Zeitgeist Technik: „Sie haben Post!“– Wer braucht denn heute noch E-Mails?

Das Internet der frühen Neunziger und seine berühmteste Erfindung, die E-Mail, hat einen Sound. Ich meine nicht das ohrenbetäubende Modem-Piepen, sondern den Klang der kühlen Frauenstimme, wie sie standfest verkündet: „Sie haben Post!“. Als das Internet bei uns so richtig durchstartete – das war damals, als noch kostenlose Installations-CDs von AOL oder CompuServe verteilt wurden wie geschnitten Brot – hatte jeder, den ich kannte, so ein elektronisches Postfach und die Frauenstimme war das Synonym für die Zukunft der Kommunikation.

Die E-Mail stellte eine der revolutionärsten Ideen dar, die das 21. Jahrhundert kommunikationsgeschichtlich hervorgebracht hat: Jederzeit und überall Nachrichten empfangen und senden, weltweit, sekundenschnell und ohne Wartezeit.

Trotzdem gibt es seit einigen Jahren immer wieder Experten, die den endgültigen Untergang der E-Mail prophezeien. Aber wieso eigentlich? Was ist an der einst so guten Idee plötzlich schlecht?

Komplett ausgestorben: Die Mail als persönlicher Briefkontakt

In den Anfangszeiten der Kommunikation über das Internet hatte ich eine Art E-Mail-Freundschaft mit einem Gleichgesinnten. Wir lernten uns in einem rege besuchten Musikforum kennen und tauschten uns aus. Bald reichte das Forum nicht mehr aus und wir schrieben uns E-Mails – sehr, sehr lange E-Mails. Seine Mails waren tatsächlich so lang, dass meine damals noch begrenzte Internetzeit (damals noch reglementiert durch Minutentaktung und Aufzeichnen der Internetzeit ins Muttiheft) rasch zur Neige ging, wenn ich seine Gedanken online verfolgen wollte. Ich musste also bald zu einer eher bei meinen Großeltern bewährten Praxis greifen und die E-Mail ausdrucken, um sie in Ruhe lesen zu können.

Einige dieser Briefe, denn nichts anderes waren sie eigentlich, habe ich heute noch – was ich von den wenigsten anderen E-Mails behaupten könnte, die ich seitdem bekommen habe. Doch bei ihm war es anders. Das Antwort-Prozedere war mindestens ebenso langwierig, schliesslich sollte die Antwort keine mal eben schnell hingeworfene Nachricht, sondern etwas „Richtiges“ sein. Heute muss ich über den Gedanken eher schmunzeln, denn der Umgang mit der elektronischen Post hat sich heute völlig geändert.

Was aus dem Freund geworden ist, weiss ich leider nicht. Irgendwann wurde uns das Geschreibe wohl einfach zu mühsam und der Kontakt schlief ein. Und das sind E-Mails für mich heute eigentlich am Ehesten: mühsam. Die Bedeutung des blinkenden Briefumschlages wandelte sich mit der Zeit, von einer frohen Erwartung wurde es langsam Alltag, bis fast nur noch Spam das Postfach verstopfte.

Extra einloggen? Ist mir zu umständlich!

Dabei sind E-Mails eigentlich so viel praktischer als die sozialen Medien: man muss nicht einmal miteinander „befreundet“ sein, um sich Nachrichten schicken zu können, sondern kann sich ganz einfach und ohne große Ankündigung Texte und Anhänge schicken, verabreden, informieren – eben alles, was Kommunizieren im Netz heute so kann. Aber nutzt heute noch jemand ausschließlich E-Mails? Irgendwo in meiner Wohnung habe ich einen Zettel herumliegen, auf dem alle meine Mailadressen stehen. Die Passworte kann ich mir schon länger nicht mehr merken. Und wozu auch? Meine Freunde erreiche ich viel bequemer per App – und kann hier spontan alles schicken, was ich auch per Mail geschickt hätte. Und hier kann ich sicher sein: sie lesen es sofort.

Denn nach der E-Mail kamen andere Dienste, über die ich schneller – und ja, leider auch unkonzentrierter – kommuniziere: Ich schreibe mit Freunden in Gruppenchats bei WhatsApp, einen Großteil meines Arbeitsalltags bestreite ich mithilfe der Dienste Skype oder Slack, und immer sind mehrere Personen beteiligt.

Zwar schicken wir uns selten mehr als nur einen Satz, der eigentlich Anweisung ist – oder Emojis. Einen ganzen Abend nur für eine Person nehme ich mir eigentlich nur am Telefon oder wenn wir uns direkt gegenübersitzen. Alles andere ist und bleibt: oberflächlich.

Nur selten nehme ich mir heute die Zeit, in mein privates Mailpostfach zu schauen – dabei habe ich, seit ich das erste Mal im Internetcafé meiner Heimatstadt war, also seit ziemlich genau 17 Jahren, die selbe E-Mail-Adresse, die ich auch heute noch nutze. (Möge der Anbieter noch lange bestehen bleiben!) Man kann mich also durchaus erreichen, wenn man will. Aber dass ich die Nachrichten gespannt und mit voller Aufmerksamkeit lese, ist eher unwahrscheinlich. Denn: Wir haben uns das Aufmerksamsein durch die permanente Erreichbarkeit ziemlich gut abtrainiert.

E-Mail-Schwemme im Büro – gibt es keine andere Lösung?

Wenn ich meinen E-Mail-Account im Büro öffne, werde ich oft als erstes mit einer Ladung Spam, überflüssiger Kommentare zu bereits geklärten Problemen und jeder Menge Zeug überspült, das gar nicht für mich bestimmt war. Ich bin kurz genervt, scrolle mich durch die größtenteils unwichtigen Nachrichten und wundere mich, wie lange es in traditionellen Strukturen wohl noch dauert, ein System durchzusetzen, mit dem jeder Mitarbeiter nur mit dem ihn betreffenden Thema behelligt wird. Bis dahin lösche ich wohl weiterhin alte Mails.

Laut einer Untersuchung von McKinsey, die bereits aus dem Jahr 2012 stammt, müssen wir uns jeden Tag um durchschnittlich 122 Nachrichten kümmern. Klingt viel? Ist es auch. Ausserdem wirkt sich die mangelhafte Filterung der nicht für uns bestimmten Nachrichten sogar direkt auf unseren Arbeitsalltag aus: „Mehr als zwei Stunden kostet uns das Freischaufeln der Inbox, Tag für Tag neu“ heisst es in der Studie. Seitdem werden es kaum weniger Spam-Mails und fehlgeleitete Nachrichten geworden sein. Die Berechnungen reichen auch in die Zukunft: „Bis 2019 sollen es laut Marktforscher Radicati Group 126 Nachrichten täglich werden, und jede verlangt Aufmerksamkeit, die anderswo verloren geht.“, heisst es zusammenfassend.

Kein Wunder also, dass ich nach Feierabend eher selten Muße habe, mich dem eigenen Postfach zuzuwenden – nachdem das Tagwerk getan ist, schalte ich an manchen Tagen nur ungern noch einmal den Computer an. Und auch in den Firmen soll nach neuen Lösungen gesucht werden, die übersichtlicher und besser zu händeln sind. Denn die Nachrichtenwut hat sich, trotz schwindender Nutzung der klassischen Mailing-Dienste, eigentlich nur verlagert.

Messenger sind die neuen Mails

Für die Gruppen- und Firmenorganisation haben sich in einigen Firmen bereits Chat-artige Messenger wie Slack durchgesetzt. Die Systeme haben einen entscheidenden Vorteil: Alle können die Unterhaltung zeitgleich verfolgen, mitkommentieren und direkt reagieren – so kann nicht nur ein besseres Gruppengefühl geschaffen werden, sondern auch die Arbeitsabläufe werden deutlich effizienter gestaltet.

Das bedeutet zwar das Ende der endlose Kettenmails mit lyrischen Betreff-Betitelungen wie beispielsweise „Re: Fwd: Re: Fwd: LETZTE DURCHSAGE!! Der Letzte räumt die Spülmaschine aus!!“, aber auf die Meisten dieser Nachrichten können wir sicherlich auch verzichten.
Und überhaupt: alberne Witzchen lassen sich im Messenger genauso reißen – so begrüßt mich ein Kollege jeden Tag im Firmenchat in einer neuen, exotischen Sprache, die wir erst einmal erraten (oder ergooglen) müssen. Nicht zu vergessen: die kleinen Bilderrätsel, die man sich per Emoji stellen kann. Man kann schon seinen Spaß haben mit den neuen Diensten.

Bei Messengern mit VoIP-Funktionen wie Skype, Facetime oder WhatsApp kommt noch die bequeme Funktion des Gruppenanrufes hinzu, die man nutzen kann. Manchmal geht, bei aller Digitalität, Besprechen doch einfacher als Tippen. Und ich höre auch meine Kollegen, die oft über die ganze Welt verteilt sind, gern ab und zu persönlich.

DE-Mail und Verschlüsselungen: Eine gute Idee verläuft im Sande

Doch war da nicht vor ein paar Jahren noch was? Gab es nicht mal die Idee, die E-Mail wiederzubeleben? Allerdings! Ein (letztes?) Aufbäumen hat die E-Mail mit der Initiative der Bundesregierung bereits im Jahr 2008 erlebt: Die als besonders sicher beworbene De-Mail sollte dafür sorgen, dass Behördengänge verringert und Dokumente verschlüsselt (auf Wunsch sogar Ende-zu-Ende) versendet werden können. Doch bisher hat sich wenig getan.

Das Unternehmen scheiterte, weil die Deutsche Post mit ihrem ganz ähnlichen Konzept des E-Postbriefes eine entsprechende Gesetzesänderung des Post-Gesetzes verzögerte. Und tatsächlich: bis heute kenne ich niemanden, der je einen E-Postbrief verschickt hat.

Das DE-Mail-Projekt hat sich wohl wegen des langwierigen Zertifizierungsprozesses nicht weiterführend durchgesetzt, auch wenn seit einiger Zeit die zu 1&1 gehörenden Mailanbieter GMX und web.de den Service von verschlüsselten Emails nach erfolgter Akkreditierung anbieten. Keine allzu schlechte Voraussetzung also für eine Verbreitung einer eigentlich sicheren Idee – zumindest sollte man das meinen. Wenn es nicht so umständlich wäre.

Viele dieser Dienste sind zudem kostenpflichtig – soweit ich weiß, nutzt nur ein einziger Mensch in meinem Umfeld den verschlüsselten E-Mail-Dienst Posteo. Mit einem Euro im Monat ist der Dienst zwar ziemlich günstig – aber, werden viele im Stillen denken, wozu brauche ich etwas nur günstig, wenn ich es auch umsonst haben kann?

Verschlüsselung ist die neue Währung?

Bisher sind nur sehr wenige Leute in meinem Umfeld auf den Verschlüsselungszug aufgesprungen. Ein Grund ist sicherlich schlichtweg die Bequemlichkeit, ein anderer die Umstellung – so banal es klingt, der Mensch gewöhnt sich nicht gern an neue Systeme, vor allem dann nicht, wenn er von deren Nutzen nicht sonderlich überzeugt ist.

Ein grundsätzliches Problem bei den traditionellen Mailanbietern hat mein Kollege Sebastian Haselbeck schon vor einigen Monaten kommentiert: Sie sind miteinander nicht kompatibel und daran hat sich noch immer nichts geändert.

Der siebte Tag ist E-Mail-Tag

Stattdessen gibt der Marktführer WhatsApp die bisher garantierte Verschlüsselung auf und verscherbelt seine Daten an die Datenkrake Facebook. Für datenbewusste Nutzer, zu denen auch ich mich zumindest halbwegs zähle, bedeutet das also wieder einmal, auf die Suche nach einem neuen, sicheren, kompatiblen Messenger gehen zu müssen. Die E-Mail als alleiniger Kommunikator fällt dabei aber – wenig überraschend – erneut hinten über. Nachdem ich mich so schnell und intuitiv an WhatsApp und seine Kollegen gewöhnt habe, sieht die Kommunikation per E-Mail noch viel umständlicher und unübersichtlicher aus als ohnehin schon – und eine Gruppenfunktion gibt es hier eben nicht.

Aber behalten wir im Hinterkopf: Nur durch diesen Schritt der Kommunikation konnten sich die Messenger erst entwickeln, deren Vorteil wir jetzt nutzen. Unsere E-Mails können wir ja dann in Ruhe am Wochenende lesen. Übrigens ist auch der Sonntag statistisch gesehen der beste Tag für Newsletter– der Trend setzt sich, trotz aller Unkerei, weiter durch, da lesen die Leute nämlich viel entspannter. Und ich auch. Bis zum Sonntag dann!


Image ”Posteingang” by philippechazal (CC0 Public Domain)


ist freischaffende Autorin und Redakteurin bei den Netzpiloten. Sie ist Historikerin, Anglistin, Kinonerd, Podcasterin und Hörspielsprecherin. Seit das erste Modem ins Elternhaus einzog, treibt sie sich in allen möglichen Ecken des Internets herum. Sie twittert als @keksmadam und bloggt bei Die Gretchenfrage. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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3 comments

  1. Kann ich so nicht bestätigen. Ich nutze E-Mails tatsächlich noch für ausführliche Konversationen und lehne dafür das Telefon soweit wie möglich ab, weil es für mich der Gipfel der Zeitverschwendung ist (außer für kurze Absprachen und Arzttermine ausmachen). Auch in dem Unternehmen, in dem ich arbeite, ist Mail noch immer das wichtigste Tool zur Kommunikation. Ein Messenger wurde vor Jahren mal für ein paar Monate testweise eingesetzt, von den Mitarbeitern aber nicht angenommen. Moderne Tools wie Slack verbieten sich bei uns, da ihre Server in den USA stehen und damit für uns für sensible personenbezogene Daten völlig indiskutabel sind. Und auch generell bin ich kein Messenger-Freund: Zu flüchtig. Von Mails kann ich ein Backup anlegen und auch Jahre später noch Konversationen recherchieren. WhatsApp habe ich kurz vor der Übernahme durch Facebook gelöscht. Ich habe dem Unternehmen vor Facebook nicht vertraut und mit Facebook erst recht nicht. Am Ende bleibt für mich als Fazit: Die Mail wurde schon so oft totgesagt – und sie ist noch immer da. Und da bis heute keine echte Konkurrenz erfunden wurde (Google hat es ja mal mit seinem „Wave“-Konzept vergeblich versucht), glaube ich, dass das auch noch eine ziemlich lange Zeit so bleiben wird.

    1. Danke für den Kommentar! ich denke, ie Nutzung der verschiedenen Systeme ist natürlich immer Geschmackssache und auch von firmeninternen Strukturen abhängig. Bei vielen Firmen oder Arbeitsgemeinschaften hat sich bisher aber noch nicht durchgesetzt, dass es auch einfacherer Mitel gibt als z.B. Kettenmails. Baclups kann man allerdings auch für Messenger anlegen mittlerweile, sofern man sich eine gewisse „Schreibdispziplin“ angewöhnt. In einer Gruppendiskussion stellt sich die Frage, wie sinnvoll viele Textezeilen mit hin- und hergehenden Diskussionen sind.

      Der Aspekt der Datenicherheit ist allerdings ein Wichtiger, da könnte man wieder einen eigenen Artikel erstellen – danke auf alle Fälle für den Input!

  2. Leider sind Messenger wie WhatsApp und Co geschlossene Welten. Man muss Mitglied sein, um kommunizieren zu dürfen. Ein Austausch zwischen Messengern ist nicht möglich und von den großen Anbietern auch nicht gewollt. Hier liegt der klare Vorteil von E-Mails: Austausch von Informationen über Providergrenzen hinweg. Ich möchte mich Facebook und ähnlichen Monopolisten nicht ausliefern und werde dadurch mit sozialer Ausgrenzung bestraft. In meinen Augen kein fairer Ansatz. Leider wurde aber die E-Mail durch Missbrauch durch Werbung und Spam ruiniert, sodass die Nutzung von E-Mail schon zur Qual geworden ist. Die Anbieter von Messengern müssen ein Austausch von Nachrichten untereinander zulassen. Nur dann wären sie ein besserer Ersatz für E-Mails. Aber leider wäre es dann wieder mit der Verschlüsselung schwieriger.

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