Malte Spitz: „Big Data is watching you“

„Was macht ihr mit meinen Daten?“ – Malte Spitz fragt bei Mobilfunkanbietern, Fluggesellschaften und Ämtern nach und legt die Grundlagen eines (möglichen) Überwachungsstaats offen. // von Christina zur Nedden

Malte Spitz auf der Buchmesse (Bild: Christina zur Nedden)

Spätestens seit Beginn des von Edward Snowden enthüllten Überwachungsskandals ist Datenschutz ein Thema. Doch die Diskussion bewegt sich meist auf theoretischer Ebene. Der Politiker und Bürgerrechtler Malte Spitz erkundet in seinem ersten Buch „Was macht ihr mit meinen Daten?“ was es praktisch bedeutet, wenn Daten gespeichert und ausgewertet werden. Er hakte bei alltäglich genutzten Diensten wie Mobilfunkanbietern und Krankenkassen nach und warnt vor den Gefahren für die persönliche Freiheit jedes Einzelnen durch die zunehmende Verdatung unserer Handlungen.


Warum ist das wichtig? Der Mensch hat den Überblick und die Kontrolle über seine Daten verloren. Das kann langfristig fatale Folgen haben.

  • Malte Spitz hatte enorme Probleme an seine eigenen Daten heranzukommen. Trotz rechtlichem Anspruch auf Datenauskunft gibt es meist keine transparenten Verfahren.

  • Die Verknüpfung von Datensätzen könnte langfristig zu Diskriminierung aufgrund von Datenprofilen führen.

  • Der Mensch ist bequem und Technik macht das Leben oft leichter. Diese Bequemlichkeit bezahlt er mit seinen Daten und letztendlich auch mit seiner Freiheit.


Die alltägliche Datenspur

Wir alle tun es: Telefonieren, Geld abheben, Online Einkaufen, Flüge und Urlaube buchen und zum Arzt gehen. Diese Dinge gehören zu unserem Alltag dazu. Was wir dabei auch tun ist eine Datenspur zu hinterlassen. Und Daten sind heutzutage eine mächtige Währung. So richtig scheint sich der Durchschnittsmensch jedoch nicht dafür zu interessieren, denn was hat man schon groß zu verbergen?

Malte Spitz will in seinem Buch „Was macht ihr mit meinem Daten“ zeigen, wie gefährlich es ist so zu denken. Im Selbstversuch – wie es im Untertitel heißt – fragte er bei Behörden, Mobilfunkanbieter, Krankenkassen, Datenbanken und Rechenzentren nach, welche Information wie lange und zu welchem Zweck über ihn gespeichert werden. Dabei konzentrierte er sich bewusst auf die Handlungen unseres Alltags, denen wir nicht entkommen können.

Ironischerweise hatte er oft enorme Probleme an seine eigenen Daten heranzukommen. Obwohl jeder Bürger laut Bundesdatenschutzgesetz Anspruch auf Datenauskunft hat, gibt es bei kaum einer Behörde ein transparentes Verfahren. Die Herausgabe seiner Vorratsdaten, die er 2011 veröffentlichte und ihn international bekannt machten, musste er sich rechtlich erstreiten. Polizeibehörden antworteten zum Teil gar nicht oder erst nach einem halben Jahr.

Als Malte Spitz endlich an einige seiner Daten rankam, traute er seinen Augen kaum (siehe diese Infografik). Seine Krankenkasse hatte alle Rezeptausgaben, Arztbesuche und sogar Diagnosen gespeichert. Diese Informationen reichten bis zu einem Sturz auf dem Schulweg in der siebten Klasse zurück. Beim Einwohnermeldeamt bekam er die Kontodaten inklusive Passwort eines anderen Malte Spitz ausgehändigt. Das Buch ist voll von solchen „fun facts“, die eigentlich nicht witzig sind.


TED-Talk von Malte Spitz über seine Vorratsdaten:

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Der gläserne Mensch

Was nützt es dem Staat oder Unternehmen wenn sie Daten sammeln, die an verschiedenen Stellen lagern? Noch sind Daten Streugut. Doch Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste haben bereits die Möglichkeit Daten zusammenzutragen und ein Profil eines Menschen zu erstellen. Dieser Datenzwilling könnte uns eines Tages zum Verhängnis werden.

Malte Spitz denkt einige Entwicklungen soweit, dass der Leser paranoid wird. Natürlich befürchte ich heute nicht von einer Drohne abgeschossen zu werden, weil Geheimdienste mein Mobiltelefon durch Funkmaste orten können. Ich mache mir auch keine Sorgen, ob ich in Zukunft Nachteile bei meiner Krankenversicherung habe, weil ich als Teenager den Krebstod meines Vaters in sozialen Netzwerken betrauert habe. Doch wenn eines Tages nicht nur Geheimdienste einzelne Informationen zu einem Persönlichkeitsbild zusammenfügen können, ist es nicht mehr weit bis zur Diskriminierung aufgrund von Datenprofilen. Beim sogenannten „Scoring“ passiert dies heute schon in der Entscheidung über eine Kreditvergabe. Benachteiligung entsteht vor allem dann wenn unsere Daten mehr über uns wissen als wir selbst. Wenn wir am falschen Ort zur falschen Zeit Geld an einen Bekannten überweisen oder beruflich oft in Länder in denen terroristische Gruppen aktiv sind reisen. Wenn das Profil, das aufgrund unserer Daten von uns erstellt wird nicht mehr der Wahrheit entspricht.

Selbstbestimmtes Leben in Zeiten von Big Data?

Daten werden meist von Unternehmen gesammelt. Staaten und andere Interessierte kaufen sie ab. Wenn Staat und Wirtschaft sich zum Datensammeln zusammentun, kann man diesem mächtigen Bündnis als Individuum nur schwer entkommen. Man stellt sich die Frage wie ein Staat Datenschutz durchsetzen soll, wenn er ein eigenes Interesse an den Daten seiner Bürger hat. Handy wegwerfen? Geld unter die Matratze legen? Als „normales“ Gesellschaftsmitglied unmöglich. Malte Spitz schlägt ein paar Maßnahmen vor, um die Datensammelwut von Staaten und Unternehmen zu dämmen. So könnten Unternehmen jedes Mal wenn Kundendaten kriminell abgegriffen werden eine finanzielle Entschädigung an die Betroffenen zahlen. Das würde dazu führen, dass Unternehmen sich zweimal überlegt ob wirklich alle Daten gespeichert werden müssen.

Doch außer ein paar kosmetischen Verbesserungsvorschlägen hat Spitz keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie man in Zeiten von Big Data sein Leben führen soll. Am Ende seines Buches steht sein Wunschzettel für eine bessere Welt: „Jeder Mensch kann selber und frei entscheiden, ob und wie seine Daten gespeichert, verarbeitet und weitergegeben werden, damit er seine informationelle Selbstbestimmung wahrnehmen und schützen kann„, heißt es unter Punkt Eins der Liste.

Klar ist jedoch, dass der Mensch sich bereits an eine fortschreitende Technisierung seines Alltags gewöhnt hat. Und dass er diese Technik und was dahinter steckt kaum noch versteht. Der Mensch ist bequem und diese Bequemlichkeit bezahlt er mit seinen Daten und letztendlich auch mit seiner Freiheit. Malte Spitz ist kein Technikfeind. Er ist ein Befürworter des Fortschritts und zeigt bis zu einem gewissen Grad Verständnis für Datenspeicherung von Unternehmen und Staaten. „Ich sage nicht, dass keine Daten gesammelt werden sollten, aber die massive Speicherung von allen Daten und die Anlegung von Verhaltensmustern geht zu weit“, sagt er. Malte Spitz wünscht sich, dass wir alle den Anspruch entwickeln zu verstehen, was genau mit den Daten die wir ausschütten passiert. Bequemlichkeit darf nicht zu einer Gewöhnung an Überwachung führen, so wie wir uns zum Beispiel heute kaum noch über die ständige Videobeobachtung in öffentlichen Räumen wundern.

Fazit

Malte Spitz setzt die Freiheitsbedrohung eines mangelnden Datenschutzes auf eine Ebene mit den Gefahren des Klimawandels und einer alternden Bevölkerung. Ist das übertrieben? Vielleicht. Sein Buch könnte aber auch erst in zehn bis fünfzehn Jahren relevant werden, wenn Menschen hautnah zu spüren bekommen, wie ihre persönliche Freiheit durch ihren Datenschatten eingeschränkt werden. Es ist ein zukunftsweisendes, „Ich habs dir doch gesagt“-Buch, ohne belehrend zu wirken oder zu sehr ins Futuristische zu gehen. „Was macht ihr mit meinen Daten?“ liefert die Grundlagen für eine Diskussion die dringend geführt werden muss und macht deutlich, dass Datenschutz nicht nur ein „Nice to have“ ist, sondern ein Mittel gegen massiven Machtmissbrauch im 21. Jahrhundert.


Teaser & Image by Christina zur Nedden


ist freie Journalistin und Volontärin an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin. Ihre veröffentlichten Texte gibt es auf ihrer Website christinazurnedden.com. Auf Twitter ist sie unter @czurnedden zu finden. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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