„Lügenpresse“? – Publixphere führt Debatte über Medienkritik

Das Debattenblog Publixphere machte die Medienkritik zu einem Schwerpunktthema im Jahr 2014. Nun wurde die entstandene Debatte zusammengefasst und veröffentlicht. Tausende Menschen skandieren in einer deutschen Großstadt pressefeindliche Parolen, unterstützt werden sie aus zahlreichen Kommentar-Spalten und Foren. Auch seriöse gesellschaftliche Akteure kritisieren die traditionellen Medien auf vielfältige Weise. Es scheint als haben diese mit einem ernsten Vertrauensproblem zu kämpfen. Als die Redaktion des Debattenblogs Publixphere die lebhaften Diskussionen in ihrem Portal verfolgte, beschloss sie dem Thema besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Medien, Politik und Wissenschaft startete Publixphere eine umfangreiche Debatte.

Von „Mainstream-Medien“ zu „Volksschädlingen“

Es macht wahrscheinlich nicht nur mir Sorgen, wenn man aktuell sieht, wie einige Menschen nicht nur über die Medien denken, sondern auch gegenüber deren Vertreterinnen und Vertretern agieren – vor allem auf bestimmten wöchentlichen Zusammenkünften in einer ostdeutschen Großstadt.

Zuerst haben sich viele – vor allem junge – Teilnehmer der Demonstration geweigert mit der Presse zu reden, was auch ihr gutes Recht ist. Dann kamen die Rufe und Beschimpfungen, denen sich immer mehr Menschen anschlossen. Mittlerweile sind sogar einzelne Nachrichten über Drohungen und körperliche Übergriffe zu hören. Auch der Ton, in dem diese Menschen über die „Vierte Gewalt“ sprechen hat sich seit einigen Monaten geändert. Aus „Mainstream-Medien“ wurde die „System-Presse“, aus der „System-Presse“ wurde die „Lügenpresse“ und mittlerweile sind einige bereits an dem Punkt angekommen von „Volksschädlingen“ zu sprechen, wenn sie über Journalistinnen und Journalisten reden. „Lügenpresse“ wurde übrigens am Dienstag zum Unwort des Jahres 2014 erklärt. 

Was ist da los? Sind die Medien und die sie Vertretenden nur ein weiteres Feindbild, vor denen auf diesen Demonstrationen gewarnt wird oder artikuliert sich dort etwas anderes? Vielleicht etwas, das sich schon länger abzeichnet – schließlich werden ähnliche Ansichten seit der Ukraine-Krise verstärkt sowohl bei den sogenannten Montagsmahnwachen für den Frieden als auch in zahlreichen (Leser-)Foren und Blogs vertreten und verbreitet.

Ein Debattenblog geht erstaunliche Wege: Ein Diskurs in zwei Welten

Wo kommt diese Medienkritik her und was kann die Intensität erklären, mit der diese artikuliert wird? Der Debattenblog Publixphere hat sich diese Fragen gestellt und geht in seiner Beantwortung erstaunliche Wege. Aufgrund der zahlreichen Diskussionen zu diesem Thema in ihrem Portal, entschloss sich die Redaktion im vergangenen Jahr dazu, Medienkritik als Schwerpunktthema des Monats September zu ernennen. Publixphere organisierte einen Diskurs, der sich nicht nur offline auf der Social Media Week in Berlin und online im Portal, sondern auch zwischen den Usern und Vertreterinnen und Vertretern aus Medien, Politik und Wissenschaft geführt wurde. Das scheint genau der richtige Weg zu sein, um über einen Konflikt zu sprechen, der sich hauptsächlich zwischen analogen Medien und ihren digitalen Vettern abspielt.

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Betrachtet man nun die Zusammenfassung dieses Disputes, den Publixphere veröffentlicht hat, so erkennt man, dass es mehrere Konfliktlinien und zahlreiche unterschiedliche Positionen gibt.

Es lassen sich mehrere Phänomene beobachten:

  1. Durch die Digitalisierung der Gesellschaft und das Entstehen neuer Kanäle für Informationen und Meinungsdarstellung erodiert langsam das Fundament, auf dem die Deutungshoheit von Print-Medien und Rundfunk steht.

  2. Um dieser Entwicklung Herr zu werden, versuchen sich zahlreiche Medienunternehmen an die neuen Verhältnisse anzupassen. Dabei begeben sie sich jedoch in eine verhängnisvolle Abhängigkeit von Unternehmen wie Google und Facebook.

  3. Seit der Ukraine-Krise findet ein Informationskrieg auf sämtlichen Kanälen statt. Während die Russische Föderation ihre eigene Propaganda-Offensive startet, wird es vor allem den öffentlich-rechtlichen Sender der Bundesrepublik Deutschland oft vorgeworfen über die Ukraine-Krise und Russland tendenziös zu berichten.

  4. In der Gesellschaft und dem Internet erstarken Verschwörungstheorien. Diese vereinfachen die Sicht auf die Welt und liefern klare Feindbilder. Nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Beginn der multipolaren Weltordnung und aktuell der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise wünschen sich viele Menschen einfache Erklärungen für komplexe Probleme.

  5. Das Vertrauen vieler Menschen in die Medien ist erschüttert – diese Vertrauenskrise bezieht sich auch auf andere demokratische Institutionen.

Alle Akteure haben Grund, ihr bisheriges Verhalten zu überdenken

Diese Phänomene interagieren auf vielfältige Weise miteinander, bedingen und verstärken einander. Da sie teilweise Probleme verursachen oder selbst darstellen, werden in der Debatte auf Publixphere auch zahlreiche Lösungsvorschläge gesammelt. Die Diskutanten sehen grundsätzlich bei allen Akteuren Änderungsbedarf.

Viele artikulieren den Wunsch nach einer bedingungslosen Qualitätsoffensive im Internet. Die etablierten Medien, die schon seit einiger Zeit das Internet als neuen Informationskanal wahrnehmen und nutzen, sollen sich nicht den Kriterien der Internetunternehmen beugen und jedem einzelnen Klick hinterherjagen. Netzpiloten-Projektleiter Tobias Schwarz warnt in einem Gastbeitrag davor, dass soziale Netzwerke in Zukunft bestimmen könnten, welche Nachrichten gesehen werden. Zwar würden sich mittlerweile viele Zeitungen von Google antizipieren, würden sich aber im Gegenzug in eine Abhängigkeit von sozialen Netzwerken begeben. Ihre Nachrichten würden weiterhin gefiltert werden, nur diesmal nach den Kriterien von Facebook – und in diesen würde Relevanz und Qualität keine Rolle spielen. „Ein auf Likes und Favs fokussierter Journalismus verliert alles, was ihn ausmacht. Und besonders demokratische Gesellschaften verlieren einen Debatten kreierenden Akteur, der systemrelevant ist.

Auch an die Verantwortung der neuen Medien wird appelliert. Blogger und Nachrichten-Portale sollten sich an den Pressekodex halten und ihre Einflussmöglichkeiten nicht missbrauchen. User werden dazu angehalten, es zu hinterfragen, wenn sich jemand im Internet ausdrücklich vom Pressekodex distanziert oder gezielt Falschinformationen streut.

Leserinnen und Leser sollen genau darauf achten, welche Informationen und Meinungen sie aus welchen Quellen beziehen. Sie sollen sich nicht auf Facebook als Informationsquelle verlassen, da die Firma ihre Verantwortung als Medienunternehmen nicht wahr nimmt. Sie sollen stattdessen gezielt die Webseiten von Qualitätsmedien aufrufen. Dadurch belohnen sie einerseits diese Medien für ihre gute Arbeit und lösen sich andererseits selbst aus der Abhängigkeit von Googles Suchalgorithmen.

Die Vertrauenskrise ist alarmierend

Dass aktuell einige Bürgerinnen und Bürger einen Großteil der traditionellen Medien ablehnen, liegt wohl an ihrer grundlegenden ideologischen Einstellung und der Tatsache, dass sich ihre Meinung in diesen Medien nicht widerspiegelt. Schließlich vertreten die meisten deutschen Zeitungen und Fernsehprogramme gemäßigte politische Ansichten und hegen geringe Sympathien für radikales und vor allem extremistisches Gedankengut.

Es lässt sich aber auch festhalten, dass sich die deutsche Medienlandschaft im Moment in einer Übergangsphase befindet. Die etablierten Medien haben sich in der digitalen Welt teilweise noch nicht akklimatisiert und der Qualitätsjournalismus hat noch nicht gänzlich Einzug in den Onlinejournalismus gehalten. Sowohl die Qualitätsdefizite im Internet als auch deren ideenlose Festhalten an bewährten Formaten bringt viele gegen die traditionellen Medienunternehmen auf.

Sollten die Probleme, die mit diesem Umbruch einhergehen, gelöst werden, dann ergibt sich eine einzigartige Chance für Medien, Demokratie und Gesellschaft. Geht es aber weiter wie bisher, besteht die Möglichkeit, dass sich die aktuellen Phänomene verstärken und überaus destruktive Kräfte entfalten.

Weil die Worte des Politikwissenschaftlers Kyrosch Alidusti, die die Redaktion von Publixhphere an das Ende ihrer Debatte setzten, so treffen sind, sollen sie auch den Abschluss für diesen Text bilden: „(…) Medien haben nicht nur die Funktion der vierten Gewalt, sondern auch eine Mittlerfunktion zwischen dem Ereignis und den Medienrezipienten. Für beide Funktionen benötigen sie jedoch Vertrauen, deshalb ist bereits das Bröckeln desselben alarmierend.


Image (adapted) „INTERNET STATEMENT“ by altemark (CC BY 2.0)


studiert Politikwissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg und arbeitet als redaktioneller Praktikant bei den Netzpiloten. Er hat bereits Erfahrung in der Öffentlichkeitsarbeit gesammelt und versucht nun seine ersten Schritte in der Welt der Medien. Er interessiert sich für Politik, Umweltschutz, Medien und Fußball. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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3 comments

  1. Die Vertrauenskrise der staatlichen und oligarchisch beherrschten Großmedien läßt sich nicht bewältigen, indem man noch mehr Steuergelder insbesondere in die staatlichen Medien pumpt.

    Ursprünglich wurden die öffentlich-rechtlichen Medien von den Besatzungsmächten nach dem 2. Weltkrieg installiert, weil die anderen Medien zu staatsnah (also NSDAP-nah) gewesen waren.

    Heute sind die öffentlich-rechtlichen Medien Sprachorgane der jeweiligen Regierungen.

    Dies war zumindest nicht im Sinne der Erfinder.

    Die Frage ist, ob es überhaupt staatliche Medien braucht, oder ob der Staat nicht die Pflicht hat, sich aus der Meinungsbildung rauszuhalten.

    1. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind alles andere als „Sprachorgane der jeweiligen Regierungen“. Wenn wir die notwendige Debatte über Staatsferne – was nicht automatisch die Abwesenheit politischer Vertretung bedeuten muss – im Öffentlich-rechtlichen Mediensektor diskutieren, zeugt das auch von dem hohen Niveau unser demokratisch geregelten Medienlandschaft, denn mit staatlicher Propaganda hat das alles wenig zu tun. Und auch eine Regierung muss aktiv an Meinungsbildung mitmirken, schon im Interesse der Werbung für eigene politische Ideen, sonst wird aus einer Regierung nur eine Verwaltung.

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