Erst des Kaisers neuer Duft, dann das Parfüm für die mondäne Frau der 1920er und nun mittels Chromatografie wiederbelebt: In Berlin ist aktuell die Geschichte von J.F. Schwarzlose zu sehen. Vor zwei Wochen wurde der neue Fotokalender von Pirelli vorgestellt. Der bekannte Reifenhersteller wartete mit einer Überraschung auf: Statt wie gewöhnlich nackter Models mit Idealmaßen, zeigte Fotografin Annie Leibovitz dieses Mal erfolgreiche Frauen unterschiedlichster Staturen und Altersklassen. Ein “Bruch mit Traditionen und Stereotypen” titelte die Promi-Zeitschrift Vanity Fair. Kaum vorstellbar, dass es vor über 90 Jahren mal ein Parfümunternehmen gab, das Flakons sogar extra in Gestalt einer sportlichen Kühlerfront modellierte, um seine Düfte an die Frau zu bringen.
“J.F. Schwarzlose” lautet der Name der Berliner Firma. Von 1856 bis 1976 war man die bis heute langlebigste Parfümerie Deutschlands. Vor drei Jahren wurde das Unternehmen nun wiederbelebt. Und durch das Engagement der neuen Macher ist die alte Geschichte nun auch als Teil der Ausstellung “Tanz auf dem Vulkan” im Ephraim-Palast nahe des Alexanderplatzes zu besichtigen.
Die 1880er: Blütenduft für den Kaiser
Das Berlin der Vorkaiserzeit: Die innovative Produktion synthetischer Duftstoffe hat die Deutschen konkurrenzfähig zu den berühmten französischen Nachbarn mit ihren kaum erschwinglichen Naturingredienzien gemacht. Zu Hochzeiten werben allein in der preußischen Hauptstadt mehr als 150 Parfümerien um die Nasen der Kundschaft. Eine von ihnen gehört Joachim Friedrich Schwarzlose. Mit seinem Drogeriehandel erzielt er schnell große Umsätze und gewinnt namhafte, wenn auch historisch wenig rühmliche, Kundschaft: J.F. Schwarzlose Söhne wird erst königlicher, später kaiserlicher Hoflieferant. Produktnamen wie “Hohenzoller Maiglöckchen” zeugen davon.
Woher der gelernte Klavierbauer allerdings das Wissen für seinen Quereinstieg nahm, kann Tamas Tagscherer leider nicht erklären. Der in Berlin lebende Ungarn führt gestern Abend in einer Sonderveranstaltung durch die zwei Parfüm-Räume der Ausstellung. Er ist Geschäftspartner von Lutz Hermann, welcher vor drei Jahren J.F. Schwarzlose wieder aufleben ließ. Hermann ist zwar vom Fach – als Verpackungsdesigner entwarf er u.a. Flakons für Dolce & Gabbana, Adidas oder die eigene Marke der Sängerin Beyoncé –, doch auch er ist kein Parfümeur. Die professionelle Nase der Firma sitzt in Frankreich: Véronique Nyberg mischt die Kreationen an. Sechs sind es bislang an der Zahl. Die Hälfte davon sind Reinkarnationen der Vorgängerfirma. Sie tragen Titel wie “Trance”, “Treffpunkt 8 Uhr” und “1A-33”. Letzterer ist der wohl legendärste Duft, der mit dem Namen Schwarzlose verbunden ist.
Die 1920er: So riecht das neue Frauenbild
1A-33 kommt 1922 auf den Markt. Die Schwarzloses haben den ersten Weltkrieg überstanden. Motorenlärm erfüllt wieder die Straßen Berlins. In den damaligen Kennzeichen markiert “I”, die römische Eins, Preußen, “A” den Verwaltungsbezirk Berlin. Ergänzt um die zu diesem Zeitpunkt noch Modernität und Zukunft verheißende Zahl 33 wird das vermeintliche Kennzeichen zum Namen eines neuen Duftes für die Frau. Bei Schwarzlose sieht man die idealtypische, mondäne Kundin am Steuer. Damals wurde noch in Lederhandschuhen gelenkt. Da das Material aber stank, erklärt Tamas Tagscherer heute, gingen Handschuh- und Parfümhandel Hand in Hand.
Der Gestalter Kurt Hilscher, später als Werbedesigner tätig, entwirft jenen Flakon in Form eines schlanken und hoch aufschießenden Automobilkühlergrills, der Neugründer Lutz Herrmann Jahre später noch so begeistert. Dazu wirbt die Firma mit starken, bekannten Frauen wie der Tänzerin Edmonde Guy. Sie leiht zeitgleich als selbstständige Frau, ganz abseits der Familie, auch einem neuen Staubsauger ihr Gesicht. Es ist der fortschrittliche Geist der 20er-Jahre, wie auch eine andere, ausgestellte Anzeige aus dem Hause und der Zeit zeigt. Darin wird eine Handseife angepriesen, die jeder Geschäftsfrau “einen gepflegten Händedruck” verleihen soll. Unweigerlich erinnert das an heutige Werbung für Männergesichtspflege.
J.F. Schwarzlose bieten aber auch Noten für die Herren an. Die Tänzerin Josephine Baker, ein Weltstar dieser Zeit, schert sich allerdings nicht um Konventionen: Sie bekennt, Schwarzloses provokant betitelten Herrenduft “Treffpunkt 8 Uhr” aufzutragen. Das Parfüm wird über Nacht zu einem Unisexprodukt. Überhaupt ist es eine Phase experimenteller Gerüche. Die Parfümindustrie erlebt nach dem Ersten Weltkrieg einen olfaktorischen Kreativschub. Längst soll ein Duft nicht mehr haargenau nach einer bestimmten Blütenart duften. “IA-33” kombiniert man so u.a. aus rotem Pfeffer sowie Jasmin-, Linden- und Magnolienblüten zusammen.
Heute: Reinkarnation dank Chromatografie
Die Neuauflage des Originals wird in der Kopfnote um Mandarinenschale ergänzt. Lutz Herrmann, Tamas Tagscherer und Véronique Nyberg konnten bei der Komposition jedoch nicht auf die Originalrezepturen zurückgreifen: Nach Nazi-Herrschaft, dem Tod eines Geschäftsführers im Arbeitslager bis hin zur Ausbombung der Fabrik geht es nach dem Zweiten Weltkrieg zwar weiter. Auch die Abtrennung einzelner Geschäftsstellen durch den Mauerbau überlebt J.F. Schwarzlose Söhne. Doch 1976 soll das wiederaufgebaute Fabrikgelände in Berlin-Moabit dem sozialen Wohnungsbau weichen. Die betagte Geschäftsführerin Anni Müller-Godet beschließt, keinen weiteren Neuanfang zu wagen. Ihre Kinder und Enkeln führen die Tradition ebenfalls nicht fort, sind für Herrmann & Co. nicht auffindbar und erfahren deshalb schließlich erst über Umwege von dem zweiten Leben der Marke.
Das Trio hatte zuvor mehrere Flakons online ersteigert und durch chromatographische Bestandteilsunterschungen von außen sowie – wenn möglich – Duftproben die Düfte neu zusammengesetzt. Manche Bestandteile wie das heute verbotene, natürliche Moschus mussten allerdings ersetzt werden. Erst nach Fertigstellung gelangen sie über die Schwarzlose-Nachfahren an die alten Zusammensetzungen. Doch da haben einige ältere Kunden längst “ihr” IA-33 als 1A-33 wieder entdeckt. Seitdem wächst man beständig. Nur für die alten Kühlergrillflakons ist man noch zu klein, erklärt Tamas Tagscherer am Ende seiner Führung: Die nötige Handfertigung ist bei den derzeitigen Stückzahlen noch nicht erschwinglich.
Die Ausstellung “Tanz auf dem Vulkan” und die Schau “IA–Duft – Schwarzlose & Das Berliner Parfüm” sind noch bis zum 31. Januar 2016 im Berliner Ephraim Palais zu sehen.
Teaser & Image by J.F. Schwarzlose
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Schlagwörter: Ausstellung, berlin, Duft, Parfüm, Parfümerie, Schwarzlose, Stadtmuseum, unternehmen