Ein Sozialnetzwerk kann durchaus exorbitante Möglichkeiten schaffen und mit ganz viel Kreativität eine sonderbare Geschichte zustande kommen lassen. // von Merle Miller
Die deutschsprachige Erzählung „Zwirbler“ zeigt, dass Facebook mehr ist als ein soziales Netzwerk aus inszenierten Essensbildern, Spieleeinladungen ohne Ende, fragwürdigen Partyfotos und hitzigen Gruppendiskussionen. Durch Facebook wurde etwas erschaffen, das weit über dessen Horizont hinausgeht und normalerweise nur in der Literatur-Welt vorkommt: ein Roman.
Warum ist das wichtig? Durch „Zwirbler“ wird klar, dass ein soziales Netzwerk nicht nur eine Plattform für Status-Updates sein muss, sondern – der Überwachung und den Datensammlungen entgegen zum Trotz – durchaus ein soziales Projekt in einem für ihn atypischen Bereich auf die Beine stellen kann.
- Basierend auf der Frage, ob auch Geschichten auf Facebook existieren, wurde im Jahr 2010 das Projekt Zwirbler gestartet.
- Der Roman gilt inzwischen als Wegbereiter einer neuen Erzählform.
- Zwirbler erscheint nicht nur als eBook, Audiobook und Buch, sondern auch auf Toilettenpapier.
Was auf dem ersten Blick vielleicht wie Schelmerei klingen mag, ist bemerkenswerte Realität. Und die fing 2010 an, als der Autor TG alias Mag. Gergely Teglasy eines Tages von seiner Tochter, damals elf, gefragt wurde: „Dieses Facebook, von dem die Leute reden, da kann man seinen Freunden schreiben und es gibt Fotos und Videos. Aber gibt es auf Facebook eigentlich auch Geschichten?„
„Der 1. Facebook-Roman“
So fängt ganz simpel die allererste Statusmeldung von „Zwirbler“ an. Und der erste Kommentar eines Users brachte den Roman schließlich gänzlich ins Rollen: „So beginnt die Saga. Der Anfang ungewiss, das Ende unergründlich.“ Die Geschichte von „Zwirbler“ startet sogleich mit den tiefgründigen Worten „Zwirbler ist überzeugt, dass man aus seinen Misserfolgen wesentlich mehr lernt, als aus Erfolgen.“ Aus einzelnen Facebook-Statusmeldungen, die maximal 420 Zeichen lang sind, wurde schließlich nach und nach ein Roman zusammengebastelt.
Nun erscheint die Geschichte über die Abenteuer des Protagonisten Zwirbler auch auf Papier. Aber nicht nur auf irgendeinem, sondern auf Toilettenpapier. Als ganz normales Buch wird der Roman aber natürlich ebenso gedruckt. Interessant bleibt, warum es eigentlich diese Sonderedition gibt: „Zwirbler ist sehr dicht geschrieben, zu je maximal 420 Zeichen pro Statusmeldung und ist demnach hervorragend stückchenweise zu lesen.“ So der Autor TG, der eigentlich nur dafür sorgt, einen Bogen zwischen den Statusmeldungen zu spannen.
„Daher kam die Idee von einem Fan – natürlich via Facebook -, Zwirbler auf WC-Papier herauszubringen.“ Das macht natürlich Sinn. Und ist obendrein ein cleverer Gedanke im digitalen Zeitalter, denn heutzutage hat man eigentlich fast nur noch auf dem stillen Örtchen die Zeit und Ruhe, um jenseits der endlosen Push-Benachrichtigungen ein Buch lesen zu können.
„Zwirbler“ ist der Name der Hauptfigur
Beim Facebook-Roman hat der Fan die Möglichkeit, vom passiven Konsumenten zum aktiven Mitgestalter zu mutieren und in den Prozess des Buchschreibens einzuwirken. Um als Facebook-Fan daran teilzunehmen, drückt man lediglich „Gefällt mir“ auf der Facebook-Seite von Zwirbler und schon kann man die eigenen kreativen Gedanken für Zwirblers (Lebens)Geschichte kundgeben. Allerdings müssen Leser aufgrund des unvorhersehbaren Inhaltes, der tiefgründig, skurril und auch obszön sein kann, mindestens 17 Jahre alt sein.
Der Roman handelt also von Zwirbler, einem Whiskey trinkenden Mann, der dank mehr als 16.000 Fans in eine absurde Suche nach seiner unfruchtbaren Schwester geraten ist und dabei durch Krankenhäuser, Stripclubs und den Großstadtdschungel gescheucht wird. „Egal, ob auf wahnwitzigen Verfolgungsjagden, in finsteren Gängen oder bei amourösen Begegnungen: Zwirbler bleibt stets überraschend und voller rasanter Wendungen. Mal erotisch, meist philosophisch, oft absurd – aber nie langweilig.“ Lautet die offizielle und verlockende Kurzbeschreibung der Geschichte.
„Zwirbler“ ist damit die perfekte Ablenkung für jedermann, der abseits vom sozialen Tohuwabohu tiefergehende Gedanken und Inspirationen und vielleicht auch die aktive Teilnahme an einem außergewöhnlichen Riesenprojekt sucht. Doch wie kommt eigentlich in einem Sozialnetzwerk eine solche Geschichte zusammen? TG erklärt: „Die Teilnahme ist sehr einfach: Die Kommentare zu den Statusmeldungen beeinflussen die Gedanken und Handlungen des Protagonisten Zwirbler, fließen also in die nächste Statusmeldung ein.„
Und welche aus den unzähligen Kommentaren schaffen es schließlich in die Geschichte? „Die Gedanken, die Teile, die Wörter, welche gut in die aktuelle Handlung und zur letzten Statusmeldung passen, werden von mir in die Geschichte gezwirbelt.“ TG weist noch darauf hin, dass er als Autor aber ganz im Hintergrund steht: „90% der Fans wissen gar nicht, wer das schreibt. Das ist auch gut, denn ich bin unwichtig, die Geschichte zählt.„
Finanzierung durch Crowdfunding
Doch nicht nur die neuartige Erzählform und die schwindelerregende Geschichte sind das einzige Besondere an dem Roman: Die Veröffentlichung auf Papier wird durch Crowdfunding finanziert. Schon ab jetzt läuft das Funding für diese Erzählung auf der Plattform Startnext. Als Dank erhalten die Unterstützer zum Beispiel den Roman als eBook, in Printform oder eben auf Toilettenpapier – oder bei einer richtig hohen Spende auch das besondere Privileg, sich vom Autor den Hintern abwischen zu lassen. Hier darf man gespannt sein, ob es jemals so weit kommen wird – wünschenswert wäre das schon für „Zwirbler“. Für den Autor hingegen sicherlich nicht so sehr.
Bislang ist „Zwirbler“ nur auf Facebook und über eine eigene App zum (kostenlosen) Lesen verfügbar. Aber für das Ende wird der Roman mithilfe des Crowdpublishing-Pioniers kladde|buchverlag veröffentlicht. Der Buchverlag nutzt das Konzept des Crowdpublishings, das heißt, dort eingegangene Manuskripte werden überprüft und anschließend passende Projekte für ein Crowdfunding vorgeschlagen. Der Autor erhält aber auch einen Vertrag und das Funding wird damit vorbereitet. Um das Funding anzukurbeln und das Projekt mehr unter die Leute zu bringen, wird auf verschiedenen Plattformen unter anderem auch ein Auszug des Manuskriptes präsentiert – ein sehr wichtiger Teil des Crowdfundings, denn schließlich möchte man möglichst viele Spenden einsammeln, um das Projekt ausreichend finanzieren zu können.
Ein Meilenstein in der Literatur
Mittlerweile gilt der „Zwirbler“-Roman als Wegbereiter für die neue, außergewöhnliche Erzählform und zählt damit sogar schon zu den Meilensteinen der deutschsprachigen Literatur. Im Zeitalter der steigenden Anzahl und Nutzung von Sozialnetzwerken hat diese Erzählform durchaus ein gewisses Potenzial, neben der auktorialen, personalen und neutralen Form einen festen Platz in der Literatur zu erhalten.
Teaser & Image by Martin Melcher
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Schlagwörter: Crowdfunding, Crowdpublishing, facebook, Klopapier, Roman, Zwirbler