Die Autoren Christian Lawrence, Tasso Enzweiler, Daniel Marek, Andreas Bachmeier und Andreas Winiarski kommen in der Februar-Ausgabe des PR-Magazins zu einem deutlichen Ergebnis: Kommunikation wird schwieriger, anstrengender, fordernder – aber auch unverzichtbarer. Für die PR müssten das eigentlich goldene Zeiten sein, meint PR-Magazin-Chefredakteur Thomas Rommerskirchen: „Die Mitarbeiter sind integriert. Sie sind tatsächlich ‚Botschafter des Unternehmens‘ und aktive Gestalter der öffentlichen Meinung. Institutionen werden transparent. Vorstände und Politiker werden medial erreichbar und können ungefiltert ihre Positionen an alle Stakeholder streuen. Produkte werden immer durchschaubarer, Produktionsprozesse nachvollziehbar. Wenn es den PR-Verantwortlichen gelingt, diese Entwicklung zu moderieren und konsensfähig zu gestalten, erfüllen sie eine elementare Führungsaufgabe“, so die Wunschvorstellung von Rommerskirchen.
Überlebenskünstler im Datenstrom
Dennoch organisieren sich viele Unternehmen, Verbände und andere Institutionen immer noch wie eine Wagenburg. Man will alles im Griff haben. Ob Blog, Facebook, Twitter, Pressemitteilungen, Live-Videos, öffentliche Reden oder Interviews mit Journalisten: es gibt aber kein Journalistenmonopol und auch kein „Kanal“-Monopol mehr, schreibt Christian Lawrence, Noch-Kommunikationschef der Munich Re, in einem Beitrag für das PR-Magazin. „Kunden, Mitarbeiter und Investoren informieren sich nicht mehr statisch aus unseren Kanälen, die, wenn man selbstkritisch darauf blickt, schon immer stark verbesserungsbedürftig waren. Sie nehmen stattdessen teil am ständigen Strom der Diskussionen über uns auf Plattformen, von denen wir nicht mal ahnen, dass es sie gibt. Geschweige denn, dass wir die Kraft oder die Ressourcen hätten, dort mitzureden.“
Dennoch gibt es viele Manager, die immer noch von KommunikationsKANÄLEN sprechen. Die Kanalarbeiter verdrängen die Tatsache, dass die Telefon-E-Mail-Newsletter-Broschüren-Sender-Empfänger-Kommunikationsberieselung nicht mehr funktioniert.
Gefragt sind heute Überlebenskünstler im Daten-Mahlstrom und keine PR-Kanalarbeiter. Um Verbündete in der Klimapolitik zu finden, geht Kommunikationschef Lawrence beispielsweise auf die Twitter-Timeline von Donald Trump. Bei den Gegnern des amerikanischen Präsidenten entdeckt er Meinungsverstärker, die zu den Positionen der Rückversicherung passen und die verheerenden Folgen der von Menschen verursachten Klimaerwärmung thematisieren.
Wahrscheinlichkeiten für Netzwerk-Effekte
Entsprechend wächst die Wahrscheinlichkeit, Netzwerk-Effekte in der Kommunikation auszulösen. Mit dieser Denkweise können sich einige Entscheider in Unternehmen nicht so richtig anfreunden. Die Mehrzahl sieht sich nach wie vor als Schiedsrichter über die eigene Geschäftspraxis. „Wenn sie bei einem Auseinanderklaffen von Anspruch und Verhalten ertappt werden, reagieren sie unwillig. Man erkennt es an der Verwendung von Begriffen, intern wie extern, die verharmlosen oder aber die geballte Faust in der Tasche erahnen lassen“, resümiert Lawrence. Ausführlich nachzulesen in der Februar-Ausgabe des PR-Magazins mit dem Special ‚Zukunft der PR‘.
Es gibt nach Ansicht von Klaus Eck leider viel zu wenige Überlebenskünstler im Datenstrom. „Das wird von den Unternehmen zu wenig gefördert, weil es viel Zeit kostet, die gut im Aufbau eines Netzwerkes investiert wäre. Auf aktive Unternehmenskommunikatoren treffe ich beispielsweise auf Twitter eher selten. Zu den aktivsten digitalen Überlebenskünstlern zählen eher Akteure aus dem Agenturumfeld. Freelancer dominieren das Feld, weil sie es müssen. Demgegenüber drängen sich die PR-Manager nicht unbedingt um die digitalen Plätze, sie schauen lieber abwartend zu.“
Wo ist nur der Social CEO?
Als Indikator nennt Eck den Anteil der Online-PR an der Unternehmenskommunikation. Der sei ziemlich mager . „Das lässt auf geringe persönliche Aktivitäten der Kommunikatoren im Netz schließen.“ Leider sei das Social Media Thema bei vielen Firmen komplett im Marketing aufgegangen zu sein. „Zahlen und Marketing Automation sind wichtiger als die persönliche Kommunikation, die mit hohen (Personal)kosten verbunden ist“, sagt Eck.
Auch wenn es viele Lippenbekenntnisse zu Social Media gibt und fast jede Organisation mit Präsenzen auf Twitter, Facebook & Co. glänzt, gibt es wenig Dialogbereitschaft bei den Akteuren der Wirtschaftswelt. Die Controlettis dominieren die Szene, moniert Digital Naiv-Blogger Stefan Pfeiffer. Auch das Thema Markenbotschafter verkümmere zum bloßen Retweeten und Liken der offiziösen Angebote im Social Web.
„Traurig, denn hier werden die Chancen des Netzwerkens noch immer nicht verstanden. Das soziale Netz ist zu einem gewissen Grad per se anarchisch und multipel in den verschiedenen Meinungen. Das ist Personen, die kontrolliert kommunizieren wollen, natürlich zuwider. Compliance-Gründe werden vorgeschoben. Kommunikation und Sich-Stellen in kritischen Situationen ist nicht erwünscht. Stattdessen will man totschweigen. Was das mit Kommunikation zu tun hat, frage ich mich immer wieder“, meint Pfeiffer.
Das bestätigt auch Tim Ebner, Experte für Krisenkommunikation: Nahbarkeit werde nicht so gelebt, wie es sein müsste. „Ich habe das Gefühl, dass ‚Digital’ in den internen Organisationsstrukturen immer noch Bittsteller ist. An PR, Vorstand oder im schlimmsten Fall an Produktmanager. Digitale Kommunikation findet dann an der Leine statt und kann ihr Potenzial gar nicht erst entfalten. Alles muss abgestimmt und weichgespült werden. Bis traditionelle PR auf Facebook übrig bleibt.“
Das Hauptproblem liegt wohl in der Chefetage. Die Suche nach einem Social CEO ist in Deutschland schwieriger als die Fahndung nach einem schwarzen Schwan. International werden gerne populäre Persönlichkeiten wie Richard Branson, Bill Marriot oder Tesla-Gründer Elon Musk genannt, so Kerstin Hoffmann in ihrem Opus ‚Lotsen in der Informationsflut‚ erschienen im Haufe Verlag. Im nationalen Geschehen sind es eher Firmenchefs des Mittelstandes. In Konzernen und in der öffentlichen Verwaltung seien wir noch weit entfernt von Strukturen, die einen freien und offenen Austausch im Social Web erlauben, so Hoffmann.
Das Notiz-Amt verweist auf das kollaborative ichsagmal.com-Gespräch mit der Autorin am 2. März um 18 Uhr. Hier könnten sich Firmenlenker Anregungen holen, um sich künftig als Social CEO zu positionieren.
Image „network“ (adapted) by geralt (CC0 Public Domain)
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