„Eine Sache über China, die komplex ist, stellt seine Größe dar – es gibt nicht wirklich ein China”, betonte Prof. May Lee bei ihrem exklusiven Vortrag Mitte März bei der Beiersdorf AG in Hamburg. Im Rahmen des Digital Factory Talks, der für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens abgehalten wird, referierte sie über die Problematik des Verstehens des chinesischen Marktes. Ein gerade für die Beiersdorf AG wichtiges Thema, möchte das Unternehmen doch noch in diesem Jahr neue Produkte für den asiatischen Markt launchen.
Mit Frau Lee als Referentin hatte sich das Unternehmen eine hervorragende Rednerin nach Hamburg eingeladen. Sie ist Dekanin der Fakultät für Unternehmertum und Management an der ShanghaiTech University und eine Expertin für Themen wie Innovation, Geschäftsführung und bi-kultureller Bildung. Sie betonte vor allem die von Außenstehenden unerwartete Komplexität und vielen Gegensätze Chinas. „Nur sehr wenig ist in China einfach oder uniform“, so May Lee.
Vor allem im Westen wird China als allgemein reiches und mächtiges Land angesehen. Dies stimmt zwar, trotzdem leben aber noch heute rund 650 Millionen chinesische Bürger in Armut – rund die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Derartig markante Unterschiede zeichnen das Land wie kein anderes aus. Reichtum existiert neben Armut, urbane Superlativen neben ländlicher Simplizität, Tradition trotz Moderne und sogar analog wie auch digital – China ist ein Land der Gegensätze.
Polarisierender Populismus, wie wir ihn zurzeit in der politischen Landschaft der USA beobachten, faszinieren zwar die chinesische Regierung ebenso wie den Westen, zwingen aber auch zu einer Politik der Stabilität, um den in Armut lebenden Teil der Bevölkerung ruhig zu halten, genau wie die Menschen in den städtischen Metropolregionen, denn für die wachsende Mittelklasse wird das Leben in den Städten immer teurer. Schon jetzt orientieren sich viele Richtung Land.
Existiert Innovation in China?
Denkt man an die chinesische Industrie, ist dieser Gedanke oft negativ mit dem Vorwurf des ‚copycatting‘ konnotiert. Ein Produkt kommt auf den Markt und wird in Windeseile in China kopiert, hergestellt und schamlos weitervertrieben. Auch May Lee sieht das Fehlen von Entwicklung neuer, innovativer Produkte noch als großes Problem, gleichzeitig sei es aber eine Stärke, existierende Produkte in einer solch immensen Geschwindigkeit herzustellen oder zu ändern.
Gibt es aber dann überhaupt noch Innovation in China? Ja – meint May Lee, den größten Innovationsfaktor sieht sie bei neuen Geschäftsmodellen. China könne wie kein anderes Land Modelle kombinieren und verbessern und sich so regelrechte Imperien aufbauen. Ein weiteres Talent sei es, dieses Geschäftsmodell auch in Windeseile wieder anzupassen. Das Adaptionsvermögen des chinesischen Marktes ist auch eine seiner unverwechselbaren Stärken.
Ein Beispiel dafür ist das chinesische Vorzeigebeispiel WeChat – eine Mischung aus Twitter, WhatsApp, Facebook und Instagram mit 800 Millionen Nutzern – das mit dem Feature ‚WeChat Wallet’ mittlerweile auch ein chinaweites Mobile-Payment-System anbietet. Auch die großen BAT-Firmen Baidu, Alibaba und Tencent stehen für den Fortschritt in der chinesischen Internet- und Big-Data-Branche und zeugen von Chinas Innovationsvermögen im Bereich Geschäftsmodelle.
Was man über den chinesischen Markt wissen muss
Nach dem Vortrag hatte ich exklusiv für die Netzpiloten die Gelegenheit, Prof. May Lee nach einer eigenen Zusammenfassung ihres Vortrages bei der Beiersdorf AG zu bitten und die ihrer Meinung nach drei wichtigsten Haupterkenntnisse zusammenzufassen. Sie betonte, „dass man, um China und dessen Unterschiede in seiner Gesamtheit zu verstehen, es unter Einbezug der Historie betrachten muss“.
„Es muss verstanden werden, dass China ein Land der Gegensätze ist. Viele Menschen begreifen das nicht, denn wenn sie von China sprechen, denken sie an eine Milliarde Menschen, die alle gleich aussehen und sind“. Dabei ist China „heutzutage in vielen Aspekten, wie beispielsweise Alter, Geschlecht, Vermögen, Geografie oder Einstellung, sehr unterschiedlich“, wie May Lee in ihrem Vortrag aufgezeigt hat.
Und May Lee plädiert für eine angstfreiere Betrachtung des Landes: „China bewegt sich immer noch rasend schnell nach vorn. Man sollte versuchen, nicht so viel Angst vor China zu haben. Es ist immer noch separiert genug, dass wir im Westen uns nicht davor sorgen müssten, dass sie plötzlich ‚die Führung übernehmen’. Ich denke, es ist viel wichtiger, darüber und davon zu lernen und darüber nachzudenken, was das für uns bedeutet.“
Die Digital Factory von Beiersdorf
Zu unserem Besuch in der „Digital Factory“ der Beiersdorf AG werden wir noch gesondert berichten – wer sich schon mal einen Überblick verschaffen möchte, wie das Unternehmen dort mit digitalen und innovativen Methoden arbeitet, schaut sich am besten dieses Video an:
Image (adapted) „City of Lights“ by Maher Najm (CC0 Public Domain)
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