Das Land Sachsen-Anhalt plant eine Partnerschaft mit Microsoft für den Aufbau einer zentralen Cloud-Plattform. Kritiker warnen vor den Risiken. Mit einem Konzept unter dem Titel „Lernen, Lehren, Managen 2.0 – Auf dem Weg zur Schule 2020“ möchte Sachsen-Anhalt seine Bildungslandschaft fit für die digitale Zukunft machen – parallel zu Investitionen in IT-Mindeststandards. Es soll darum gehen, ein integriertes Managementsystem zu schaffen, in dem Wissens-, Informationsbestände und eine Infrastruktur harmonisiert und modular ausgestaltet werden. Helfen soll eine umfangreiche Kooperation mit Microsoft, Vertragsabschlüsse sind greifbar nah. Seit Bekanntwerden regt sich dagegen Unmut. Jetzt gibt es eine Onlinepetition.
Sie kommt von Alexander Dahl, 33 Jahre und Mitglied im Netz39, einem Verein für Bastler, Hacker und Digitalinteressierte in Magdeburg. Dahl ist Programmierer, kein Prinzipienreiter. Dahl: “Microsoft kann eine gute Lösung für ein konkretes Problem sein.“ Schulen werden jedoch, so befürchtet er, mit einer “allumfassenden Partnerschaft“, wie angedacht, künftig keine andere Wahl gelassen, als auf die Microsoft-Produktfamilie zu setzen. Mit seinen Bedenken ist er nicht allein – neben der Grundskepsis bei allen Kritikern in puncto Datenschutz, die sich aus den NSA-Enthüllungen speist.
Was ist geplant?
-
Alle rund 220.000 Schüler und 18.000 Lehrer in Sachsen-Anhalt sollen das Paket „Office 365“ für mehrere Desktop- und Mobilgeräte zum gemeinsamen Arbeiten in einer Cloud erhalten und dafür zentral registriert werden.
-
Laut Präambel der bisher geschlossenen Absichtserklärung in einem „Letter of Intent“ ist für beide Seiten das Ziel, „eine integrierte und nahtlose Nutzererfahrung bereitzustellen, die erstklassige Kommunikations- und Kollaborationsdienste in einer tragfähigen, soliden und verwalteten Umgebung“ biete.
-
Strategische Beratung und der Aufbau einer IT-Academy für Lehrerfortbildung sind ebenfalls vorgesehen.
Lehrergewerkschaft sieht keinen Mehrwert
Die Lehrergewerkschaft GEW Sachsen-Anhalt kritisiert, engagierte Lehrer würden längst moderne Cloud-Lösungen und Lernplattformen nutzen. Software fehle nicht, sondern Personal und Technik. GEW-Landesvorsitzender Thomas Lippmann: “Bei diesem Vertrag gibt es nur einen Nutznießer – und das ist Microsoft selbst.“ Bildungsexperten, wie Prof. Michael Kerres von der Universität Duisburg-Essen, betonen unterdessen die Vorteile, denn Office-Lizenzen seien gewöhnlich ohnehin nötig. Die zentrale Vergabe könne “ein kluger Weg“ sein, weil es den Schulen die bilaterale Aushandlung erspare.
Sind bestehende Initiativen und Modelle in Gefahr?
Über ein Modell nach dem Motto“Lizenzen für alle“ gehen die Pläne indes weit hinaus. Wenn es erst einmal eine zentral geschaffene (Cloud-)Plattform von Microsoft gibt, könnten viele Schulen einfach nur froh sein, sich mit IT-Fragen nicht weiter befassen zu müssen und sich anpassen, befürchtet Jan Wagner, netzpolitischer Sprecher der Linken im Landtag, die eine Aufkündigung der Pläne fordert. Für Medienkompetenz sei aber eine Vielfalt an IT-Technologie wichtig. Oberster Datenschützer im Land, Harald von Bose, mahnt zur Vorsicht, entwickelte Ansätze nicht kaputt zu machen. Die befassten Ministerien kündigen an, die Plattform offen für andere Anwendungen zu gestalten, Open-Source-Lösungen “bedarfsweise“ zu fördern und keine Konkurrenz zu entwickelten Komponenten am landeseigenen Lehrerbildungsinstitut LISA zu schaffen.
Jöran Muuß-Merholz, Pädagoge und Digitalexperte von der “Transferstelle Open Educational Ressources“, glaubt an die gute Absicht der Politik, hält aber die Bedenken für berechtigt. Denn die Praxis könne ganz anders aussehen. Die Krux an den Plänen sei, dass Micorosoft Software, Infrastruktur, Weiterbildung und überdies Programme zu frühkindlicher Bildung in Personalunion als Hersteller liefere und federführend als Dienstleister mitaufbaue. Eine vergleichbar weitgehende Kooperation gebe es bundesweit bisher nicht.
“Das ist ein relativ bedrohliches Szenario. Microsoft sitzt am Anfang und am Ende dieser Kette.“ Und zwar bei allem, was in naher Zukunft noch wichtiger werde, wenn sich Digitalisierung und Cloud-Computing erst richtig an Schulen durchsetze, so Muuß-Merholz. Gegenüber anderen Diensten im Land würde das immer einen Startvorteil bringen – auch wenn technisch gesehen alles anwendbar bliebe. Muuß-Merholz: “Das ist Teil einer größeren Strategie, die Microsoft gerade im Bildungsbereich ausrollt.“ Zu dem Pilotcharakter wollte sich Microsoft mit Verweis auf die laufenden Verhandlungen auf Nachfrage nicht äußern.
Kritik: Infrastruktur lässt sich von Bildungsinhalten nicht trennen
Unterdessen besteht auch unter Bedenkenträgern Konsens, dass es eine zentrale Infrastruktur zweifellos brauche. Kritisiert wird: Nicht so. Auch, weil das Finanzministerium die umstrittene – allerdings unverbindliche – Absichtserklärung zunächst vorbei an Kultusminister, Schulträgern und einer seit Jahren bestehenden Arbeitsgemeinschaft Medienkompetenz geschlossen hatte. Der Landesdatenschutzbeautragte wurde ebenfalls erst auf sein Drängen im Nachhinein an den Tisch geholt. Das Finanzministerium begründet das mit der Hoheit über Infrastruktur und beruft sich auf eigene Umfragen, wonach Microsoft-Nutzung an der Mehrheit der Schulen ohnehin “unübersehbare Realität“ sei, während Datenschutz und Bildungsinhalte erst im nächsten Schritt diskussionswürdig seien.
Für Netzaktivist Alexander Dahl greift das in puncto digitaler Medienkompetenz zu kurz. Bildung und Infrastruktur gehören für ihn zusammen. Ein einheitliches Konzept müsse stärker über pädagogische Ziele und mit Blick auf Folgekosten gedacht werden, unter Einbindung verschiedener Dienstleister. Das brauche politischen Willen, um es Schritt für Schritt aufzubauen. Er sagt: “Darüber will ich einen Diskurs anregen.“
Teaser & Image „Computer“ by dantetg (CC0 Public Domain)
Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: bildung, Digitale Bildung, kritik, LSA, microsoft, Sachsen-Anhalt, schule, software
2 comments
Es ist in der Tat sehr schlecht, wenn eine Schule oder gar ein Bundesland sich auf einen Partnerschaft mit Microsoft einlässt, denn das Interesse von einem kommeriellen Konzern ist halt Kommerz und nicht Bildung, nicht interkulturelle Bildung, nichtmal die freie Entwicklung vom Wissen. Es wäre schwieriger aber viel sinnvoller den Studenten anhand Open-Source-Lösungen Bildung weiterhin vom Kommerz zu trennen und ausserdem lernen, digitale Lösung zu entwickeln, statt fertige Produkte zu konsumieren.