Windhunde und Cargo-Kulte schaden dem digitalen Wandel

Gestern habe ich mich zum wiederholten Male über Berater-Luftpumpen geäußert, die einem jeden Tag irgendwelche Tschakka-Botschaften zum digitalen Wandel an den Kopf knallen. 

Es sind merkwürdige und zumeist nicht sehr geistreiche Gestalten. Sie hämmern Begriffe, PowerPoint-Folien, Best Practice-Beispiele, Benchmarks, Empfehlungen für das Prozessmanagement und technokratisch-ganzheitliche Werkzeuge in den Raum und bleiben dabei Diener des alten Systems. In ihrer Wissensanmaßung vermitteln sie Gewissheiten und goldene Erfolgsregeln mit der Halbwertzeit von Hustinetten-Lutschpastillen. Allein bin ich mit diesem Hilferuf nicht. LinkedIn sortierte den Beitrag zumindest in die Kategorie „Favoriten der Redaktion“ ein. Ein Bruder im Geiste ist auch der Capital-Kolumnist Martin Kaelble, dem das disruptiv-transformatorische-Startup-Gemurmel in Deutschland auf die Nerven geht. 

Hurra, wir haben ein Kreativ-Lab

Bald dürfte wirklich jedes größere Unternehmen eine Digital-Konferenz veranstaltet oder ein Kreativ-Lab etabliert haben. Kein Zweifel: Der Innovations-Hype ist in vollem Gange. Genau genommen hat er seinen Peak längst erreicht. Und ich bin mir ziemlich sicher: viele Manager haben langsam die Nase voll von dem ganzen Alles-Neu-Machen-Gequatsche.“ Die Digital-Dauerschwätzer hinterlassen verbrannte Erde. Und das ist eine gefährliche Gemengelage. Denn es ist ja nicht weniger wichtig geworden, sich damit auseinanderzusetzen.

Was macht man gegen den digitalen Flachsinn?

Gunter Dueck macht sich in seinem neuen Buch „Flachsinn – Ich habe Hirn, ich will hier raus“ Gedanken, wie man das ändern könnte. So einfach ist das nicht, denn jeder giert nach Aufmerksamkeit: „Berater verkünden uns den Segen ihrer Patentrezepte, die absolut nur sie selbst gegen Geld erklären können“, bei sich selbst aber nicht zur Entfaltung bringen. Shops wollen verkaufen, auch wenn es nur Luftmatratzen in Form von Orangen sind. Propheten und Idealisten missionieren uns. Event-Manager locken uns. Trolle hassen uns. Hohepriester retten uns. Einzelkämpfer bitten um Unterstützung, um das eigene Personal Branding nach vorne zu bringen. Motivationskünstler bringen auf Facebook Appetithäppchen, die man in voller Blüte nur in einer eBook-Serie mit 30 Folgen erlebt.

In Etappen kann man dann noch Zertifikate erwerben und sich zum Master der Motivation ausbilden lassen in sündhaft teuren Workshops in Schweizer Nobelhotels. Erste Qualifikationsstufe „Fürst“, dann folgt „König“, dann „Kaiser“, „Papst“ und irgendwie das Universum. Klar ist, der Mentor und Guru erfindet immer wieder neue Kategorien, um an frisches Geld der Jünger zu kommen, die auf der Suche nach dem Heiligen Gral der Coaching-Laufbahn sind und passives Einkommen in einer 4-Stunden-Woche verdienen wollen. Motto: „Lass andere arbeiten und werde reich im Schlaf“.  Es wimmelt von Opportunisten, „denen jedes Mittel recht ist, naive Marktteilnehmer auszunehmen“, kritisiert Dueck.

Jeder hat das gleiche Musterbeispiel-Unternehmen

Eine besondere Spezies sind die Prediger der so genannten „Cargo-Kulte“, die der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman in seinem Opus „Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman“ metaphorisch einsetzt. Die neu-religiösen Heilsbewegungen der Südsee gehen mit diesen Kulten schon etwas tiefsinniger um. In der Auslegung von Feynman kennzeichnet es Versuche von Menschen, bestimmte Umstände genau so einzurichten, wie sie einmal waren, „als ein Wunder geschah“. Dann erwartet sie ein Wiedererscheinen des Wunders, was aber nicht eintritt, weil etwas Wesentliches beim Beobachten des Wunders nicht beachtet wurde. Also die Verwechslung von Ursache und Wirkung.

Im Kampf der Meinungen und Gegenmeinungen im Netz wimmelt es von Cargo-Kulten. Hoch bezahlte Berater leben von dieser Täuschung. Sie definieren zusammen mit dem Top-Management beispielsweise einen Soll-Status. „So soll es sein! Die hoch bezahlten Berater kennen nämlich irgendein kleines oder großes Unternehmen, wo es mit einer neuen Methode recht gut läuft. Den dortigen Status empfehlen sie allen anderen Unternehmen als ‚BEST PRACTISE“. Ich bin jetzt ein bisschen gallig, weil die verschiedenen Beratungsfirmen alle gleichzeitig auf dasselbe Musterbeispiel-Unternehmen verweisen“, schreibt Dueck.

Helden der Arbeit im Jahres-Kick-off

Schon hier müsste man stutzig werden. Gibt es wirklich nur dieses eine Unternehmen? Kennen alle Berater dieses eine Beispiel oder schreiben sie nur voneinander ab? Irgendwann geht es dann um ein Reifemodell, um Ist-Analysen in unendlichen Workshop-Sitzungen. Zum Schluss winken dann Strategie-Meetings mit folgenden Punkten: Wellness – Work-Life-Balance – Positives Umgehen mit Stress – Begeisterung für das Unternehmen empfinden – Erfolg macht glücklich und sichert die Arbeitsplätze. Im Jahres-Kick-off wird dann die Begeisterung in den Mittelpunkt des Managements gestellt, dazu werden Trommler und Paralympics-Sieger eingeladen, die den Mitarbeitern demonstrieren, wie praktisch jeder trotz extremer Widrigkeit noch Gold gewinnen kann. „Glückliche Helden der Arbeit werden im Video festgehalten. Die Gesundheit wird in Newslettern thematisiert. Jeder Woche erklärt ein gesunder Mitarbeiter, wie er sich durch begeisterte Leistung fit hält und selbst motiviert“, so Dueck. Auf den neuen Kaffeepötten in den Büroküchen steht „Success makes cool & happy“.

Digitales Placebo-4.0-Management

Man wird überflutet mit Placebo-Maßnahmen, die nichts anderes sind als billig Taschenspieltricks oder eben Cargo-Kulte. Datenbanken mutieren zu Big Data, alles Externe ist Cloud, gemeinsames Arbeiten tauft man „Collaboration“ und neue Jobtitel wie „Leader Mobile Work 4.0“ untermauern die weltweit führende Ausrichtung des Unternehmens. Jede Kritik an der digitalen Camouflage wird mit Nebel- und Blendgranaten bekämpft. Politik, Unternehmen und Beratung sind mit Cargo-Priestern durchsetzt, „mit Leuten, die sich als Auserwählte eines Cargo-Kults empfinden und ständig auf dem Tower zu ihren Ahnen beten“, führt Dueck in seinem neuen Buch aus. Dabei sei es nicht so einfach, die Windhunde zu erkennen. „Die professionellen Signalisierer sind oft schon verdammt gut.

Stream Smarts suchen

Dueck liefert Vorschläge, wie man sich von diesem sinnentleerten Wettlauf um Aufmerksamkeit verabschieden kann. Beispielsweise über „Stream Smarts“. Das sind Menschen, die gewisse Netzzentren von Diskursen bilden. „Sie stehen in dauerhafter Verbindung mit einer größeren Community und tauschen Wissen und praktische Erfahrungen aus. Wer sich in einem ‚Stream’ an den Diskussionen beteiligt und vielen anderen hilft, wenn diese Probleme haben, macht sich langsam einen Namen – in dieser Region des Netzes.

Gute Stream Smarts seien so etwas wie Vereinspräsidenten oder Gildenmeister im Netz, ohne dass je ein Verein, eine Zunft oder Gilde gegründet worden wäre. „Am besten spannen mehrere ‚Community Meister’ ein Netzwerk von tief Interessierten auf.“ Leider sind solche Stream Smarts rar. Aber man bekommt ziemlich schnell ein Gefühl dafür, in welchen Netzwerken solche Qualitäten geboten werden.

Ein weiterer Gedanke, den Dueck ins Spiel bringt,  ist viel schwieriger zu realisieren. Er gilt jenen Protagonisten, die mal schnell ein Digital Hub ins Leben rufen, subventionierte Büroflächen für Gründer freischaufeln und irgendwelche Startup-Kolonien in neuen Gewerbegebieten erschließen. Alle bauen irgendwelche Landebahnen und reden aufgeregt über die kommenden Flugzeuge. Es werde planlos mit Hoffnungen gehandelt. „Wir stehen natürlich noch am Anfang, aber die ersten Schritte sind gemacht. Die Richtung stimmt. Dies ist natürlich erste die erste Konferenz, wie wollen noch viel verbessern.“. Blablablub. Ohne Goethe und Schiller wäre aus Weimar nichts geworden. Ohne die Modersohns und Mackensens gelingt kein Künstlerdorf Worpswede. Ohne Qualität und digitale Exzellenz schafft man halt nur profane Cargo-Kulte. Hektischer Aktionismus – hohl und folgenlos. Das Notiz-Amt wird das weiter dokumentieren.


Image (adapted) network by geralt (CC0 Public Domain)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , , ,

5 comments

  1. Danke, Gunnar Sohn, für diesen erfrischenden Blick auf die Digitalisierungsaktivitäten hier im Lande. Musste einige Male grinsend nicken :-) Nur: mitten im nutzlosen Aktionismus und den „versenkten Kosten“ von Unternehmen oder öffentlicher Hand, stehen die Arbeitnehmer, Freelancer, Bürger….Wie sieht die persönliche Zukunft aus? Wie kann sie gestaltet werden? Der Erfolg oder Misserfolg der oben skizzierten Maßnahmen hat wesentliche Auswirkungen. Daher braucht es weiter richtig gute Ideen für das Leben und Arbeiten im „digitalen Zeitalter“, die nicht (vor allem) von Wirtschaftsseite eingebracht werden. Vielleicht entwickelt sich das ja aus einigen „Smart Streams“? Vielleicht braucht es aber auch größere „Bewegungen“?

    1. Da brauchen wir mit Sicherheit größere Bewegungen – die sich besser vernetzen müssen. Es gibt da schon einiges, aber eben noch sehr schlecht vernetzt.

      1. Nun, ob es größere Bewegungen (im Sinne von „groß“ und quantitativ) braucht? Oder brauchen wir lediglich Geduld und das Wissen, wie die Dinge zusammenhängen und welche Rolle jeder Einzelne von uns dabei spielt (ob mit aktiver Passivität oder kreativer Aktivität)?

        Peter Kruse hat es in seinem Kurzstatement vor der Enquete Kommission Netzpolitik des Deutschen Bundestages auf den Punkt gebracht. Doch hören wir ihn uns selbst an:

        https://netzpolitik.org/2010/heute-live-anhoerung-enquete-kommission-netzpolitik/ (ab Minute 34:29 spricht Prof. Peter Kruse ca. 3,5 Minuten)

        PS.: Man bedenke, die öffentlichen Sitzungen der Enquete Kommission Netzpolitik des Bundestages fanden im Sommer 2010 (!) statt. Heutzutage finden sie sich lediglich über verschlungene „Umwege“.

  2. Sehr gut. Hier gleich ein Link auf die freie Veranstaltung Corporate Learning 2025 MOOCathon http://colearn.de/cl2025/ – Sehr interessante Möglichkeit für einen offenen Austausch über Unternehmensgrenzen hinaus. Ziel: Frei verfügbares Konzept für “Learning & Development in the Digital Age”. Mit dabei sind Merck, Continental, Ottobock, DNV GL, Viessmann, Aareal Bank, Bosch und Audi.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert