Wer eine Frage hat, wendet sich meist an Google. Man erwartet hier durchaus hochwertige, treffende Antworten. Gab man Ende letzten Jahres bei Google die Frage „Ist der Holocaust passiert?„ ein, wurde man auf eine von Neonazis und Anhängern der Überlegenheit der Weißen geprägte, den Holocaust leugnende Seite geführt. Der Protest, der daraufhin folgte, war enorm. Bei Google Ads wurden zugleich Werbeanzeigen für das U.S. Holocaust Memorial Museum eingekauft, sodass es ebenfalls bei den obersten Suchergebnissen erscheint. Nach anfänglichem Widerstand korrigierte Google seinen Algorithmus – aber nur insofern, dass die falschen und voreingenommenen Informationen etwas weiter unten bei den Ergebnissen erscheinen.
Diese Reaktionen jedoch lassen jedoch einen wichtigen Zusammenhang zwischen den Methoden der Holocaustleugner (und den Verschwörungstheoretikern generell) und dem Suchalgorithmus von Google vermissen. Google möchte Fragen beantworten und erfüllt diese Aufgabe oft sehr gut. Wenn die Frage selbst mit einem verborgenen oder implizierten Unterton gestellt wird – wenn historische Fakten angezweifelt werden – wird die Dringlichkeit der reinen, inhaltlichen Beantwortung dieser Frage schwächer und rückt im Kontext in den Hintergrund.
Das wichtigste Anliegen der Holocaustleugner und jeglicher Verschwörungstheorien ist es, historische Aufzeichnungen anzuzweifeln. Betreiber von Verschwörungsseiten geben an, dass sie schlichtweg neugierig, dabei aber unschuldig seien und in Bezug auf historische Ereignisse und weit verbreitete Ansichten ‚nur Fragen stellen würden. Entgegen ihrer Behauptung, unschuldig zu sein, versuchen sie jedoch zugleich, Antisemitismus und rechten Hass zu verbreiten.
Als Soziologe und Holocaustforscher ist es für mich klar, dass Seiten, die bewusst falsche Informationen und Propaganda präsentieren, das Bestreben Googles, Fragen zu beantworten, ausnutzen. Diese Seiten, auf denen die sogenannten „Fake-News“ verbreitet werden, schlagen Kapital aus der Tendenz, dass diese Fragen direkt bei Google eingegeben werden. Dies ist ein wichtiges Beispiel für Algorithmen und ihre Auswirkungen. Programmierer müssen sich bewusst sein, dass es wirklich und tiefgreifende Konsequenzen nach sich ziehen kann, wenn sie eine Anfrage an das System einfach nüchtern herunter programmieren.
Viele Seiten beantworten die Frage nicht
Zuerst muss beachtet werden: Natürlich gab es den Holocaust. Es gibt tonnenweise Beweismaterial, die belegen, dass es passiert ist. Die Täter haben es zugegeben. Es gibt Dokumente, die den Transport und die Vernichtung darstellen. Es gibt forensische Beweise von den Orten der Vernichtung und reichlich Aussagen von Augenzeugen. Aber hier zählt nur der Code: Googles Suchalgorithmus nutzt mehr als 200 Faktoren, um festzustellen, wie Ergebnisse priorisiert werden, damit die Nutzer die Informationen erhalten, die sie suchen. Eines der wichtigsten Dinge, die beachtet werden, ist, inwiefern der Inhalt der Seite mit der speziellen Anfrage übereinstimmt.
Wenn zum Beispiel eine Person nach „Laufschuhen” sucht, weiß Google durch die reine Abfrage nicht, was genau die Person über Laufschuhe wissen möchte. Demnach werden Ergebnisse angezeigt, die von Bewertungen von Laufschuhen bis zu Läden, die Laufschuhe verkaufen, reichen.
Die Lage verändert sich, wenn man bedenkt, dass jemand die Frage stellen könnte, ob es den Holocaust tatsächlich gab, oder als Äquivalent dazu, die Frage „Ist der Zweite Weltkrieg passiert?“. Normalerweise geht niemand bei einer ernstzunehmenden Quelle davon aus, dass der Zweite Weltkrieg unter Umständen nicht passiert sei. Neben ausführlichen Diskussionen über das Was, Warum und Wie stellen die glaubwürdigen Seiten, die den Holocaust faktenbasiert thematisieren, eben nicht die eine Frage heraus, ob es überhaupt passiert sei. Sie wissen, dass es so war. Sie setzen dieses Wissen schlicht voraus.
Dennoch scheint es so, dass der Google-Algorithmus diese Art Seiten nicht als Quellen anerkennt, die die wertvollsten Informationen besitzen, um die spezielle Frage des Fragestellers zu beantworten. Dieses Problem wird noch erweitert, denn der Google-Algorithmus versucht, die Glaubwürdigkeit der Seiten zu bewerten. Die Reihenfolge, in der sie in den Ergebnissen auftauchen, ist ebenso mitbestimmend. Wenn die glaubwürdigen Seiten die Antwort nicht zu liefern scheinen, ist die Chance größer, dass die weniger vertrauenswürdigen Seiten, die die direkte – aber eben falsche – Antwort geben, weiter oben in den Suchergebnissen erscheinen.
Hinzu kommt, dass der Algorithmus maschinelles Lernen nutzt, um verwandte Vorschläge anzuzeigen, selbst, wenn nicht die genauen Suchbegriffe verwendet werden. Eine anfängliche Abfrage, die mit der Holocaustleugnung begann, wird das System dazu bringen, dass es mehrere Optionen anbietet.
Eine Lösungsmöglichkeit für Experten?
Alles in allem führt die Art, auf die Leugner Fragen formulieren und die Art, auf die Google-Algorithmen versuchen, spezifische Fragen zu beantworten dazu, dass sich Verschwörungstheorien im Internet verbreiten. Jedoch bedeutet die Betonung der Glaubwürdigkeit Googles, dass Experten viele Möglichkeiten haben, diese Themen anzusprechen: offene Briefe, Blogs und Verlinkungen zu faktenbasierten, inhaltlich angemessenen Arbeiten.
Würde auf der Homepage des Holocaust-Museums ein Artikel mit dem Titel “Gab es den Holocaust?“ erscheinen und einige grundlegende Fakten darlegen, würden der Inhalt und die Glaubwürdigkeit der Seite an die Spitze der Suchergebnisse springen. Die aktuelle Seite, die sich mit der Leugnung des Holocausts auseinandersetzt, könnte mit einem Satz wie „Oft kommt die Leugnung in Form der Frage, ob es den Holocaust tatsächlich gegeben hat“, ganz einfach angepasst werden. Dies würde die entsprechenden Keywords einführen, die die Relevanz der existierenden Seite in Bezug auf Googles Algorithmus fördern. (Und ob dies nun durch permanentes Auf-den-Wecker-Fallen bei Google oder die Einstellung der Beantwortung des Algorithmusgewesen sein mag, ist der Content der Seite des US-Holocaust-Museums mittlerweile sehr viel einfacher bei Google auffndbar.)
Sicherlich wird man dadurch nicht alle Seiten, die den Holocaust leugnen, aus den Suchergebnissen von Google ausklammern, und vielleicht verschwinden diese noch nicht einmal von der ersten Seite der Suchergebnisse. Auch werden engagierte Leugner davon nicht abgehalten, Informationen zu finden, die ihre vorgefertigten Ansichten über Geschichte unterstützen. Die Leugnung des Holocausts basiert auf einer selektiven Interpretation der historischen Aufzeichnung und einer tiefsitzenden antisemitischen Auffassung. Keine Internetseite wird diese Auffassungen auf einen Schlag korrigieren oder ausrotten können.
Trotzdem könnte das Anbieten von faktenbasierten Ergebnissen, die man den „kritischen Fragestellungen“ der Populisten gegenüberstellt, einige Personen zum Nachdenken anregen. Diejenigen, die die Wahrheit und die Fakten im Angesicht von Leugnung und Verschwörungstheorien verbreiten wollen, können hierdurch vielleicht auch auf einen neuen Weg geführt werden.
Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Image „anonymous“ SplitShire(CC0 Public Domain)
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