Googlen macht blöd, Smartphones machen unsozial und überhaupt, das wird sich nicht durchsetzen, dieses Internet: Als Teil der sogenannten ‚Netzgeneration‘ musste sich unsereins, der immer öfter auch im Netz Arbeit findet, Freunde trifft oder wiederfindet und seinen Alltag organisiert, in den vergangenen 15 Jahren schon so einiges anhören.
Mittlerweile ist in jedem größeren Medium, sei es nun von Print- oder Onlinejournalisten verfasst, eine Replik auf die Unzulänglichkeiten der Netzgeneration zu lesen: Wir unterhalten uns nicht mehr tiefgehend, sondern werfen mit WhatsApp-Emojis um uns, niemand trifft mehr wirkliche Entscheidungen, denn man kann sowieso alles zurückschicken und auch soziale Verpflichtungen wie Dates in Zeiten von Tinder nur unverbindlich eingehen. Been there, done that.
Als die Netzpiloten eine Rezensionsanfrage zu „Günther hat sein Käsebrot fotografiert. 342 Freunden gefällt das. Über den sozialen Niedergang durch Smartphones und die Digitalkultur“ von Andreas Hock, dem ehemaligen Chefredakteur der Nürnberger Abendzeitung, erreichte, war ich durchaus bereit, mich von neuen Ansätzen überraschen zu lassen. Doch leider sollte ich mich irren, denn kein einziger der hier vorgestellten Beobachtungen ist irgendwie neu oder gar innovativ.
Dabei war ich beim Lesen durchaus bereit, im Text nach ein paar wirklich amüsanten Anekdoten von verloren gegangenen Schulfreunden, technischen Problemen und Sackgassen eine mögliche Wendung hin zu den Vorteilen oder wenigstens zu ein paar witzigen Beobachtungen, aus denen der Digital Native von morgen noch etwas lernen kann (und sei es, das Unverständnis der Älteren aus deren Perspektive zu verstehen), mitzumachen. Stattdessen bekomme ich: 170 Seiten voll Gemecker. „Günther“ ist keine humorvolle Betrachtung, sondern ein einziges Lamento darauf, dass früher ja aber nun wirklich mal alles besser war.
Früher, so Hock, hätte man sich noch wirlich verabredet. Er erwähnt mit einer dermaßenen Beharrlichkeit einen Jugendclub namens „Oase“, wo sich die Schulfreunde noch treffen konnten, dass der Leser denken muss, Hock wäre mittlerweile mindestens zum Betreiber dieser Kulturstätte aufgestiegen. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass die „Oase“ so etwa gegen Anfang der Zweitausender zu einem Internetcafé und, dem natürlichen Laufe der Dinge folgend, mittlerweile pleite gegangen ist und Hock bis heute nicht überwunden hat, diesen Treffpunkt der Schulfreund nicht mehr aufsuchen zu können. Außerdem hätten sie sich ohnehin nichts mehr zu sagen, denn, wie er mehrfach betont, machten ja schließlich ALLE Smartphones JEDE Form von Kommunikation zunichte.
Hock geht jedoch nicht nur auf Smartphonebesitzer los (vielleicht war er auch an der Wortfindung des angeblichen Jugendwortes des Jahres 2016, dem berüchtigten „Smombie“, beteiligt?), er hat auch den Grundlegenden Sinn des Internets offenbar nicht verstanden.
Für Hock scheint es nichts weiter zu sein als eine einzige Müllhalde voll Geschwätz, Störung und Werbung, in das jeder unreflektiert sein Wissen kippt. Gerade für ein Community-System wie die Wikipedia könnte das nicht falscher sein. Der dahinterliegende Gedanke der Schwarmintelligenz und der gegenseitigen Kontrolle durch Peer Groups taucht hier mit keinem Wort auf. Stattdessen lobt er, Klischee ahoi, den gedruckten Brockhaus, den zumindest ich auch in meinen Jugendjahren nicht ein einziges Mal angerührt habe – die Bände standen viel zu weit oben im Regal und als Kind durfte ich dort nicht ran. Dass man trotzdem Wissen anhäufen kann, scheint für Hock unvorstellbar. Schade eigentlich.
Auf weitere Beispiele wie Youtube und Facebook geht er ebenso verärgert ein. Natürlich sind diese Plattformen mittlerweile weitestgehend durchkommerzialisiert, das ist wirklich keine Neuigkeit. Sich darüber aufzuregen, ist natürlich absolut legitim, aus den gleichen Gründen wie Hock nutze ich Facebook schon seit geraumer Zeit nicht mehr privat.
Als er sich jedoch über Twitter-Hacktivismus und Shitstorms als „unnötige Aufregerei“ äußert, bin ich wirklich genervt. Die #aufschrei-Debatte hat (endlich!) auch in den Medien eine Debatte über Feminismus, Gleichberechtigung und soziales Verhalten losgetreten, die Hock keines weiteren Kommentares würdigt – bis auf ein symbolisches Augenrollen a la „Haben die Leute keine anderen Probleme?“, das Totschlagargument für jede sinnvolle Diskussion. Dabei wäre genau dies ein Ansatz gewesen, den er von Beginn an vermisst und dies auch deutlich macht: Dass das Internet die Leute zum Nachdenken bringt und ihr Verhalten in der „echten Welt“ zum Positiven verändert. Leider scheint er das selbst gar nicht zu sehen.
Der Autor, nur zehn Jahre älter als ich, schreibt und empört sich, als hätte er bereits vor geraumer Zeit das Rentenalter erreicht und verstünde „die Jugend von heute“ nicht mehr. Und wahrscheinlich tut er das auch nicht. Bei beinahe jedem zweiten Satz möchte ich während des Lesens zu einer Reaktion ansetzen, ausführen, erklären.
Das Werk scheint völlig aus dem Bauch heraus geschrieben zu sein, nur notdürftig werden ab und zu ein paar Studien eingeworfen. Schon richtig, Zahlen flößen Vertrauen ein – aber unsinnige Studien, bei denen teilweise jegliche Quellenangaben fehlen (es gibt keinen Appendix), bewirken eher das Gegenteil. Auch das Vorwort der Kabarettistin Monika Gruber will nicht wirklich fruchten, da auch sie keinen neuen Ansatz jenseits der Schelte auf die Netzgeneration findet – möge diese auch noch so witzig-ironisch gemeint sein.
Hocks Buch hat immerhin eine Reaktion hervorgebracht: Ich ärgere mich, dass es noch 2016 ein solch grundlegendes Unverständnis für die Materie und den Kulturwandel gibt – und eine Sturheit, die Tatsachen, wie sie sind, anzuerkennen. Doch das ist leider schon alles. Brauchte es dieses Buch? Meiner Meinung nach hätten wir problemlos darauf verzichten können. Eine E-Book-Version hätte es auf jeden Fall auch getan (spart Papier und somit Regenwald!), aber das wäre Hock wahrscheinlich auch zu digital. Möge Günther also weiterhin ein Käsebrot nach dem anderen verschnabulieren, vielleicht gibt es ihm in nächster Zeit die Energie, den Wandel zu verdauen. Wohl bekomm’s.
Image „Smartphone“ by MonikaP (CC0 Public Domain)
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