Etwas so Einfaches wie eine Tasse hochzuheben, verlangt unserem Körper eine Menge ab. Die Armmuskeln arbeiten, um den Arm zur Tasse zu bewegen, während die Fingermuskeln es ebenso machen, um die Finger dazu zu bringen, sich um den Griff zu legen. Eure Schultermuskeln sorgen dafür, dass der Arm nicht aus der Schulter bricht und alle inneren Muskeln arbeiten daran, dass der Körper nicht nach vorne fällt, herbeigeführt durch das zusätzliche Gewicht der Tasse. Alle diese Muskeln arbeiten präzise und koordiniert zusammen, während euer eigentlicher und bewusster Gedanke lautet: „Aha, das ist also Tee!“.
Genau deshalb ist es so schwierig, gelähmte Gliedmaßen wieder dazu zu bringen, sich zu bewegen. Die meisten gelähmten Muskeln können noch arbeiten, aber die Kommunikation mit dem Gehirn funktioniert nicht mehr, demnach gibt es keine Anweisung, zu arbeiten. Noch können wir die Beschädigungen am Rückenmark nicht beheben. Daher muss man dieses Problem umgehen und die Anweisungen an die Muskeln anderweitig, also künstlich, geben. Dank der Entwicklung von Technik, die Gehirnaktivitäten lesen und interpretieren kann, könnten diese Anweisungen irgendwann direkt vom Hirn eines Patienten kommen. Wir können gelähmte Muskeln dazu bringen, sich zu bewegen, indem wir sie mit Elektroden stimulieren, die man in den Muskeln oder um die Nerven anbringt, die diese versorgen. Diese Technik nennt man funktionelle Elektrostimulation (FES). Sie wird einerseits benutzt, um gelähmten Menschen dabei zu helfen, sich zu bewegen, aber auch, um die Blasenfunktion wiederherzustellen, effektives Husten zu erreichen oder Schmerzlosigkeit zu erzielen. Es handelt sich dabei um eine faszinierende Technik, die einen großen Unterschied in den Leben der Menschen mit einer Knochenmarkverletzung machen kann.
Dimitra Blana und ihre Kollegen arbeiten daran, wie man diese Technologie damit verbinden kann, einen Arm zu bewegen. Hierbei handelt es sich um eine komplexe Anzahl von Anweisungen. Welche Muskeln müssen aktiviert werden, wenn man die Tasse anheben will? Wann geschieht dies, wie viel Kraft muss dafür angewandt werden? Die Anweisungen sind kompliziert – nicht nur, weil verschiedene innere Schultern-, Arm- und Fingermuskeln dabei involviert sind. Während der Tee getrunken wird, ändern sich diese Anweisungen, weil sich auch das Gewicht der Teetasse verändert. Will man etwas anderes machen, sich beispielsweise an der Nase kratzen, werden ganz andere Anweisungen benötigt. Statt einfach nur verschiedene Anweisungen an gelähmten Muskeln auszuprobieren und dabei darauf zu hoffen, diejenigen zu finden, die funktionieren, kann man Computermodelle des Bewegungsapparates nutzen, um diese zu berechnen. Diese Systeme sind mathematische Beschreibungen von Muskeln, Knochen und Gelenken und können nachbilden, wie diese agieren und miteinander arbeiten, während man sich bewegt. In diesen Simulationen kann man Muskeln stärker oder schwächer machen, lähmen oder von außen stimulieren. Man kann verschiedene Anweisungsmuster schnell und sicher testen, die Modelle können ihre Teetasse wieder und wieder anheben – mal mehr, mal weniger erfolgreich.
Die Muskeln modellieren
Um diese Technologie zu testen, arbeitet das Team in Keele mit dem Cleveland FES Center in den USA zusammen, wo bis zu 24 Elektroden in Muskeln und Nerven von Teilnehmern an einer Forschungsstudie implantiert werden. Sie nutzen Modellierungen, um zu entscheiden, wo man die Elektroden platzieren muss, da es mehr gelähmte Muskeln als Elektroden in dem aktuellen FES-System gibt. Wenn man sich entscheiden müsste, was wäre also besser? Sollte man eher den unteren Schulterblattmuskel oder den Obergrätenmuskel stimulieren? Wenn man den Achselnerv stimuliert, muss man dann die Elektroden vor oder hinter die Zweigstelle des Teres Minor setzen? Um diese schwierigen Fragen zu beantworten, lassen die Wissenschaftler viele Simulationen mit verschiedenen Elektrodensets durchlaufen und suchen dasjenige, das den Comuptermodellen erlaubt, die effektivste Muskelbewegung auszuführen.
Das Gehirn lesen
Hierbei handelte es sich um einen spannenden Schritt in das Themenfeld der neuralen Prothesen, doch es bleiben noch viele Herausforderungen. Idealerweise sollten Hirnimplantate mehrere Jahre durchhalten – heutzutage ist es jedoch schwierig, das selbe Signal über mehrere Wochen aufzunehmen, sodass diese Systeme regelmäßig neu kalibriert werden müssen. Neuere Implantatdesigns oder verschiedene Gehirnsignale könnten die Langzeitstabilität verbessern. Außerdem können Implantate nur auf eine kleine Menge der Millionen Zellen hören, die unsere Gliedmaßen kontrollieren. Demnach ist der Bewegungsumfang, der mittlerweile ausgelesen werden kann, noch sehr eingeschränkt. Dennoch sind mit per Gehirn kontrollierter, roboterhafter Gliedmaßen mit relativ viel Freiheit ausgestattet (Bewegung, Rotation und Greifen) – immerhin, die Möglichkeiten dieser Technologien entwickeln sich stetig. Schlussendlich kann man sagen, dass gerade, mühelose Bewegungen, die wir normalerweise als selbstverständlich ansehen, von einer großen, sensorischen Rückmeldung gelenkt werden, die uns sagt, wo unsere Arme sind und wann unsere Fingerspitzen Objekte berühren. Trotzdem können diese Signale auch nach einer Verletzung verloren gehen, deshalb arbeiten Wissenschaftler an Gehirnimplantaten, die vielleicht eines Tages diese Empfindungen wiederherstellen, ebenso wie Bewegungen. Es gibt Wissenschaftler, die darüber spekulieren, dass Technologien, die das Hirn auslesen können, auch dabei helfen können, körperlich gesunde Individuen besser mit Computern, Handys oder sogar anderen Gehirnen kommunizieren zu lassen. Allerdings bleibt das wohl eher Science Fiction – wohingegen Gehirnkontrolle für medizinische Zwecke immer rascher eine klinische Realität wird.
Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Image (adapted) „chip“ by Sebastian (CC BY-SA 2.0)
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Schlagwörter: Elektrostimulation, Gehirn, kommunikation, Lähmung, medizin, Muskeln, Nerven, Rückenmark, Technologie