Sim City 4 Zoom out (adapted) (Image by haljackey [CC BY 2.0] via flickr)

Wie Big Data und SimCity die Städte von morgen vordenken

Die Forschung zur Zukunft der Städte hat heutzutage viele Möglichkeiten, doch gerade der Umgang mit Daten zwingt zur Beantwortung neuer, ethischer Fragen. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 ungefähr 66 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Gegenden leben werden. Es ist anzunehmen, dass die größten Erweiterungen in Afrika und Asien stattfinden werden. Die Städte in diesen Gegenden stehen vor Herausforderungen, wie den Bedürfnissen ihrer Bewohner gerecht zu werden und genügend Wohnmöglichkeiten zu schaffen, sowie Energie, Abfallbeseitigung, Gesundheitsfürsorge, Transport, Bildung und Beschäftigung.

Eine hohe Priorität unter Wissenschaftlern und Regierungen der Welt ist deshalb zu verstehen, wie Städte wachsen werden – und wie wir dies auf lange Sicht geschickter und nachhaltiger gestalten können. Wir müssen den inneren Mechanismus einer Stadt in den Griff bekommen, wenn wir diese für die Zukunft entwickeln wollen. Glücklicherweise gibt es Instrumente, die uns dabei helfen und noch besser ist es, dass es ein bisschen so ist, als würde man SimCity spielen.

Eine komplett neue (simulierte) Welt

Städte sind ein komplexes System. Immer mehr Wissenschaftler, welche Städte studieren, sind vom Denken über die Stadt als Maschine, zur Stadt als Organismus gekommen. Städte als komplexe, anpassungsfähige Organismen zu sehen – ähnlich wie natürliche Systeme wie Termitenhügel oder Schleimpilzkolonien – erlaubt es uns einzigartige Einblicke in ihre inneren Vorgänge zu gewinnen. Und so geht es.

Komplexe Organismen sind durch individuelle Einheiten, welche durch eine kleine Anzahl von einfachen Regeln gesteuert werden, charakterisiert. Während diese relativ simplen Dinge leben und funktionieren, generiert die Sammlung all ihrer individuellen Zusammenspiele und Verhaltensweisen umfassendere Gesamtphänomene. Die, zum Beispiel, wunderschönen und komplexen Formen von Vogelschwärmen werden nicht von einem Anführer organisiert. Sie kommen zustande, weil die Vögel einfachen Regeln folgen, die besagen wie nahe sie sich einander kommen können, in welche Richtung geflogen wird und wie sie Feinden aus dem Weg gehen.

In gleicher Weise zeigen Ameisenkolonien sehr ausgeklügelte und anscheinend intelligente Verhaltensweisen, doch dies passiert nicht als das Ergebnis eines guten Anführers. Dies entsteht dadurch, dass die vielen Ameisen relativ einfachen Regeln folgen, ohne über den Tellerrand hinaus zu schauen. Es ist leicht zu sehen, wie diese Perspektive auf menschliche Systeme angewendet werden könnte, wenn man sich Phänomene wie Staus erklärt.

Sollten Städte also wie Organismen sein, sollten wir sie von unten nach oben untersuchen und versuchen zu verstehen, wie unerwartete Großphänomene durch individuelle Interaktionen entstehen. Genauer gesagt können wir simulieren, wie das Verhalten individueller “Agenten” – egal ob es sich dabei um Menschen, Haushalte oder Organisationen handelt – die urbane Umwelt beeinflussen, wobei man ausgewählte Techniken, bekannt als “agentenbasierte Modelle”, nutzt.

Hier beginnt die Ähnlichkeit zu SimCity. Es ist bekannt, dass dieses Computerspiel ursprünglich auf der Arbeit des weltbekannten System-Wissenschaftlers Jay Forrester basiert, welcher Interesse an urbanen Dynamiken zeigte. In diesem Spiel bekommen individuelle Agenten ihre eigenen Charakteristika und Regeln und ihnen ist erlaubt, mit anderen Agenten und der Umgebung zu interagieren. Unterschiedliches Verhalten entsteht durch diese Interaktionen und steuert die darauf folgenden Interaktionen.

Während Computerspiele Verallgemeinerungen über das Verhalten von Leuten und Organisationen benutzen können, müssen Wissenschaftler vorhandene Dateien nutzen, um realistische und robuste Regeln zu schaffen, welche rigoros getestet und bewertet werden. Um dies effektiv zu tun, braucht man auf individuellen Leben eine große Menge an Dateien.

Das Formen anhand von Big Data

Heutzutage geben der Anstieg der Leistung im Computerwesen und die Profilierung der Big Data dem agentenbasierten Modellieren bisher nicht dagewesene Kraft und Anwendungsbereiche. Eine der spannendsten Entwicklungen ist das Potential, die Gedanken und das Verhalten von Menschen einzubringen. Dadurch können wir beginnen, die Auswirkungen von menschlichen Entscheidungen auf aktuelle Begebenheiten und die Zukunft zu modellieren.

Man möchte zum Beispiel wissen, wie die Veränderungen der Straßenführung die Kriminalitätsrate in gewissen Gegenden beeinflusst. Durch das Modellieren der Aktivitäten von einzelnen Individuen, welche eventuell versuchen ein Verbrechen zu begehen, kann man sehen wie das Verändern der urbanen Umgebungen beeinflusst, inwieweit sich Menschen durch die Stadt bewegen, welche Häuser ihnen auffallen und dadurch, welche Orte unter hohem Risiko stehen, ein Tatort für Einbrüche zu werden.

Um das Ziel des Simulierens von Städten komplett zu verstehen, brauchen Modelle eine große Menge an Dateien. Ein Beispiel ist, den täglichen Menschenstrom in der Stadt zu modellieren. Dazu muss man wissen, was Leute mit ihrer Zeit machen, wo sie dies machen, mit wem sie dies machen und was dieses Verhalten steuert.

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Ohne diese qualitativ guten, hochauflösenden Dateien, gibt es keinen Weg zu wissen, ob die Modelle realistische Ergebnisse produzieren. Big Data könnte Wissenschaftlern eine reiche Vielfalt an Informationen anbieten, um diese beiden Bedürfnisse abzudecken. Die Dateien, welche interessante urbane Modelleure sind, beinhalten:

  • Elektronische Fahrkarten, welche uns berichten, wie Menschen sich in einer Stadt bewegen.

  • Twitter-Nachrichten, welche Einblicke geben und zeigen, was Menschen tun und denken.

  • Die Dichte von Smartphones, welche einen Hinweis auf das Bestehen von Mengen gibt.

  • Treue- und Kreditkarten-Transaktionen, um das Verhalten von Verbrauchern zu verstehen.

  • Teilnehmende Kartierung von bis dato unbekannten urbanen Bereichen, wie Open Street Map.

Diese Daten können oft auf das Level einer einzelnen Person verfeinert werden. Dadurch müssen sich urbane Phänomen-Modelle nicht länger auf Annahmen über die Bevölkerung als ein Ganzes verlassen – sie können so zugeschnitten werden, dass sie die Vielfalt einer Stadt voller Individuen, welche sich individuell benehmen und auch so denken, einfangen.

Fehlende Menschen

Natürlich gibt es ernste praktische und ethische Überlegungen, welche man beachten muss, sobald Big Data in urbane Modelle integriert wird. Das Ausmaß an Hintergrundgeräuschen in neuen Datenquellen macht es kompliziert, nützliche und verlässliche Informationen zu entnehmen. Es kann zum Beispiel oft schwierig sein, Twitter-Nachrichten danach zu unterscheiden, ob sie von echten Menschen oder Computern gesandt wurden.

Wir müssen auch sicher gehen, dass wir verstehen, wer in unseren Daten gut repräsentiert ist und wer nicht. Die digitale Kluft existiert und die Forschung suggeriert eine Aufteilung, welche diejenigen, die digitalen Inhalt erschaffen von denen trennt, die dies nicht tun. Dies bedeutet, dass es wahrscheinlich große Teile der Bevölkerung gibt, die in Datensätzen fehlen.

Wir müssen zudem neue Wege finden, um diese Methoden ethisch zu machen. Die Verbraucher- und Forschungsethik wurde traditionell um informierte Einverständnisse strukturiert. Bevor man an Interviews und Umfragen teilnimmt, müssen Teilnehmer eine Einverständniserklärung unterschreiben, die es den Wissenschaftlern erlaubt, ihre Daten zu benutzen. Aber heutzutage digitalisieren Individuen Aspekte ihres Lebens, wie die Stimmung, Gedanken, Gefühle und das Verhalten, welche zuvor nicht dokumentiert waren. Zudem wird dies oft öffentlich im Internet zugänglich gemacht.

Und obwohl das Individuum vielleicht eine Box angeklickt hat, welche es erlaubt seine Dateien zu benutzen, heißt es nicht, dass diese Person die Bedingungen gelesen und verstanden hat. Die Geschäftsbedingungen von iTunes vom Juni 2015 sind zum Beispiel mehr als 20.000 Wörter lang (rund zwanzigmal so lang wie dieser Artikel). Wissenschaftler und Dienstleister müssen sich fragen, wie viele Leute sich wirklich mit diesen Dokumenten auseinandersetzen und ob ihre Zustimmung wirklich unserer Idee des Einverständnisses entspricht.

Es wird uns vielleicht nie möglich sein, jedes Individuum in einer Stadt zu simulieren und vielleicht wollen wir dies auch niemals tun, aber wir kommen der Möglichkeit näher, die Vielfalt eines Stoffes zu simulieren, welcher die Form unserer Städte zusammenwebt. Wenn wir dies tun können, dann können wir auch sinnvollen Input dazu geben, wie man die Städte der Zukunft am besten formt – vielleicht sogar bis zur letzten Straßenlaterne, zum letzten Bus oder Wohnungstrakt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) “Sim City 4 Zoom out” by haljackey (CC BY 2.0)


 

ist Dozent für Geoinformationssysteme und Mitglied des CSAP (Centre for Spatial Analysis and Policy). Sein grundlegendes Forschungsinteresse gilt der Entwicklung räumlicher Computermodelle von sozialen Phänomenen mit speziellem Fokus auf die Simulation von Kriminalität.


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