Im Durchschnitt verbringt der Amerikaner 50 Minuten pro Tag auf Facebook. Das ist eine Menge digitale Vernetzung und entspricht ungefähr demselben Zeitumfang, den Arbeiter für ihre Mittagspause aufbringen. Dennoch gibt es da nicht annähernd so viel Sozialisierung, denn: 65 Prozent der Amerikaner essen an ihrem Arbeitsplatz zu Mittag und 45 Prozent geben an, allein Mittag zu essen – der höchste Prozentsatz seit über 50 Jahren. Was wäre, wenn diese Menschen in ihrer Mittagszeit persönlich miteinander in Kontakt treten, statt nur virtuell?
Die modernen Entwicklungen haben nicht nur unsere Sozialkontakte während der Mahlzeiten beeinflusst – es hat die Art und Weise verändert, wie wir unseren Geist ernähren. Viele von uns wurden von ihrer eigenen Echokammer verschlungen. Dabei erhält ein großer Anteil dieser Leute Neuigkeiten von ähnlich gesinnten Facebook-Freunden – wovon zumindest eine Handvoll nicht echt sind. Zu oft wurde die Komplexität unserer Freundschaften auf schlagfertige Zweizeiler und ausgewählte Selfies reduziert. In diesem paradoxen Zustand sind wir zugleich enger verbunden – und dennoch allein.
Die sozialen Medien und ihre Entwicklungsfirmen werden diese Probleme nicht lösen. Organisationen wie Facebook wollen die Zeit, die der Nutzer in ihrem Ökosystem verbringt, maximieren. Mehr Zeit bedeutet mehr Klicks, was mit gesteigertem Profit einhergeht. Forschungen zeigen, dass Menschen Informationen erhalten wollen, die ihre bereits existierenden ideologischen Standpunkte bestätigen. Deshalb ist es nur verständlich, dass Facebook genau das bedient.
Eine Lösung dieses Problems geht uns alle an. Die Menschen müssen miteinander ehrlich, authentisch und von Angesicht zu Angesicht in Kontakt treten. Wir glauben, dass Technologie helfen kann. Als Doktoranden am MIT entwickeln wir einen Service, der Menschen hilft, miteinander in Kontakt zu treten – indem wir 50 Minuten persönliche Interaktion statt fünf Minuten Bildschirmzeit bieten.
Das Gegenteil der Dating-Apps
Vor eineinhalb Jahren wurden wir von einer Selbstmordserie unter den Studenten in Cambridge erschüttert. Die tragischen Vorfälle führten zu einer Diskussion über soziale Isolation und das Gefühl der Unbehaglichkeit bim Kennenlernen neuer Leute. Informelle Befragungen von MIT-Mitgliedern auf einer Reihe von ungewöhnlichen Events, von Hackathons über Teepartys bis hin zu „Schokoladen-Soirées“ offenbarten, dass ein großer Teil der Studenten diese Veranstaltungen in der Hoffnung auf neue Freundschaften besuchten. Viele von ihnen spürten, dass das Auftreten in der Gruppe zu unpersönlich wäre, um erfolgreich neue Freundschaften zu knüpfen.
Davon inspiriert, machten wir uns an die Arbeit, eine weit persönlichere Alternative aufzubauen. Das Projekt erhielt den Namen „Connect“, das platonische, persönliche Treffen zum Mittagessen arrangiert.
Eine „interessante“ Person ist eine, mit der wir persönlich voraussichtlich gut zurechtkommen, von der wir uns aber in gewisser Weise unterscheiden – ideologisch, demografisch oder sozioökonomisch. Dieser Ansatz steht im Gegensatz zu Dating-Webseiten und Sozialen Netzwerken. Statt das perfekte Gegenstück zu finden, versucht Comfort, eine Person mit Gemeinsamkeiten zu finden, die dafür sorgt, dass wir uns geborgen und beruhigt fühlen können, sich zugleich aber auch genug Unterschiede aufweist, um uns neugierig zu machen.
Die Nutzer von Connect werden nach einigen Profilfragen gefragt, die dem Vergleichsalgorithmus helfen sollen. Diese Fragen erfassen Aspekte der eigenen Identität, unter anderem die Studienrichtung, Hobbys und Interessen, umfassen aber auch logistische Fragestellungen wie Verfügbarkeit und Essensvorlieben. Connect schlägt dann einen Ort, eine Zeit und den Initiator der Konversation vor. Sobald Nutzer mehrere Mittagessen wahrnehmen und den Algorithmus mit Rückmeldungen versorgen, lernt dieser mehr über diejenigen Attribute andere Personen, die interessant für ihn sind.
Ein MBA-Student aus dem Ausland könnte sich also anmelden und dem System beispielsweise mitteilen, dass er Kochen und Kajakfahren mag. Er könnte daraufhin mit einem Promotionsstudenten in Computerwissenschaften verknüpft werden, der ein begeisterter Bäcker ist. Das Paar ist ähnlich genug, was den Bildungsgrad und die essensbezogenen Hobbys angeht – dass sie miteinander klarkommen, aber gleichzeitig ausreichend unterschiedlich, dass sie sich auf anderem Wege wohl kaum treffen oder das selbe erleben würden.
Eine Dating-App würde diese beiden Personen nicht verbinden, weil beide Männer heterosexuell sind und die Hintergründe beider zu unterschiedlich sind, um auf romantischer Ebene kompatibel zu sein. Sie verlangen von Connect aber nicht, einen Lebenspartner zu finden – nur jemanden Interessanten, mit dem man das Mittagessen verbringen können.
Das Mittagessen zurückgewinnen
Es wird deutlich, dass wir gern interessante, neue Menschen kennenlernen. Die große Mehrheit der Nutzer, nämlich 90 Prozent im Verlauf des vergangenen Jahres, haben ihre Interaktionen mit der Plattform mit 4 von 5 Punkten (oder besser) bewertet. Neben der Tatsache, ein unterhaltsames Mittagessen zu erleben, berichtete ein Drittel der Nutzer davon, eine fortdauernde Freundschaft aufgebaut zu haben, durch die man regelmäßig in Kontakt bleibt.
Der Erfolg von Connect hat uns dazu angetrieben, herauszufinden, wie Technologie dabei helfen kann, eine stärkere und persönlichere Gemeinschaften aufzubauen. Dank der Förderung verschiedenster Büros am MIT waren wir sogar in der Lage, für das Mittagessen am Campus zu bezahlen, um die Hemmungen, neue interessante Personen kennenzulernen, weiter abzubauen.
Wir planen, die Plattform Anfang 2017 weltweit verfügbar zu machen, damit Administratoren an Schulen in der ganzen Welt in der Lage sein werden, ihren Studenten, Angestellten und Ehemaligen dabei zu helfen, auf persönlicherem Wege in Kontakt zu treten. Wir hoffen, dass Connect aus einer unterstützenden akademischen Wiege zu einer Plattform erwachsen kann, die jedem, Student oder nicht, dabei hilft, den nächsten besten Freund zu finden.
Wenn eine Plattform wie Connect stetig wächst, kann die Technik uns dabei helfen, die Hindernisse abzubauen, die sie selbst mit errichtet hat. Vielleicht werden uns die sozialen Netzwerke von morgen Möglichkeiten bieten, andere Perspektiven zu erfahren und Ideen auszudrücken, die nicht in der Anonymität verborgen bleiben. Und außerdem ist es die Chance, die Tradition eines Mittagessens unter Freunden zurückzubringen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Image „adult“ by sasint (CC0 Public Domain)
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1 comment
Gute Idee, grundsätzlich erinnert mich das Konzept leicht an „LunchIt“ oder „LetsLunch“, beide Versionen gibt es meines Wissens nach auch als App.Aber ob diese Konzepte wirklich monetarisierbar sind? Ich freue mich auf jeden Fall, es wird wirklich spannend.
Und es muss ja nicht immer das „nächste große Ding“ sein, das nächste „leckere Mittagessen“ reicht ja eventuell auch :-)
Liebe Grüße,
Alex Aramesh
Mitgründer
https://umzugshelfer-berlin.de