dafür sind ausgeblieben. Zu omnipräsent sind seit Jahren die schrecklichen Bilder aus den Krisengebieten, viele Menschen sind dagegen abgestumpft – witzige Videos für karitative Zwecke sind Lichtblicke zwischen den Kriegsberichten. Insofern hat die #IceBucketChallenge einen spannenden Nebeneffekt: Sie hat das Thema Spenden wieder auf die Tagesordnung und einige Leute dazu gebracht, auch für andere Notleidende zu spenden – ohne sich einen Kübel Eiswasser zu schnappen und ein Viralvideo zu drehen.


Teaser & Image by Rauglothgor (CC BY-SA 4.0)


ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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