Am 28. April 2016 startet mit „Ein Hologramm für den König“ ein Film im Kino, der nach unserem Platz in der Welt fragt, wenn uns der Fortschritt zu überrennen droht. Nach „Cloud Atlas“ ist dies bereits die zweite Zusammenarbeit von Regisseur Tom Tykwer und Hauptdarsteller Tom Hanks, die im Gespräch immer wieder unter Beweis stellen wie gut sie miteinander harmonieren. Und das, ohne zur selben Zeit im gleichen Raum zu sein.
Zum Interviewtag in Berlin trafen wir die beiden, um mit ihnen über die gelungene Adaption von Dave Eggers‘ Roman zu sprechen. Hier wird ein antiquierter Geschäftsmann nach Saudi-Arabien geschickt, um den größten IT-Deal seiner Karriere abzuschließen – doch statt dem versprochenen Pitch lässt der König Tage, Wochen und schließlich sogar Monate auf sich warten. In der Zeit lernt Tom Hanks nicht nur Land und Leute besser kennen, sondern findet auch zu sich selbst. Während das Buch noch mehr Drama als Komödie ist, kehrte man den Spieß für die Leinwand kurzerhand um und hebt die positiven Aspekte der Warterei hervor. Jetzt sollen aber die Akteure selbst zu Wort kommen.
David Streit (DS): Warum wolltet ihr diese Geschichte unbedingt zusammen umsetzen?
Tom Tykwer (TT): Ich wollte vor einiger Zeit schon mal ein anderes Buch von Dave Eggers verfilmen. Seitdem kennen und schätzen wir uns sehr. Als dann „Ein Hologramm für den König“ herauskam, hatte ich beim Lesen sofort Bilder und Kamerafahrten vor Augen. Da ich zu dem Zeitpunkt auch gerade mit Tom gedreht habe, stand die Besetzung für mich sofort fest. Alan Clay musste einfach von ihm verkörpert werden! Beim anschließenden Drehbuchschreiben konnte ich die Szenen auch schon direkt für ihn konzipieren.
Tom Hanks (TH): Tom war schon seit „Lola rennt“ wie ein Gott für mich. Bei „Cloud Atlas“ konnten wir endlich das erste Mal zusammenarbeiten. Dort stellte sich auch heraus, dass wir uns super ähnlich sind. Wir ziehen uns gleich an und uns gefallen dieselben Filme, von Stanley Kubrick bis zuletzt „Son of Saul“. Nicht zu vergessen die zweite Staffel von „Fargo“. Es macht großen Spaß sich mit Tom über Filme und die Familie zu unterhalten – und darüber wie müde wir immer sind. (lacht)
DS: Wieso macht jetzt eigentlich ein Deutscher einen Film über einen Amerikaner, der in ein arabisches Land reist?
TT: Ich bin unparteiisch. Außerdem habe ich zu beiden Kulturen einen guten Draht und das Gefühl, das ich jenseits von touristischen Erkenntnissen etwas zu sagen habe.
DS: Und wie wichtig war das Setting in Saudi-Arabien für die Geschichte?
TH: Im Westen herrschen klare Klischees über das Königreich Saudi-Arabien. Einige davon basieren noch auf „Lawrence von Arabien“ aus dem Jahr 1962, wie etwa, dass alle Menschen Kamele reiten uns sich mit Schwertern bekriegen. Die modernen Varianten davon sind, dass dort entweder nur Mercedes-fahrende Öl-Millionäre leben oder alle fundamentalistische Islamisten sind. Natürlich bilden diese Extreme nicht einmal ansatzweise die Realität ab. Wir wollten die Einwohner als normale Menschen mit normalen Bedürfnissen zeigen. Sei es der Drang, Menschen in Not zu helfen oder Typen mit einem kitschigen Musikgeschmack zu präsentieren.
TT: Saudi-Arabien ist in eine konservative alte und eine progressive junge Schicht gespalten. Mit dem anstehenden Generationswechsel im Königshaus wird auch eine extreme Liberalisierung des Landes einhergehen. Das werden wir alle noch miterleben.
DS: Im Film lasst ihr die Welten von Orient und Okzident aufeinanderprallen und hinterfragt dadurch den Kapitalismus. Wohin führt uns dieser Gedanke?
TH: Alan Clay hat in seiner früheren Position selbst amerikanische Jobs in Länder mit niedrigeren Produktionskosten verschoben. Genau dieses Vorgehen hinterlässt auch in unserem Alltag Spuren. Die Hauptbeschäftigung der amerikanischen Gesellschaft verschiebt sich allmählich vom Dinge-Herstellen zum Dinge-Servieren. „Ein Hologramm für den König“ stellt nun die Frage: Sollten wir krampfhaft an alten Mustern festhalten, selbst wenn wir vor lauter Fortschritt nicht einmal mehr verstehen, was genau wir da eigentlich tun? Und was kommt als nächstes, wenn wir einsehen müssen, dass es so nicht weitergehen kann?
TT: Als wir anfingen den Film zu machen, standen die Spätfolgen unseres bröselnden kapitalistischen Systems im Vordergrund. Einem Babyboomer und urtypischen Geschäftsmann wie Alan Clay wird mit seinen eingefahrenen Mechanismen der Boden unter den Füßen weggerissen. In der Zwischenzeit hat sich jedoch auch die öffentliche Auseinandersetzung mit dem arabischen Raum potenziert. Ich hätte während des Drehs niemals gedacht, dass unser Film tatsächlich einen wichtigen Aspekt zur aktuellen Diskussion in Deutschland beizutragen hat. Stattdessen hat sich die Aktualität nur noch verstärkt.
DS: Welche Erkenntnisse konntet ihr gewinnen?
TT: Im unserem Team haben Muslime und Christen Hand in Hand zusammen gearbeitet. Dennoch war es überall zu spüren, wie jede Kultur in seinen eigenen Systemen funktioniert.
TH: Als der Muezzin in Marokko, wo wir den Film gedreht haben, zum Gebet aufrief, legte die halbe Crew für ein paar Minuten die Arbeit nieder. Ich fand das weder befremdlich noch unnormal, weil es dort eben zum Leben dazu gehört. Wir alle haben solche Gewohnheiten.
TT: Das Herz unseres Films sind die Menschen. Sie lassen sich mit keiner Schablone einfangen und in kein System zwängen. Unsere Figuren erscheinen mitunter erst als klassische Repräsentanten ihrer Staaten, doch stellen sie sich im Laufe der Zeit als vielschichtige und interessante Charaktere dar.
TH: Wir haben uns zu Beginn schon die Frage gestellt, ob das alles so Sinn ergeben würde, wie wir uns das vorstellen. Die Geschichte ist nicht sonderlich glamourös: Ein Kerl zieht los, sein Plan geht nicht so recht auf und er trifft auf neue Menschen. Wir mussten also sicherstellen, dass sich der Film sowohl erzählerisch als auch visuell trägt. Das gelingt uns vor allem durch das Kreieren von realen Situationen, in die sich jeder hineinfühlen kann. Ich habe schon ganz ähnliche Dilemmata wie Alan Clay durchlebt – sei es, nachts um drei aufzuwachen und nicht zu wissen, wo man ist, oder sich zu fragen, ob einen diese Beule am Rücken umbringen wird. Selbstzweifel dieser Art gehören zum Leben dazu und sind für jeden nachvollziehbar.
DS: In Saudi-Arabien gibt es keine öffentlichen Kinos. Kann man trotzdem von einer ausgeprägten Filmkultur sprechen?
TH: Das haben wir uns auch gefragt. Jemand fragte dann zurück: „Denkt ihr wir leben auf dem Mars? Natürlich schauen wir alle neuen Filme!“
TT: Ich bin davon überzeugt, dass unser Film in Saudi-Arabien prozentual zur Bevölkerung am meisten gesehen wird. Die Menschen dort sind irre neugierig auf das Ergebnis. Es ist ein hochmodernes Land, alle haben Netflix und nutzen die Möglichkeiten staatliche Restriktionen zu umgehen.
DS: Apropos Fortschritt, mit „Hanx Writer“ gibt es sogar eine App von Tom Hanks im App Store. Wie kam es dazu?
TH: Ich wollte eine Tastatur auf meinem Tablet, die sich wie eine alte Schreibmaschine anfühlt und auch so klingt. Also habe ich eine gebaut. (lacht) Und damit schon fast 2.000 US-Dollar eingenommen. Ein sehr lukratives Geschäft!
TT: Ich wüsste gar nicht, was für eine App ich entwickeln würde… Vielleicht eine Gute-Laune-App?
DS: Lautet der nächste Schritt dann Virtualität?
TH: Ich bin schon ziemlich zufrieden mit der Realität und brauche keine virtuelle Version davon. Ich wüsste auch gar nicht wofür. Es ist doch wie mit den Fernsehern: Jedes Jahr muss ein neues Feature her. Aktuell sind die Geräte gebogen und ich frage mich, wie viel besser kann das Seherlebnis schon werden? Mein Fernseher ist zweieinhalb Jahre alt und reicht mir völlig. Dasselbe mit 3D-Versionen von Kinofilmen. Ganz selten nur fügen sie dem Film eine neue Facette hinzu, wie bei „Avatar“. Aber ich höre niemanden sagen: „Diesen Film musst du in 3D sehen!“ Dabei geht es einzig und allein ums Geldverdienen, weil die Tickets eben dadurch teurer werden.
DS: Was für eine Aussage soll beim Zuschauer nach dem Kinobesuch von „Ein Hologramm für den König“ hängen bleiben?
TT: Dass wir nur sehr wenige Chancen im Leben haben und diese dementsprechend nutzen sollten. Der Film gibt Grund zur Hoffnung, obwohl zunächst alles ziemlich kompliziert und deprimierend aussieht. (lacht)
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Schlagwörter: Film, Interview, Saudi-Arabien, Tom Hanks, Tom Tykwer