Ein Produkt ohne digitale Plattform ist völlig nutzlos, oder präziser formuliert: „Ein Produkt, das über keine Plattform verfügt, wird immer ersetzt werden durch ein äquivalentes Produkt, das mit einer Plattform ausgestattet ist“, so das Credo eines Google-Mitarbeiters, der die Netzstrategien seines Unternehmens in einem langen Kommentar zerstückelte und in einem kleinen Zeitfenster öffentlich lesbar war.
Google+ sei ein Musterbeispiel eines Unternehmens, das die Signifikanz von Plattformen absolut verkannt hat. „Das Nichterkennen dieser Bedeutung zieht sich von der höchsten Hierarchieebene der Geschäftsführung (hallo Larry, Sergey, Eric, Vic, wie geht´s Euch?) bis zur untersten Unternehmensebene der Mitarbeiter (hallo Ihr!). „Wir haben es alle nicht kapiert. Die goldene Regel der Plattformen lautet: ‚Eat your own dogfood‘. Die Google+ Plattform ist eine erbärmliche ‚Nachlese'“, bemerkt der Insider.
Die ‚Hundefutter-Regel‘ ist ganz einfach zu verstehen: Führungskräfte können ihren Entwicklern nicht einfaches Hundefutter vorsetzen, während sie sich selbst mit anderen Dingen beschäftigen. Das zu machen hieße, sich selbst des langfristigen Plattform-Wertes zu berauben, um einen kurzlebigen Erfolg zu erhaschen. Bei Plattformen ist eine langfristige Planung und Investition gefragt.
Falsches Kurzzeit-Denken bei Google
Bei Google+ handelte es sich um eine spontane Reflexreaktion, um eine Erforschung im Kurzzeit-Denken, orientiert an der falschen Vorstellung, dass der Siegeszug von Facebook darauf beruhe, ein geniales Produkt erfunden zu haben. Das sei nach Auffassung des zerknirschten Google-Mitarbeiters aber nicht der Grund, weshalb sie so erfolgreich sind. Facebook habe eine komplette Produktpalette aufgebaut, indem sie anderen Leuten gestatten, ihre Arbeit zu machen. Das mache den Zuckerberg-Konzern so einmalig. „Es gibt hundert oder sogar tausend unterschiedliche, zeitaufwändige Beschäftigungsformen mit hohem Qualitätsanspruch. Da ist für jeden etwas dabei.“
Google rekrutiert Leute
Das mittlerweile aufgelöste Google+Team habe den Anschlussmarkt für Dienstleistungen analysiert und dabei festgestellt: „‚Es wäre eine gute Idee, unser Angebotsspektrum um Computerspiele zu erweitern. Lasst uns jemanden rekrutieren, der diese Spiele für uns konzipiert‘. Verstehen Sie jetzt, wie unglaublich falsch dieser Gedankengang ist, vor allem aus heutiger Sicht? Das Problem ist, dass wir versuchen, zu prognostizieren, was die Leute wollen und es ihnen dann zur Verfügung stellen.“
Wer ist so gut wie Steve Jobs?
Dieser Ansatz sei unrealistisch und absolut nicht verlässlich. Es habe nur ein paare wenige, hochkarätige Menschen in der gesamten Welt der Computer-Geschichte gegeben, die in der Lage waren, eine zuverlässige Prognose zu erstellen. „Steve Jobs war einer von ihnen. Leider haben wir keinen Steve Jobs bei uns. Das können wir nun einmal nicht ändern.“
Larry Tesler mag Bezos überzeugt haben, dass er kein Steve Jobs sei. Bezos habe jedoch erkannt, dass es nicht zwingend eines Steve Jobs bedarf, um Konsumenten mit den richtigen Produkten zu versorgen: Wichtig sei es, Anwenderschnittstellen und Unternehmensabläufe als Workflows zu schaffen, mit denen die Benutzer gut und gerne arbeiten. Bezos musste nur externe Entwickler damit beauftragen.
Alles andere würde dann automatisch passieren. „Ich entschuldige mich bei all denjenigen dafür, die meine Ausführungen zu diesem Thema als ganz offensichtlich und auf der Hand liegend betrachten. Es ist in der Tat unglaublich evident. Und trotzdem unternehmen wir nichts dagegen. Wir schaffen weder Plattformen noch die richtigen Zugangsmöglichkeiten.“ Plattformen lösen das Problem des Zugangs und das bekommt man nur hin, wenn man selbst mit den digitalen Werkzeugen leidenschaftlich arbeitet.
Kirchturm statt Plattform
Das Notiz-Amt wünscht sich auch von deutschen Unternehmern und leitenden Angestellten in den Vorstandsetagen soviel kritischen Sachverstand, um die Logik der Digitalisierung und die Matching-Prinzipien des Netzes nicht nur zu verstehen, sondern auch in Geschäftsmodelle zu gießen. Den gleichen Sachverstand sollten Autoren wie Marc Beise und Ulrich Schäfer kultivieren, wenn sie in einem Buchprojekt mit dem Titel „Deutschland digital – Unsere Antwort auf das Silicon Valley“ Beispiele präsentieren, wie wir mit digitalen Fabriken, Robotern, Sensoren und Künstlicher Intelligenz wieder in den Angriffsmodus kommen.
Sie huldigen den üblichen Verdächtigen unter den Hidden Champions, singen das Lied von der verkannten Industrienation und beschäftigen sich nur wenig mit der Frage, wie die in ihrem Opus erwähnten Protagonisten persönlich in der Lage sind, das eigene digitale Hundefutter zu konsumieren. Etwa Till Reuter, der Chef des Robotik-Herstellers Kuka. Anstatt auf den Angriff von Google und Co. zu warten, will das Augsburger Unternehmen selber zum digitalen Angreifer werden und sein Geschäftsmodell radikal verändern.
Wenn die Roboter über die Computerwolke miteinander kommunizieren, könne Kuka künftig nicht bloß einzelne Roboter liefern, sondern gleich komplette Fabriken steuern. „Reuter will dazu eine flexible Lösung schaffen, eine Plattform, die für andere Anbieter offen ist, steuerbar auch über das Smartphone; mit Apps, die man nach Bedarf zusammenstellen kann“, schreiben Beise und Schäfer.
Meine Cloud, meine Maschinen, meine Marke
Reuter möchte die Prinzipien eines App-Stores auf den Maschinenbau übertragen und damit Geld verdienen. Bisher habe das Unternehmen seine schlauen Maschinen verkauft. Die Cloud ermögliche es nun, die Anzahl der Roboterbewegungen über das Internet exakt zu messen; es wird dadurch erstmals möglich, Roboter nach Leistung zu bezahlen.
Man werde die Maschinen deshalb künftig wohl nur noch vermieten und bekomme dann für jedes gefertigte Werkstück einen bestimmten Beitrag. Kling zunächst sehr smart. Den Knackpunkt benennen die Buchautoren unfreiwillig mit einem Reuter-Zitat: „Aber die Oberfläche wollen wir liefern, das look and feel soll Kuka sein.“ Die Marke, das Branding sei für die Augsburger entscheidend. Hat Reuter das Spiel der Vernetzung wirklich verstanden? Am Kuka-Wesen solle die Plattform-Welt genesen.
Mein digitaler Vorsprung, mein Stahlhandel
Und das ist kein Einzelfall im Opus der SZ-Autoren. So bringen sie Klöckner & Co.-Chef Gisbert Rühl ins Spiel, der zum Hoffnungsträger für den digitalen Wandel aufgehübscht wird. Er war einer der Ersten, die hierzulande nicht nur über Disruption sprachen, sondern diese Philosophie auch lebten.
Er reiste ins Silicon Valley und bekam die Empfehlung, Wetterdaten bei der Nachfrage nach Stahl zu berücksichtigen. Logik und Planung könnte man auf die Weise optimieren. Fein. Also mietete sich Rühl für eine Woche im Betahaus in Berlin-Kreuzberg ein, um neue Ideen für die Digitalisierung seiner Traditionsfirma aufzusagen. Schon mal nicht schlecht. Und was springt dabei raus. Silo-Denken: „Ob er eine Art Amazon für den Stahlhandel schaffen wolle, wird Rühl immer wieder gefragt. Ja warum nicht, antwortet er dann und fügt stolz hinzu, dass Klöckner & Co. bei der Digitalisierung weiter sei als alle Konkurrenten (jeder Bäckermeister lobt seine Brötchen); und zwar so weit, dass junge Programmierer den alten Stahlhändler mittlerweile als ziemlich hip empfinden: ein gewachsenes Traditionsunternehmen, das nun, der Plattform-Strategie von Airbnb oder Uber folgend, zur zentralen Plattform im modernen Stahlhandel aufsteigen will“, führen Beise und Schäfer aus. Am Klöckner-Wesen wird also wieder die Stahlwelt genesen. Mit Onlineshop-Weisheiten soll also ein offenes Ökosystem für die Stahlbranche entstehen? Was unterscheidet Alibaba von der Kirchturmpolitik des Klöckner-Chefs?
Viel Ego und wenig Eco
Wir könnten jetzt die führenden Köpfe der Hidden Champions von Trumpf bis Viessmann durchnudeln und würden erkennen, dass niemand auch nur in eine Richtung denkt, wie der offenherzige Google-Manager. Schaut Euch den Habitus dieser Top-Manager im Netz an und beurteilt dann, ob sie in ihrem persönlichen Verhalten auch nur ansatzweise eine digitale DNA mitbringen, um die Erkenntnis des Google-Insiders zu leben: „Ein Produkt, das über keine Plattform verfügt, wird immer ersetzt werden durch ein äquivalentes Produkt, das mit einer Plattform ausgestattet ist.“
Ist eine firmenunabhängige Plattform wie Alibaba für das industrielle Umfeld in Europa oder Deutschland in Sicht. Noch nicht einmal in Ansätzen. Die Mein-Label-Meine Marke-Mein digitaler Vorsprung-Fraktion der Industrie ist noch nicht einmal bereit, via Alibaba ins OEM-Geschäft einzusteigen.
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„Original Equipment Manufacturer“ sind Unternehmen, die die Produkte des Herstellers in ihre eigenen Produkte einbauen; für den Endkunden ist nicht ohne weiteres erkennbar; welche Komponenten ein OEM in seinen Produkten verwendet. Mit deutschen Unternehmen sind solche Deals im Plattformgeschäft fast unmöglich, betont Nils Öldörp von der Agentur Minted Sourcing. Made in Germany wird heilig gesprochen. Da wird man dann irgendwann in Schönheit sterben, wie im Industrie 4.0-Konsortium.
Image „Roboter“ by Mixabest (CC BY-SA 3.0)
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Schlagwörter: cloud, computerspiele, deutschland, Dienstleistung, facebook, google, konzern, Maschinen, Mitarbeiter, Planung, Plattformen, politik, produkte, steve-jobs, unternehmen, Workflow
3 comments
Sehr gut, wenn auch zeitweise bissig, die Realität wiedergegeben. Plattformen erfordern plattformübergreifendes Denken (und Handeln) und den Mut, Kommunikationsnetzwerke aufzubauen, die über F-2-F-Beziehungen und Email-Kontakte hinausgehen.
Doch was kann momentan von Unternehmen und deren Lenkern erwartet werden, die in einer gänzlich anderen Zeit und einer Kultur des Gründers entstanden sind, die sich wenig bis gar nicht mit Digitalisierung und deren Auswirkung auf alle Lebensbereiche auseinander zu setzen hatte?
Dass die Welt sich wandelt, und das rasant schnell, fast schon exponentiell wird wohl niemand mehr bestreiten wollen (wenn auch die Veränderungsraten in den verschiedenen Lebensbereichen, Unternehmen und persönlichen Umfeldern sehr unterschiedlich sein mögen).
Solange die digitalen Aktivitäten in Agenturen ausgelagert werden (die dann schon mal über die Feiertage nicht erreichbar sind) und nur der „gemeine“ Mitarbeiter die neuen digitalen Welten nutzen soll (wenn überhaupt) und Geschäftsführer mit ihren hochklassigen Smartphones doch nicht mehr machen als telefonieren, wird es mir (ehrlich gesagt) ein wenig bange um den Wirtschaftsstandort Deutschland (obwohl das eigentlich nicht sein müsste, denn es ist alles vorhanden, anfangen von den Menschen, der Technologie, einzig die Kultur des kollaborativen Zusammenarbeitens – für was Plattformen wohl sonst da sind? – ist über Jahre, Jahrzehnte und vielleicht sogar Jahrhunderte wahrscheinlich nie richtig gelernt worden).
Die Aussage „Ein Produkt, das über keine Plattform verfügt, wird immer ersetzt werden durch ein äquivalentes Produkt, das mit einer Plattform ausgestattet ist.“ unterschreibe ich gerne – doch es kann natürlich auch zu einer Zukunftschance für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft werden. Warum eigentlich nicht?
Ich denke, „Reuter hat das Spiel der Vernetzung“ sehr wohl wirklich verstanden und dass er „in dieselbe Richtung denkt, wie der offenherzige Google-Manager“. Leider haben Sie, Herr Sohn, zugunsten einer negativen Effekthascherei die Aussage Reuters einen Satz zuvor unterschlagen: Ich zitiere daher komplett:
„Reuter will dazu eine flexible Lösung schaffen, eine !!!Plattform!!!, die für andere Anbieter offen ist, steuerbar auch über das Smartphone; mit Apps, die man sich nach Bedarf zusammenstellen kann. »Aber die Oberfläche wollen wir liefern, das ›look and feel‹ soll Kuka sein.“
Zitat Ende
Ihr aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat bzgl. des ›look and feel‹ bezieht sich lediglich auf die Apps, welche KUKA selbst für die KUKA Plattform erstellt und auf einen Style Guide, damit alle App-Benutzeroberflächen einheitlich daherkommen und die Kunden sich leichter in den unterschiedlichen Apps auf der gemeinsamen Plattform zurechtfinden.
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Munz
Lead Architect Industry 4.0, KUKA