„Unsere Community hilft uns bei dem Finden des bestens Wegs“

Das israelische Startup Moovit ist weiter auf Expansionskurs und nun auch in Deutschland gestartet. Mit der Mobilitäts-App von Moovit können Nutzer sich ab sofort auch in deutschen Städten live über Abfahrts- und Ankunftszeiten, Fahrplanänderungen im öffentlichen Nahverkehr und die besten Routen informieren. Möglicht macht der Zugang zu den Verkehrsdaten und eine engagierte Community, die Moovit hilft, seinen Verkehr analysierenden Algorithmus stets zu verbessern. Der für Deutschland zuständige Country Manager Jan Lüdtke spricht im Interview über die Motivation der Nutzer und wie Moovit den urbanen Verkehr verbessern kann.

Tobias Schwarz (TS): „Von A nach B mit der Crowd“ – Diese Funktion Ihrer Mobilitäts-App für den städtischen Nahverkehr müssen Sie bitte zu Beginn erst einmal erklären. Wie funktioniert Moovit?

Jan Lüdtke (JL): Moovit zeigt seinen Nutzern immer den schnellsten und effektivsten Weg innerhalb einer Stadt an. Indem wir verschiedene Schichten mit Daten übereinander legen und vermengen, entsteht der Algorithmus von Moovit. Wir nehmen als Basis dafür die Daten des öffentlichen Verkehrs – wie Haltestellen-Positionen, welche Linien es gibt und wann diese nach Fahrplan abfahren – die uns von den Verkehrsbetrieben zur Verfügung gestellt werden. In Berlin arbeiten wir beispielsweise mit dem VBB zusammen, der uns einen Datensatz gibt.

Durch die Vermischung mit anderen Datensätzen, beispielsweise von unseren Nutzern, die eigene Angaben machen können, sind wir in der Lage eine statistische oder historische Auswertung zu machen. Wenn wir dann sehen, dass bestimmte Verbindungen in der Vergangenheit immer anders liefen, beziehen wir dies mit in unseren Algorithmus ein. Die Crowd, unsere Community, hilft uns bei dem Finden des bestens Wegs.

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TS: Ein Bus fährt doch aber nicht auf einmal anders rum als angegeben. Was melden Ihre Nutzer denn für Informationen?

JL: Nein, nicht andersrum, sondern anders als im Fahrplan angeben. Nehmen wir mal das Beispiel, dass es Verbindungen gibt, die zu einer bestimmten Zeit ab und zu später kommen oder zu früh kommen, weil zu der Zeit die Verkehrslage das nicht anders zulässt. Das bekommen wir dann gemeldet und das vergleichen wir mit dem Fahrplan und lassen es unseren Algorithmus berücksichtigen.

Das Crowdsourcing, also der Gedanke, dass die Nutzer zu den Daten beisteuern, spielt deshalb auf verschiedenen Wegen eine Rolle. Zum einen über die eigentliche Nutzung, die dem Algorithmus neue Daten zuführt – selbstverständlich. Anonymisiert. Dann haben wir in unserer App verschiedene Funktionen, mit denen Nutzer aktiv berichten können, beispielsweise wenn eine Haltestelle vorübergehend geschlossen ist, es einen Polizeieinsatz gibt oder ein Zug vollkommen überfüllt ist. Diese Daten und Berichte können dann auch mit einbezogen werden, um im Zweifel Nutzer umzuleiten oder unseren Datensatz temporär anzupassen. Da helfen die Crouwdsource-Daten wirklich, unseren Algorithmus und damit die Verbindung intelligenter und besser zu machen.

Es gibt noch einen anderen Aspekt für das Crowdsourcing. Was in manchen Ländern vor allem sehr faszinierend ist, dass wir die Daten wirklich zusammen mit den Nutzern erstellen, also dass ganze Städte bisher nicht existierende Verkehrsdaten in Zusammenarbeit mir unserer Community erstellen. Wir haben eine sehr aktive Community, mit der wir dann also auch in Städten launchen können, in denen es diese Basisdaten gar nicht gibt.

TS: In welcher Stadt ist das bereits passiert?

JL: In Deutschland haben wir zurzeit zwei Community-Städte. Das ist Heidelberg und Baden-Baden. In anderen Ländern haben wir mehr. Mittlerweile werden fast fast vierzig Prozent der Städte, in denen wir launchen, durch unsere Community erstellt.

TS: Diese Funktion erinnert mich an Waze, ebenfalls ein israelisches Startup, dass auf den guten Willen seiner Nutzer angewiesen ist, Echtzeit-Informationen zur Verfügung zu stellen. Wieso machen Ihre Nutzer mit? Was motiviert sie?

JL: Das ist tatsächlich Altruismus, der eigenen Community oder der eigenen Nachbarschaft zu helfen und das Verkehrssystem in der eigenen Stadt besser zu machen. Wir akquirieren unsere Community nicht aktiv, sondern wir reagieren eigentlich nur auf Anfragen, wie beispielsweise in Heidelberg und Baden-Baden. Da kamen Nutzer auf uns zu und meinten: ‚Es gibt euch in Heidelberg nicht, wir wollen, dass man das hier nutzen kann‘ – und dann laden wir sie herzlich in unsere Community ein. Unser Community-Team hilft dann bei der Erstellung der Daten. Es gibt Leute, die wirklich vom öffentlichen Verkehr fasziniert sind und eben dem Gedanken, der eigenen Community zu helfen.

TS: Welche Rolle spielt das Community Management in Ihrem Unternehmen und wie bewältigen Sie diese Aufgabe bei mehr als 25 Millionen Nutzern weltweit?

JL: Zum einen sind die 25 Millionen Nutzer nicht alle aktive Community-Mitglieder, das ist ein kleinerer Prozentsatz. Die Community, die uns wirklich hilft Daten zu erstellen, sind weniger. Dafür aber sehr aktiv. Und wir haben ein Community-Team, das aktiv mit unserer Community in Kontakt steht. Es gibt auch in verschiedenen Ländern Country-Manager. so wie jetzt mich in Deutschland, die das aktiv unterstützen.

TS: Moovit wird in 650 Städten in 65 Ländern rund um den Globus genutzt. Hier in Deutschland startete die App in München, Hamburg und Berlin. Wie reagieren die Verwaltungen auf Ihr Angebot? Zumindest hierzulande werden selbst Fahrplandaten oft nur ungern geteilt.

JL: Wir sind bisher eigentlich auf sehr positives Feedback gestoßen und dass die Verkehrsverbünde ohnehin mehr und mehr in Richtung Open Data denken. Da bestehen natürlich Sorgen, die auch teilweise berechtigt sind – beispielsweise welche Daten in welcher Form mit wem geteilt werden können – aber generell ist der Wille eigentlich da. In Berlin und Hamburg wurden wir sehr freundlich empfangen.

Die Art der Daten sind dann teilweise unterschiedlich. In unserem Fall haben wir in Berlin auch den Echtzeit-Datenzugang, dass wir also auch in Echtzeit-Daten vom VBB bekommen, da wir an einer Schnittstelle angeschlossen sind. In Hamburg sind es bisher die Fahrplandaten.

TS: Allerdings hat man in den Letzten Jahren auch andere Beispiele gesehen, wie die Deutsche Bahn, die im jahr 2012 nur mit Google Maps kooperierte.

JL: Es gibt Bedenken, aber generell scheint es in die Richtung zu gehen, sich zu öffnen. Und es ist eher eine Frage, in welcher Form und wie immer noch sichergestellt wird, dass mit den Daten kein Missbrauch geschieht. Das ist auch ein berechtigtes Anliegen.

TS: Zu welchen Bedingungen kooperieren die Städte mit Ihnen?

JL: An Kooperationen sind eigentlich keine Bedingungen geknüpft, außer dass die Verkehrsbetriebe sicherstellen wollen, dass ihre Kunden am Ende aktuelle und richtige Daten bekommen. Auch aus eigenem Interesse, denn man will ja nicht, dass wenn ein Nutzer mit unserer App eine falsche Auskunft bekomme und der Bus nicht kommt, den Ärger dann auf die Verkehrsbetriebe projeziert.

TS: Was ist mit den Daten? Alex Mackenzie Torres, Vizepräsident für das Produktmarketing bei Moovit, schreibt selbst in einem zum Deutschland-Start der App vorgestellten Thesenpapier, dass intelligente Algorithmen unentbehrlich sein werden, um Verkehrsprobleme in Städten und Metropolen zu lösen. Die Daten um so einen Algorithmus zu entwickeln haben aber Sie und nicht die Städte, oder?

JL: Wir teilen unsere Daten sehr offen mit unseren Partnern. Und das sowohl mit den Verkehrsbetrieben, als auch wenn wir mit der Stadt zusammen arbeiten. Wir teilen die Erkenntnisse, die man daraus gewinnen kann sehr gerne, wie zum Beispiel bei einem großen Streik der Verkehrsbetriebe in London. Da konnten wir in unseren Daten sehen, welche Stationen während des Streiks ganz besonders stark frequentiert sind. Solche Informationen können von unseren Partner dazu genutzt werden Ihr Angebot zu optimieren.

TS: Bedeutet dieses ‚Sehr gerne zur Verfügung stellen‘, dass Sie das nur machen, wenn Sie dazu Lust haben oder ist das ebenfalls in den Kooperationen geregelt?

JL: Das ist geregelt im Sinne, dass wir das in einem Tool verfügbar machen und bei Interesse durch die Verkehrsbetriebe genutzt werden kann. Es gibt unterschiedliche Ebenen an Interesse, weil manche Partner ihre eigenen Daten verwenden. Bei einem Verkehrsbetrieb, der auch seine eigene App am Markt hat, ist der Prozess eher so, dass die Daten sich nur angeschaut und verglichen, aber nicht genutzt werden.

Worum es uns eigentlich beim Thema Algorithmus geht ist, dass wir in Zukunft sehen können, dass es immer mehr Herausforderungen für den Verkehr im urbanen Raum geben wird. Je mehr wir in die Städte ziehen, desto mehr Herausforderungen gibt es und es gibt eine große Chance, durch smarte Algorithmen, diese existierenden Verkehrssysteme mit den jetzt auf den Markt kommende Lösungen zu verbinden.

Damit ist zum Beispiel das ganze Thema Intermobilität gemeint. Es gibt jetzt Carsharing-Anbieter, welche für Bikesharing oer sogar Rollersharing. Andere Startups organisieren Minibusstrecken, mit denen Nutzer fahren können. Es gibt ja die interessantesten Services im Moment und die so smart zu verbinden, dass der Nutzer wirklich die optimale Mobilität in seiner Stadt erlangt, ist eigentlich das, in dem wir die große Chance sehen.

TS: Moovit könnte ein geschlossenes Transportsystem von Gemeinden werden, das sowohl das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs als auch privater Anbieter, wie Bike- oder Carsharing, in sich vereint. Ist die Organisation des Verkehrs aber nicht zu relevant, um sie einem Unternehmen wie Moovit zu überlassen?

JL: Wir organisieren ja in diesem Sinne nicht den Verkehr.

TS: Ich vermute, Sie könnten es versuchen, das in Zukunft sogar zu machen, da Sie viel mehr wissen als der öffentliche Nahverkehr einer Stadt.

JL: Da kommen wir wieder zurück zu dem Thema, dass wir unsere Daten mit einer Stadt und den Verkehrsbetrieben teilen und wir nicht das, was an Erkenntnissen gewonnen wird, irgendwie als Geschäftsmodell für uns haben und das dann am Ende verkaufen. Das ist nichts, was im Raum steht, sondern das sind Sachen, die wir zurück an die Community spielen.

TS: Das könnte auch ein philanthropischer Anspruch von Moovit sein, als Dienst einer Gemeinde zu dienen. Städte könnten doch einen ähnlichen Dienst wie Uber als Service für die Bürger aufbauen und so auch gleich den Verkehr gestalten und steuern.

JL: Das ist ein interessanter Gedanke. Ich glaube es gibt da durchaus sogar Bestrebungen in einigen Städten. Es ist ja nicht so, dass die sich keine Gedanken um die Zukunft der Mobilität machen und wie sie mit diesen verschiedenen Services auch in ihrer Stadt umgehen. Es ist ein interessanter Ansatz zu sagen, eigentlich müsste die Stadt ihr eigenes Uber generieren.

Warum das nicht geschieht? Ich glaube da hat man dann eben als Startup wahrscheinlich doch einige Vorteile, was Schnelligkeit und Flexibilität angeht. In einem sehr regulierten Raum, wie dem öffentlichen Verkehr, ist es dann wahrscheinlich schwieriger schnell solche Sachen auf den Markt zu bringen.

TS: Aber Moovit könnte ein Baustein sein, mit den Städten so etwas zu erreichen, weil Sie die Daten ja teilen.

JL: Wir würden zumindest gerne mithelfen und mit den Städten zusammen helfen, diese neuen Services und diese neue Mobilitätswelt am intelligentesten zu nutzen und zur Verfügung zu stellen.

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TS: Die wertvollen Echtzeit-Daten erreichen Unternehmen wie Google, Waze und Moovit durch das Tracking der Nutzer. Indem Sie die Fortbewegung der Community erfassen, wissen Sie darüber Bescheid, wie schnell man sich wo bewegen kann.

JL: Theoretisch schon. Bei Echtzeit-Daten muss man auch wieder unterscheiden, was für Echtzeit-Daten das sind, denn es gibt da die unterschiedlichsten Formen, die wir teilweise durch die Community und die Nutzung erfassen. Teilweise werden die uns aber auch zur Verfügung gestellt, zum Beispiel durch GPS-Daten von Bussen. Verkehrsbetriebe haben Daten zum aktuellen Standort der Busse und dadurch kann zum Beispiel angezeigt werden, wann jetzt in Echtzeit die nächste Abfahrt an einer Haltestelle ist. Und in manchen Städten, so wie jetzt hier in Berlin, werden uns diese Daten zum Beispiel auch zur Verfügung gestellt.

Das heißt, das sind einmal die Echtzeit-Daten, die mit in den Algorithmus einfließen. Bei den Echtzeit-Daten der Community, die durch die Nutzung entstehen, geht es einmal darum, die Fahrt oder den Algorithmus intelligent zu gestalten, dass andere Nutzer eine alternative Route angezeigt bekommen, weil wir sehen, da ist jetzt gerade Stau, da kommen die Leute nicht schnell genug voran. Man kann aber theoretisch auch eine optimierte Strecke heraus finden.

TS: Das erinnert mich sehr an die Vorratsdatenspeicherung. Der Grünen-Politiker Malte Spitz hat mit einer visuellen Darstellung seiner Daten gezeigt, wie aussagekräftig Bewegungsdaten sein können. Kann Moovit in einem Land, dass das Thema Datenschutz Ernst nimmt, überhaupt funktionieren?

JL: Ja, indem wir die Daten nicht auf eine Art und Weise erfassen, dass einzelne Nutzer getrackt werden könnten, sondern dass es immer nur anonymisiert in der Masse ausgewertet wird. Das heißt, wir wären nicht in der Lage zu sagen: Es gibt jetzt hier den Nutzer A – so wie das Open Data City gemacht hat – und ich kann jetzt genau sehen, welche Busse wer nimmt und wo lang der Nutzer sich auffällt. Das ist alles so anonymisiert, dass wir das nicht nachvollziehen können.

TS: Vielen Dank für das Interview.


Teaser & Image by Tobias Schwarz/Netzpiloten (CC BY 4.0)


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ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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