Im Jahr 1998 verabschiedete der US-Kongress den Copyright Term Extension Act (CTEA). Der CTEA verlängerte alle bestehenden Urheberrechte des Copyright Act von 1976 rückwirkend um 20 Jahre. Statt also Werke mit abgelaufenem Copyright in öffentlichen Besitz umzuwandeln, legte man fest, dass der CTEA zwischen Januar 1999 und Januar 2019 keine zusätzlichen urheberrechtlich geschützten Werke in die öffentliche Domain eintragen durfte.
So bescherte der CTEA den Besitzern wertvollen geistigen Eigentums, für welches das Copyright sonst verfallen wäre, einen erheblichen Geldsegen. Das von der CTEA auferlegte 20-jährige Moratorium nähert sich nun dem Ende. Der Kongress, welcher im November 2016 neu gewählt wird, wird entscheiden, ob er den CTEA auslaufen lässt oder die Dauer des Copyrights weiter verlängert. Welche Folgen wird es haben, wenn das Copyright erneut verlängert wird? Als wissenschaftlicher Bibliothekar und Kenner der Urheberrechtsgeschichte glaube ich, dass eine weitere Verlängerung des Urheberrechts dem Gemeinwohl schaden wird.
US-Gesetz und Copyright
Nehmen wir das Beispiel eines einzelnen, etwas unbedeutenden Buches. Am 21. Juli 1924 registrierte ein US-Armeeoffizier namens Walter C. Sweeney (sen.) das Copyright für das Sachbuch “Military Intelligence: A New Weapon of War”, welches auf seine Erfahrungen im ersten Weltkrieg basierte. Unter den damals gültigen US-Gesetzen lag das Copyright für dieses Buch bei 28 Jahren, mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere 28 Jahre. Am 7. Juli 1952 verlängerte Major General Sweeney, der zu diesem Zeitpunkt im Ruhestand war, sein Copyright. Dadurch verlängerten sich seine exklusiven Rechte auf seine Arbeit bis zum 1. Januar 1981.
Auch wenn es nicht mit Sicherheit feststellbar ist, besteht doch die Möglichkeit, dass Sweeney bis 1952 Lizenzgebühren für “Military Intelligence” erhielt. Jedoch ist es genauso möglich, dass er jahrelang keine Lizenzgebühren bekam. Abgesehen von einer weitestgehend unbekannten Übersetzung ins Chinesische im Jahr 1946, wurde “Military Intelligence” nach der ersten Veröffentlichung im Jahr 1924 nie wieder nachgedruckt.
Bis zum Jahr 1952 hätten alle neuen (das heißt, Lizenzgebühren erzeugenden) Kopien bereits über die üblichen Kanäle verkauft oder einfach entsorgt werden können, als der ursprüngliche Herausgeber, die Frederick A. Stokes‘ Company, von J.B. Lippincott im Jahr 1943 aufgekauft wurde.
Unabhängig davon ist es durchaus wahrscheinlich, dass das Ende des Copyright von Sweeney zum Neujahrstag 1981 keinen finanziellen Schaden auf sein Erbe verursacht hätte. (Sweeney starb als Witwer im Jahr 1963, im Jahr 1981 war nur noch eins seiner drei Kinder am Leben.)
Wie die überwiegende Mehrheit von Werken, lief auch der wirtschaftliche Wert von „Military Intelligence“ Jahrzehnte vor dem Ablauf des Copyright ab. Für jeden “Great Gatsby”, der noch Jahrzehnte nach seinem Debüt Einnahmen generiert, gibt es Zehntausende Werke wie “Military Intelligence”, deren wirtschaftliche Haltbarkeit bestenfalls ein paar Jahre andauert.
Worin liegt also der Sinn?
Hier wendet sich das Blatt: Das Buch wurde im Jahr 1981 nicht in die öffentliche Domain eingetragen. Stattdessen verblieb es bis zum heutigen Tag ein urheberrechtlich geschütztes Werk. Nach dem gültigen Gesetz wird es erst am 1. Januar 2020 gemeinfrei werden und somit mehr als 95 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung. Doch warum blieb “Military Intelligence” für fast vier Jahrzehnte länger urheberrechtlich geschützt, als sein Autor erwartet hatte?
Der Grund dafür ist, dass der US-Kongress die Schutzdauer des Copyright weiter verlängert. Im Jahr 1976 erhöhte sich Sweeneys Copyright von 1952 durch ein neues Urheberrechtsgesetz von 28 auf 47 Jahre. Im Jahr 1998 verlängerte der CTEA einseitig alle Copyrights der nach 1. Januar 1923 erstellten und noch immer urheberrechtlich-geschützten Werke. Die Hauptrechtfertigung des CTEA war, dass es zu einem Einklang des U.S. Copyright und des europäischen Urheberrechtes gekommen sei, welche in der Berner Konvention spezifiziert wurden und festlegen, dass das Urheberrecht mindestens 50 Jahre nach dem Tod des Urhebers andauern soll.
Die Hauptkritik an dem Gesetz von Leuten wie dem Akademiker und Anwalt Lawrence Lessig ist, dass eine Handvoll von Unternehmen wie Disney und die Erben von kommerziell erfolgreichen Künstlern wie Irving Berlin von der rückwirkenden Verlängerung der Copyright-Bedingungen durch den Kongress profitieren. Dies geschieht unter Missachtung des Verfassungsmandats, welches besagt, dass das Urheberrecht die Rechte der Schöpfer für eine begrenze Zeit schützt, statt dies auf Dauer zu tun.
In diesem Verfahen werden Millionen von Werken, die nicht mehr oder nie wirtschaftliche Vorteile für ihre Urheber oder deren Erben brachten, heute an die gleichen Gesetze gebunden, die kommerziell erfolgreiche Werke, wie den ersten Micky-Maus-Film “Steamboat Willie” und Irving Berlins “Puttin’ on the Ritz” schützen. (Beide wären heute lizenfrei, wenn nicht der CTEA gelten würde.)
Warum das wichtig ist?
Also, wen interessiert es, wenn sich ein unbekanntes und hoffnungslos veraltetes Buch über den Militärgeheimdienst in den gierigen Tentakeln des Copyright-Oktopus verheddert? Abgesehen von ein paar Militärhistorikern wohl niemanden. Würde sich aber herausstellen, dass der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass “Military Intelligence” einige Fakten, Weisheiten oder Einsichten beinhaltet, die die Welt zu einem sicheren, glücklicheren oder gerechteren Platz machen können, dann sollte es die gesamte Welt kümmern.
Wie es aussieht, kann die Welt nicht wissen, was “Military Intelligence” zu bieten hat. Außer jene, welche bereits eine Kopie besitzen, Zugang zu einem der rund 100 in verschiedenen Bibliotheken verstreuten Kopien haben oder gewillt und fähig sind, einen Preis zwischen 25 bis 70 US-Dollar für ein gebrauchtes Exemplar zu bezahlen (kein Cent davon fließt in das Vermögen des Autors). Gemeinnützige Einrichtungen wie HathiTrust und Internet Archive können den digitalisierten Volltext von “Military Intelligence” (eine Arbeit ohne jeglichen wirtschaftlichen Wert) nicht frei zugänglich machen.
Und was wäre, wenn entgegen aller Vernunft jemand von “Military Intelligence” zu einem Spiel, Film, Comic-Roman oder einer anderen Arbeit inspiriert worden wäre? Im schlimmsten Fall ist es unmöglich, den aktuellen Rechteinhaber zu finden, um die Erlaubnis für die Erstellung eines abgeleiteten Werkes zu erhalten; im besten Fall wäre der Prozess zeitaufwändig und kostspielig. Selbst wenn der aktuelle Rechteinhaber gefunden wird, könnte jeder Versuch unterdrückt werden, “Military Intelligence” umzufunktionieren, indem eine exorbitante Gebühr für die Erlaubnis verlangt oder einfach die Zusammenarbeit verweigert wird. Wenn sie auf eine Premiere von “Military Intelligence: An American Musical” warten, tun sie das vergebens.
Natürlich ist nicht die Tatsache, dass ein bestimmtes Buch unter Verschluss liegt, das Problem des aktuellen Urheberrechtsgesetz. Das Problem ist die ständig verlängerte Sperrung einer Masse von Arbeiten, die frei verfügbar sein sollten, um die Schaffung neuer Werke zu inspirieren.
Ein unbefristetes Copyright?
Werden die Unternehmen und Individuen, die zwar alte, aber immer noch wertvolle Urheberrechte besitzen, ihr Privateigentum Jahr für Jahr in den Besitz der Allgemeinheit übergeben wollen? Oder werden sie den Kongress beeinflussen, damit es zu einer 20 oder 40 oder 100 Jahre langen Erweiterung des Urheberrechts kommt?
Es ist anzunehmen, dass die Eigentümer wertvoller Copyrights den 115. Kongress beeinflussen werden, damit er die Bedingungen des Urheberrechts verlängert. Sicherlich waren auch Lobbyisten daran beteiligt, den CTEA in den späten 90ern voranzutreiben – ein Sieg, den sie der insgesamt schwachen und desorganisierten Opposition verdankten.
Ich glaube, dieses Mal werden es die Lobbyisten, die auf ein längeres Copyright drängen, nicht ganz so leicht haben. Das Aufkommen digitaler Information im Alltag hat einen umfangreichen Bestand an Akademikern, Rechtsgelehrten, Bibliothekaren und Verbrauchern geschaffen, die viel über die Auswirkungen der Copyright-Gesetzgebung auf ihr Leben nachdenken.
In der Vergangenheit haben Organisationen, zum Beispiel die Electronic Frontier Foundation, die American Library Association und Creative Commons aus Sorge über die öffentliche Beteiligung an der Urheberrechtspflege damit begonnen, sich anderen unfairen Copyright-Gesetzen wie den Stop Online Piracy Act (SOPA) und den PROTECT IP Act (PIPA) zu widersetzen. Sollte der 115. Kongress zu einer erneuten Verlängerung des Copyright gedrängt werden, brauchen diese Organisationen und deren Verbündete eine aktive öffentliche Unterstützung. Es ist nicht genug, sich zurückzulehnen und darauf zu hoffen, dass Internet-Petitionen und Facebook-Schimpftiraden siegen werden.
Obwohl der Kongress die zeitliche Begrenzung des Copyright nicht abschaffen kann, könnten die Bedingungen so geändert werden, dass das Copyright selbst nahezu unendlich verlängert wird. Wenn das geschehen sollte, würden Millionen von Werken, die für aktuelle und zukünftige Generationen von Wissenschaftlern, Künstlern und Neugierigen frei verfügbar sein sollten, im Schatten des Urheberrechts verborgen bleiben – unzugänglich und nahezu unsichtbar.
Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Image (adapted) „FIGHT CLUB“ by CHRISTOPHER DOMBRES (CC0 Public Domain)
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