Codewort Introspektion – Wie Veränderungen im Körper unsere Entscheidungen beeinflussen

Wie werden wir uns unserer eigenen Gedanken und Gefühle bewusst? Und was lässt uns wissen, wann wir eine gute oder schlechte Entscheidung getroffen haben? Jeden Tag sind wir mit vielschichtigen Situationen konfrontiert. Wenn wir aus unseren Fehlern lernen wollen, ist es wichtig, dass wir ab und zu über unsere gefällten Entscheidungen nachdenken. Habe ich die richtige Entscheidung getroffen, als ich mit der Hypothek meines Hauses gegen den Markt spekulierte? War die Ampel gerade noch grün oder doch schon rot? Habe ich wirklich Schritte auf dem Dachboden gehört oder war es nur der Wind?

Wenn wir es mit ungewissen Ereignissen zu tun haben, wenn beispielsweise die Windschutzscheibe unseres Wagens während der Fahrt beschlägt, sind wir nicht mehr so sicher, ob wir in dem Moment richtig hingeschaut und uns für die beste Lösung entschieden haben. Wir gehen davon aus, dass die Fähigkeit, unsere eigenen Erfahrungen bewusst zu untersuchen, davon abhängt, als wie zuverlässig oder „verschwommen“ unser Gehirn die Informationen beurteilt, die diese Erfahrungen bewirken. Dieses Erlebnis wird auch Introspektion genannt. Einige Wissenschaftler und Philosophen glauben, dass diese Fähigkeit zur Introspektion ein notwendiges Merkmal des Bewusstseins ist und das entscheidende Bindeglied zwischen Sinneseindruck und Bewusstsein bildet.

Man nimmt an, dass das Gehirn eine Art Statistik aufstellt, die Möglichkeiten gemäß ihrer Verlässlichkeit gewichtet, um ein Gefühl des Vertrauens zu erzeugen. Dieses Gefühl befindet sich mehr oder weniger im Einklang mit dem, was wir tatsächlich gesehen, gefühlt oder getan haben. Und obwohl diese Theorie einen vernünftigen Ansatz bietet, um unser Vertrauen angesichts einer breiten Palette von Situationen zu erklären, vernachlässigt sie eine wichtige Tatsache über unser Gehirn – es befindet sich in unserem Körper. Sogar jetzt, während Sie diese Worte lesen, werden Sie wahrscheinlich zumindest ein vages Bewusstsein davon haben, wie sich Ihre Socken anfühlen, wie schnell Ihr Herz schlägt oder ob der Raum, indem Sie sich befinden, eine angenehme Temperatur hat.

Auch wenn wir uns dieser Dinge nicht immer bewusst sind, gibt der Körper immer wieder vor, wie wir uns und die Welt um uns herum erleben. Das heißt, die Erfahrung ist immer von einem bestimmten Ort aus, in einer bestimmten Perspektive verkörpert. Tatsächlich legen die jüngsten Forschungen nahe, dass unser Bewusstsein von der Welt sehr stark von exakt diesen internen Körperzuständen abhängt. Aber was ist mit Vertrauen? Ist es möglich, dass, wenn wir über das nachdenken, was wir gerade gesehen oder gefühlt haben, unser Körper im Hintergrund die Fäden zieht?

Einrichten des Experiments

Um diese Möglichkeit experimentell zu testen, entwickelten wir ein Szenario, in dem wir subtile, unbewusste Veränderungen in der physiologischen Erregung der 29 Teilnehmer – wie Herzschlag und Pupillenerweiterung – nachvollziehen konnten. Wir wollten herausfinden, wie sich dies auf ihre bewussten Entscheidungen und ihr Vertrauen auf eines einfachen visuellen Reiz hin auswirken würde. Da wir wissen, dass wir Menschen im Allgemeinen unser Vertrauen gemäß der Verlässlichkeit eines Erlebnisses gewichten, wollten wir herausfinden, ob diesem Prozess durch eine plötzliche, unbewusste Veränderung des Erregungszustandes entgegengewirkt werden oder ob er sogar umgekehrt werden könnte.

Dies erforderte einen experimentellen Reiz, bei dem die Präzision oder die sunsicherheit eines visuellen Erlebnisses manipuliert werden konnte. Um dies zu erreichen, mussten Freiwillige auf einem Bildschirm eine Wolke aus sich bewegenden Punkten betrachten und entscheiden, ob diese nach links oder rechts zogen. Sie mussten auch ihr Vertrauen in diese Entscheidung bewerten. Unsere Punktreize wurden insbesondere dahingehend entworfen, dass sie entweder eine hohe oder eine niedrige Wahrnehmungspräzision zulassen.

Auf der linken Seite des Bildschirms bewegten sich die Punkte klar und relativ eindeutig nach rechts. Die rechten Punkte bewegten sich jedoch und verteilten sich über die ganze Fläche. In statistischer Hinsicht ist die Varianz ihrer Bewegung also höher. Wie erwartet, waren die Aussagen der Teilnehmer, die den den rechten Teil mit den verschwommeneren Punkten betrachteten, weniger genau. Die Teilnehmer hatten ein geringeres Vertrauen. Das Gehirn wirkt wie eine Art Statistiker. Ohne, dass unsere Freiwilligen zuvor darüber Bescheid wussten, intergrierten wir bei etwa der Hälfte der Testpersonen eine Abbildung eines angewidertschauenden Gesichtes. Dies wurde jedoch nur so kurz eingeblendet, dass es nicht bewusst wahrgenommen werden konnte.

Diese subtile Manipulation sorgte für einen erhöhten Herzschlag und erweiterte Pupillen bei den entsprechenden Teilnehmern. Dies hat evolutionäre Gründe, denn Gefühle wie Ekel stellen einen starken Reizfaktor für Situationen dar, in denen etwas in unserem Körper schief gegangen sein könnte. Wenn jemand in unserer Nähe also angewidert schaut und sich zu erbrechen beginnt, wird oftmals eine ähnliche Reaktion in unserem eigenen Körper ausgelöst. Durch eine kurze Reizung bei allen Teilnehmern, die dieses Signal erhielten, konnten wir eine Art „introzeptiven Vorhersagefehler“ bewirken – wir konnten ihr Gehirn dazu bringen, zu denken, dass in ihrem Körper gerade etwas Unerwartetes passiert sei. Dadurch konnten wir nicht nur untersuchen, ob ein vom Hirn gesteuertes Vertrauen mit Reaktionen vom Herzen und der Pupille korrelieren, sondern auch sehen, ob die Störung der Abbildung die Art und Weise verändert, wie die Menschen von ihren Erlebnissen berichteten.

Tatsächlich haben wir festgestellt, dass diese überraschenden Veränderungen in der Erregung des Freiwilligen den Auswirkungen der veschwommenen Punkte auf ihr Vertrauen entgegenwirkten, was das Vertrauen für die einfacheren Punkte leicht verringerte und es für die schwierigeren stärkte. Darüber hinaus konnte diese Umkehrung in den Reaktionen von Pupille und Herz selbst beobachtet werden. Je mehr ein Körper eines Freiwilligen auf den unsichtbaren Ekel reagierte, desto deutlicher ging das Vertrauen bei dem jeweiligen Test verloren. Obwohl sich das Bewusstsein wie eine Art Statistiker verhielt, nutzte es auch Informationen des Körpers, um zu beeinflussen, wie sich die Teilnehmer fühlten.

Diese Ergebnisse, die in der Zeitschrift eLife veröffentlicht wurden, deuten darauf hin, dass sich unsere visuellen Erfahrungen auf mehr als nur das beziehen, was das Auge sieht. In der Tat hängt es auch von dem inneren Zustand unseres Körpers ab – von unserem Herzen und unserer physiologischen Erregung. Wenn wir unsere Erfahrung beurteilen und das Auge des Geistes gleichsam nach innen wenden, scheint es, dass der Körper beeinflusst, was wir vorfinden.

Dies ist ein wichtiger erster Schritt zum Verständnis, wie der Körper den Geist beeinflusst, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Angesichts dieser Erkenntnisse ist unsere Forschergruppe gespannt darauf, aufwändige Computermodelle für diesen Prozess zu entwickeln. Unsere Hoffnung ist es, dass solche Modelle es uns ermöglichen, eine Vielzahl von psychiatrischen und medizinischen Zuständen, wie Angst und Psychose, besser zu verstehen, da Veränderungen der körperlichen Signale und des Selbstbewusstseins des Patienten möglicherweise in eine unrealistische, weil besonders sichere oder unsichere Welt einschließen könnten. Dies kann letztlich zu neuen Behandlungen führen, die auf die Auswirkungen der kardiovaskulären Erregung auf gestörtes Vertrauen und Selbstbewusstsein setzen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image “eye” (adapted) by BreaW (CC0 Public Domain)


ist Neurowissenschaftler am Wellcome Trust Center for Neuroimaging (WTCN) am University College in London. Bevor er nach London wechselte, absolvierte Micah seinen Doktortitel in kognitiver Neurowissenschaft an der Aarhus Universität in Dänemark, wo er die Auswirkungen des mentalen Trainings auf die kognitive und affektive Neuroplastizität untersuchte.


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