Google und Co. werden auch die deutsche Netzwirtschaft aufmischen. Aber anstatt sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen, rufen die deutschen Unternehmen nach Vater Staat. Telekom-Chef Tim Höttges weint sich wieder mal in einem Zeitungsinterview die Augen aus, weil der böse Internetkonzern Google so mächtig ist: „Kein anderes Unternehmen in der Welt sammelt so viele Daten. Und kein anderes Unternehmen der Welt verwertet sie so gewinnbringend“, moniert der Netzbetreiber-Boss gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. Das sorge für „erhebliche Wettbewerbsverzerrungen“. Höttges rügt insbesondere den Umgang mit Daten durch Google.
Für Google würden andere Regeln als für die Telekom gelten, die sich an deutsche Datenschutzgesetze halte. Entsprechend müssen jetzt wohl EU, Bundesregierung, NATO, UNO, Polizei oder Feuerwehr aktiv werden, um den Mountain-View-Laden endlich zu regulieren oder gar zu zerschlagen. Um Datenschutz geht es den Telekomikern aber gar nicht.
Die liebwertesten Gichtlinge der alten Wirtschaftswelt fürchten sich vor dem digitalen Tsunami, der selbst vor Handwerkern der Gas-Wasser-Scheiße-Branche nicht haltmacht. Google und Co. drängen in altehrwürdige Industrien ein mit einer Netzlogik, die von den Wirtschaftskapitänen der Deutschland AG als Bedrohung empfunden wird. Und ihre Abwehrreaktionen folgen dem Lehrbuch des Ökonomen Joseph Schumpeter.
Die Klagen des Routineunternehmers
Das Eindringen von Neulingen in bestehende Branchen würde stets Kämpfe mit der alten Sphäre nach sich ziehen, schrieb der. Die Altvorderen seien bestrebt, den Vorteil, den eine neue Firma durch eine Innovation erlangt, zu verbieten, zu diskreditieren oder auf andere Weise zu beschränken. Was immer dabei auch im Einzelfall geschehe, so Schumpeter, sei der hohe Gewinn jedes Unternehmers stets vergänglich, denn Konkurrenten würden Neuerungen kopieren und damit ein Sinken des Marktpreises bewirken.
Der Routine-Unternehmer agiert machtpolitisch und schreit am Ende nach Vater Staat, um seine Pfründe in Sicherheit zu bringen. In Wahrheit ist der Telekom-Boss doch nur sauer auf Google, weil der Suchmaschinen-Gigant seine Dienste kostenlos anbietet, über Werbung gegenfinanziert und damit satte Gewinne einfährt. Etwa Videotelefonie, Livestreaming via Hangout on Air oder Services für Kurznachrichten. Machtvoll ist Google wegen seiner Größe bei der Skalierung seiner Angebote. Selbst vor dem Bau von Glasfaser-Leitungen schreckt der amerikanische Konzern nicht zurück, um Länder so schnell wie möglich auf eine neue Stufe der Digitalisierung zu heben.
Klagemauer-Reden helfen nicht
Höttges gehört noch der industriellen Glaubenskongregation an, die davon ausgeht, dass die Silicon-Valley-Angreifer bei Hardware scheitern werden. „Wir können Netz besser“, lautet die Parole des Bonner Netzbetreibers. Höttges erwartet nicht, dass Google in Europa Netze bauen werde. Das könnte auch so ein Satz werden, der in die Annalen der technologischen Fehleinschätzungen eingeht. Wenn Deutschland nicht in der Lage zu Infrastruktur-Investitionen für schnelles Internet ist, kommt eben eine Lösung von Übersee. Vielleicht nicht via Glasfaser, sondern mobil via Stratosphäre. Die einen buddeln weiterhin Kabelschächte und die anderen verdienen noch mehr Geld.
Da helfen Schutzgesetze und Klagemauer-Reden nicht weiter. Was viele liebwerteste Gichtlinge in Politik und Wirtschaft immer noch nicht begriffen haben, sind die volkswirtschaftlichen Effekte der vernetzten Ökonomie, die sich nicht auf das Teilen von Katzenbildern im Social Web reduzieren lassen.
Beim ersten Bonner Netzökonomie-Campus, der in meiner Bibliothek stattfand und über den mephistophelischen Umsonst-Dienst Hangout on Air übertragen wurde, kritisierten die Experten unisono die alten Rezepturen, die selbst hoch qualifizierte Politikberater wie DIW-Chef Marcel Fratzscher dem politischen Führungspersonal in Berlin vorbeten.
Star-Ökonomen ohne digitale Expertise
Im neuen Fratzscher-Opus „Die Deutschland-Illusion – Warum wir unsere Wirtschaft überschätzen und Europa brauchen“ taucht eine Vielzahl von klugen Analysen über den brüchigen Status quo der deutschen Wettbewerbsfähigkeit auf. Schaut man im Register unter D wie Digitalisierung oder I wie Internet oder Informationstechnologie nach, findet man jedoch nur gähnende Leere.
Der DIW-Chef empfiehlt stattdessen in alter keynesianischer Machart mehr staatliche Investitionen, um etwa dem Verfall von Straßen entgegenzuwirken. Das ist recht erbärmlich für einen „Star-Ökonomen“, der sich zum wichtigsten Stichwortgeber von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hochgearbeitet hat. Deshalb brachte ich bei der Vorstellungsrunde unserer netzökonomischen Käsekuchen-Diskussion auch als Hashtag „Schumpeter-statt-Keynes“ ins Spiel. Schumpeter warf bekanntlich Keynes und seinen Aposteln vor, das wirtschaftliche Geschehen nur in Aggregaten zu denken und die Rolle von Innovationen sowie unternehmerischen Einzelentscheidungen auszublenden. Makroökonomen seien blind für die Auswirkungen von neuen Technologien und Geschäftsmodellen.
Entsprechend profan fallen die Empfehlungen der volkswirtschaftlich ausgebildeten Politikflüsterer aus. Was Fratzscher und Co. vortragen, ist alter Keynesianismus in neuen Schläuchen. Mehr Staatsausgaben, geldpolitische Globalsteuerung, Industrieförderung, ein wenig mehr bauen und schon läuft die Konjunktur: „Man kann nicht mit altem Denken in neuen Welten erfolgreich sein. Da ich mich als Wirtschaftshistoriker mit dem Strukturwandel in den vergangenen drei Jahrhunderten beschäftigt habe, weiß ich, dass wir andere Methoden und Kompetenzen brauchen“, fordert Wirtschaftsprofessor Klemens Skibicki beim Netzökonomie-Campus. Das Internet bewirke die größte Senkung der Transaktionskosten, die wir je erlebt oder historisch erforscht haben. Die wirtschaftspolitischen Empfehlungen, die in Berlin und anderswo verlautet werden, seien verpuffender Keynesianismus.
Im Vergleich mit der Merkel-Regierung ist Elmar Weiler, Rektor der Ruhr-Universität in Bochum, in seinen Erkenntnissen schon viel weiter. Er treibt die notwendige Neuerfindung seiner Stadt unter dem Stichwort Bochum 4.0 voran.
„Bochum 1.0 dokumentiert die Zeit, als man Kohle aus der Erde holte, bis keine mehr da war. Allen sei klar gewesen, dass sich die Lagerstätten erschöpfen würden. Dann hat man angefangen, einen Hightech-Werkstoff zu entwickeln – nämlich Stahl. Da brauchte man nicht nur Eisenerz, sondern auch sehr viel Wissenschaft, um etwa rostfreien Stahl herzustellen. Das war Bochum 2.0. Von der Kohle über den Stahl geht die Erfolgsgeschichte weiter zu Fabriken, in denen Hochleistungsmaschinen gefertigt wurden wie Autos und Handys. Diese Zeit geht jetzt auch zu Ende. Also Bochum 3.0“, sagt Weiler.
Jetzt folgt die Phase 4.0: „Es bricht eine neue Zeit an, die weniger geprägt sein wird von großen Industriewerken“, meint Weiler – auch wenn das viele Industrielobbyisten immer noch nicht ganz wahrhaben wollen. Der Uni-Rektor ist fest davon überzeugt, dass das der Vergangenheit angehört.
Relevanter werden Mittelstand und innovative Unternehmen, die sich besser vernetzen müssen, bei der Erzeugung von lokalen Wertschöpfungsketten. Es gehe dabei um die Vernetzung von allem. Also Kultur, Sport, Wissenschaft, Wirtschaft und das Engagement der Bürgerschaft. Was Professor Weiler in wenigen Worten skizziert hat, sollte sich die Große Koalition in Berlin hinter die Ohren schreiben.
Wie überzeugt man Zukunftsverweigerer?
Was mit Bochum 4.0 umschrieben und angestoßen wird, ist für den theologisch fundierten Informatiker Winfried Felser ein richtiger Schritt, um die Zukunftsverweigerer der überkommenen Ökonomie abzuholen. Das erreiche man nicht mit Begriffen wie „digitale Wirtschaft“ oder mit Konferenzen wie der re:publica in Berlin. Letzteres würden die Altvorderen als spleeniges Internet-Getöse von esoterischen Nerds abtun. Es müsse Maßnahmen geben, die auch IHK-Mitglieder, inhabergeführte Unternehmen und Konzernchefs erreichen, empfiehlt Netskill-Geschäftsführer Felser beim netzökonomischen Diskurs in der rheinischen Beethoven-Metropole. Jeder Handwerker, jeder Heizungsbauer und jeder Hersteller sollte sich die Frage stellen, ob er morgen noch mit seinem Geschäftsmodell erfolgreich sein kann. Etwa bei der Wartung von vernetzten Heizungen, die digital überwacht und gewartet werden. Da ist ein Systemingenieur gefragt und nicht mehr der klassisch ausgebildete Installateur – vom Schornsteinfeger mal ganz zu schweigen.
Das Wort „Netzökonomie“ unterstreicht, dass die Digitalisierung und Vernetzung den Querschnitt aller Wirtschaftstätigkeiten betrifft. Mit Furcht, die sich durch Medien, Politik, Wirtschaft und Universitäten zieht, sei die digitale Transformation nicht zu bewerkstelligen, ergänzt Skibicki.
„Was sich im Ruhrgebiet beim Niedergang von Stahl, Kohle und industrieller Massenfertigung abspielt, gilt für ganz Deutschland. Leider beteiligen sich Politik und Verwaltung an diesem Prozess nicht. In anderen Ländern ist man da schon sehr viel weiter“, weiß Kommunikationsberater Frank Michna.
Kein Thema für außerirdische Aliens
Die Digitalisierung aller Lebensbereiche hängt eng mit der steigenden Leistungsfähigkeit der Mikroprozessoren zusammen: „Das bekommen dann irgendwann auch Busfahrer und sogar Piloten zu spüren, die von intelligenter Steuerungstechnologie ersetzt werden“, sagt Innovationsexperte Jürgen Stäudtner vom Beratungshaus Cridon. International werde nur die industrielle Expertise gesehen. Wir sollten schleunigst damit beginnen, dieses Wissen mit digitaler Kompetenz aufzuladen.
Der Dreiklang mobiles Internet, Social Web und Industrie 4.0 betrifft alle. Netzökonomie sei daher kein Thema für außerirdische Aliens, sondern gehöre auf die Tagesordnung von BDI und Co., so das Credo des Kommunikationswissenschaftlers Jonas Sachtleber, der für die studentische Unternehmensberatung Oscar tätig ist.
Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftspolitik liefern in Deutschland für die digitale Transformation bislang weder Modelle, Methoden noch Metaphern. Mit dem Netzökonomie-Campus möchte ich das über Tagungen, Studien, E-Books, Workshops, Barcamps und virtuelle Expertenrunden via Hangout on Air ändern.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European.
Image (adapted) „Google Food“ by brionv (CC BY-SA 2.0)
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Schlagwörter: digitalisierung, google, Industrie 4.0, Netzökonomie, Netzwirtschaft, Staat, wirtschaft
2 comments
Klar. Google ist ganz lieb und wer das nicht glaubt ist nur zu alt…
/sarkasmus
Alt genug würde ich sagen!
„Gas-Wasser-Scheiße Branche…“ Zeig mal Respekt vor Meisterbetrieben. Schlechter Artikel. Keine Tiefen, keine eigenen Gedanken. Telekom hatte Recht. Google ist ein Staat, der selbst bei Corana unerwünschte Einträge zu den Anschriften setzt: Geschäftszeiten wegen Corona…eingeschränkt