Wenn vom 11. bis 22. Februar der Berlinale-Teppich ausgerollt wird, gibt es in den Hauptstadt-Kinos wieder jede Menge Film-Premieren und Schauspieler aus aller Welt zu sichten. Das eine oder andere Werk macht sich dabei Hoffnung auf den Goldenen oder wenigstens den Silbernen Bären. Doch die im Wettbewerb stehenden Beiträge kommen nicht nur im Langspielformat daher, sondern auch gern mal als knackiger Kurzfilm.
Die internationale Jury, bestehend aus den Film- und Kunstschaffenden Sheikha Hoor Al-Qasimi, Katerina Gregos und Avi Mograbi, hat nun die Aufgabe aus 25 kleinen Kunstfilmchen die Gewinner herauszupicken. In der Kategorie Berlinale Shorts werden außerdem noch die Sonderpreise Audi Short Film Award (mit 20.000 Euro dotiert) und Berlin Short Nominee for the European Film Awards vergeben. Wichtigste Bedingung, um bei dieser Sektion mitzumischen: Dreißig Minuten darf keines der Werke der jungen Filmemacher überschreiten.
Schon bevor sich Berlinale-Direktor Dieter Kosslick seinen roten Schal umwirft und das Filmfestival als eröffnet erklärt, gab es für die Presse die Möglichkeit alle 25 in den Ring tretenden Kurzfilme anzuschauen. Ich war eine dieser Leute, die sich an einem Montagmorgen in Berlin dafür von 10 bis 18 Uhr ins Kino begab und sich viereckige Augen guckte. Also Schluss mit den Fakten, hinein ins Subjektive. Denn wenn ich eines gleich vorweg nehmen kann: Trotz der Kürze und ihrer Würze ist so ein Marathon echt kein Zuckerschlecken.
Noch bevor ich den ersten Kaffee fertig intus, geschweige denn gefrühstückt habe, läuft Vintage Print von Siegfried A. Fruhauf an. Nach den dreizehn Minuten habe ich das Gefühl noch eine ganze Weile mit dem Essen warten zu müssen. Bei mir dreht sich alles. Der Österreicher zeigt eine auf einer Glasplatte befindliche Fotografie aus dem 19. Jahrhundert. Der Kniff am Ganzen: Der Fund durchläuft eine Entwicklung vom Analogen zum Digitalen. Im Klartext: Hier flirrt und flimmert es fieser als das Strobo-Licht in der Dorfdisse. Dazu gesellt sich ein brüllend lauter Großstadt-Sound, der eigentlich nur vor hat mich zu foltern. Anders kann ich mir das nicht erklären – dieses Horrorfilmchen, was zwischen Schwarz-Weiß und Farbe changiert, will mir Schmerzen zufügen. Für Epileptiker nicht geeignet. Für Freunde des Schönen auch nicht.
Das Dröhnen, Rauschen und der allgemeine Geräuschpegel sollen sich durch die meisten der folgenden Filme wie ein roter Faden ziehen. Dabei heißt es im Presseschreiben noch, dass es bei den Shorts 2016 vor allem ums Ankommen gehen soll. Aber was genau hat ein Typ, der sich in eine Art Astronauten-Anzug zwängt, um dann in der übelsten Müllhalde von Mexico City auf Tauchstation zu gehen (Titel: El Buzo), mit Ankommen zu tun? So richtig möchte mir das nicht einleuchten, beeindruckend sieht das aber alle Male aus. Auch das Paar, welches sich in Tsomet Haruhot von Rotem Murat auf einem Roadtrip befindet und dabei von einem mysteriösen Auto verfolgt wird, erweckt auf „Blair Witch Project“-Wackelkamera-Weise Spannung – aber wo ist da so was wie ein Heimat-Feeling?
Schnell versuche ich mich von dieser Berlinale-Pressemitteilung zu lösen und einfach weiter draufloszuschauen. Und hui, es gibt noch einiges zu ertragen. Singende Glibberfische, überirdisch schöne Frauen, die grüne Rauchwolken pupsen, aus denen sich Geister herausentwickeln (beides: Freud und Friends), schwangere Knetfigur-Frauen, die sich erst von der eigenen Katze abschleckern lassen und dann von der besten Freundin (Moms On Fire) oder auch etwas, das zu gerne gesellschaftskritisch wäre, aber eigentlich nur Porno ist (Notre Héritage). Als Running Waters von dem Brasilianer Diego Zon in Gange ist, der zuvor als ‚Meditation auf dem Meer’ angekündigt wurde, schlafe ich selig ein. Als ich wieder wach werde, schunkelt die Kamera nur noch einen kurzen Moment auf dem Boot und ich beschließe mir eine große Kanne Kaffee für den nächsten Film-Block zu besorgen.
Die Koffein-Überdosis war aber dann doch zu pessimistisch gedacht. Denn – zum Glück – bieten die Shorts auch in diesem Jahr ein paar wirklich gute, tiefgreifende Filme, teils auch mit einem angenehmen Gespür für Slapstick und tiefschwarzen Humor. Zum einen gibt es Love von Réka Bucsi zu feiern. In ihrem Animationsfilm lässt sie schnurrende Schmusekatzen-Wesen, Waltierchen mit Flatterohren und einer ganzen Berglandschaft auf dem Rücken sowie auch spitzschnäuzige Ponys von der Kinoleinwand grinsen. Während die Ausgangssituation noch harmlos erscheint, muss man sich auf (gemaltes) Blut- und viel Tränenvergießen einstellen. Das dennoch Beruhigende daran: Bucsis Kunstwerk stellt das rege Leben auf den Planeten als natürlichen Kreislauf dar, bei dem schließlich auch alles wieder zusammenfließt und Sinn macht. Puh.
Als ein weiteres Highlight, wenn auch weitaus ernsthafter, erweist sich das siebenminütige Kaputt von Volker Schlecht und Alexander Lahl. Mit simpelster Bildsprache und sehr zurückgenommener Farbwahl werden die Missstände des Frauengefängnisses in Hoheneck zu DDR-Zeiten angeprangert. Aus dem Off erzählen zwei betroffene Frauen von der harten, körperlichen Arbeit dort. Wenn sie nicht spurten und ihre Näharbeiten in der vorgegebenen Schnelligkeit ablieferten, wurden sie in dunkle Einzelzellen ohne Bett oder Stuhl gesteckt. Tatsächlich gab es sogar einen Arrestraum, in dem einem das Wasser buchstäblich bis zum Hals stand. Regelmäßig fielen den Inhaftierten die Haare aus, ihre Periode blieb ebenfalls nach einer Weile aus.
Auch A Man Returned, eine halbstündige Doku von Mahdi Fleifel, lässt mich schwerer Atmen. Sie nimmt den 26-jährigen Reda in den Fokus, der die vergangenen drei Jahre in Athen als Obdachloser und Prostituierter gelebt hat. Aber egal wie sehr er sich auch bemühte in Europa als Flüchtling anerkannt so werden – er scheiterte. Dann steckt er wieder im Flüchtlingslager in Libanon fest. Er ist drogenabhängig und seine einzige Hoffnung scheint nun eine arrangierte Hochzeit zu sein. Neben der offensichtlichen Abwärtsspirale erschreckt mich am stärksten der Moment, in dem klar wird, dass er eine schwarze Streunerkatze als seinen Freund bezeichnet und genau diesen bereits mehrfach Drogen schnupfen lassen hat.
Im Endeffekt rasen die Berlinale Shorts in den fast acht Stunden mit mir durch alle erdenklichen Gefühlswelten. Manchmal erwischt es mich eiskalt, ich bin erschüttert und fasse es nicht wie viel ich nicht weiß von unserer Gesellschaft und der Erde. Dann wiederum bin ich über lange Strecken zutiefst verstört von dem arty farty Ansatz mancher Werke. So vieles ist kurz und wild zusammengeschnitten und stört sich kein bisschen an Genre-Überschreitungen, wirren Sound-Schnipseln und einer absolut undurchsichtigen oder gar nicht vorhandenen Story. Klingt in der Theorie super, ist beim Gucken aber echt unschön, fade oder gar physisch anstrengend. Und dann muss ich wieder lächeln, ja, fast schon laut auflachen. Ein letztes Filmchen sei genau zu diesem Zweck noch ans Herz gelegt: Hopptornet von Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck. In 17 Minuten versuchen unzählige Personen sich im Bade-Dress vom 10-Meter-Turm in der Schwimmhalle zu trauen. Dabei spielen große Egos, ein falsches Selbstbild oder einfach nur die schlichte Angst vor dem Aufprall elementare Rollen. Dem Zuzuschauen ist einfach nur urwitzig – und für Ästhetik-Liebhaber gibt es obendrauf noch Zeitlupen von den obskursten verzerrten Gesichtern beim Sprung.
Images by Berlinale Festival 2016
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