Als Game of Thrones zu Ende ging, fürchteten viele ein kleines Vakuum in der Serien-Landschaft. Viele Jahre fieberten mehr und mehr Fans dem finalen Kampf um den eisernen Thron und dem Schicksal von Westeros entgegen. Dass diese Leere nicht kam, liegt an zwei Dingen: Zum einen ging Game of Thrones für viele Fans gegen Ende steil bergab. Zum anderen standen aber auch rechtzeitig mehrere Serien in den Startlöchern, um an die Stelle des Fantasy-Epos zu treten. Darunter auch The Witcher auf Netflix. Welche Serien es außerdem noch gibt, haben wir bereits in einem anderen Artikel verfolgt.
Nach einer zumindest heiß diskutierten ersten Staffel ist nun auch die zweite Staffel erschienen und macht einiges anders. Diese opfert einige Nähe zum Original-Material, macht für mich aber auch eine ganze Menge richtig.
Buch und Spiel als Wegbereiter
Womöglich bin ich ein optimales Testimonial für die Serie. Kennengelernt habe ich den Hexer schon in Teil 1 der Spiele, auch wenn ich erst den bekannten dritten Teil komplett durchgespielt habe. Die Leidenschaft ging sogar noch tiefer und ja: Ich habe sie gelesen. Die Sage des Hexers Geralt von Riva ist mir nicht nur durch die Spiele, sondern mittlerweile auch durch die sehr lesenswerten Bücher bekannt.
Die Bücher, erst als Kurzgeschichte, dann als großer Epos rund um Cirilla von Cintra, greifen dabei allerlei bekannte Märchen auf, interpretieren sie aber auf slavisch-düstere Art völlig neu. Hinzu kommen bekannte Fantasy Tropes in herrlich dreckigem Gewand. Dass dabei reale Orte wie Oxfort als „Universität von Oxenfurt“ frech aufgegriffen werden ist gewagt, verleiht dem Setting aber sogar Charme.
Vieles, wenn auch bei weitem nicht alles dieser hybriden Fantasy-Welt, lässt sich in den Spielen mittlerweile nacherleben. Trotzdem bleibt es nur die halbe Erfahrung. An allen Ecken der Spiele blitzt die Leidenschaft für die Buchvorlage hervor, doch kann es einfach nicht die gesamte politische Landschaft der Saga abbilden und die wichtige Rolle, die Ciri darin spielt.
Auch wenn Ciri mit The Witcher 3 deutlich in den Vordergrund rückt, kann kaum jemand die Tragweite der Figur ergreifen, wie sie in den Büchern dargestellt wird. Geralt ist eigentlich nur ein unfreiwilliger Protagonist, während die Prinzessin der eigentliche Grund für die politischen Verwerfungen ist. An dieser Stelle: Lest die verdammten Bücher – Es lohnt sich!
Staffel 2 – Näher an den Videospielen
Die 2. Staffel von der The Witcher-Serie hat mich tatsächlich ein wenig überrascht. Nachdem mich die erste Staffel mit ihren gelungenen Grundton aber unglaublichen Fehlgriffen ein bisschen zerriss, zeigte die zweite Staffel tatsächlich so etwas wie Reue.
Die Kritik, vor allem seitens der Gaming-Fans der Serie, kam offenbar bei den Verantwortlichen der Serie an. Nein, der Cast der Serie wurde nicht großartig umgestellt. Im Detail zeigten sich trotzdem deutliche Änderungen gegenüber der ersten Staffel, die ganz offenbar den Gaming-Fans zu verdanken waren.
Die Rüstungen des Kaiserreich Nilfgaards, die amüsant als „schwarze Schrumpelhoden-Rüstungen“ bezeichnet werden konnten, nähern sich nun überraschend dem metallischen Hochglanz von The Witcher 3 an. Sogar die Haare der Zauberin Triss nähern sich überraschend in Farbe und Form dessen an, was Fans der Spielereihe gewohnt waren. Natürlich ist das nicht perfekt, aber mir vermittelte es die Botschaft, erhört zu werden und gefiel mir weitaus besser als die Triss aus Staffel 1 – auch wenn es die selbe Schauspielerin war.
Außerdem ging es mit Ciri und Geralt gemäß der Bücher nach Kaer Morhen. Und was soll ich sagen? Das Kaer Morhen erfüllte fast alles, was ich mir als Fan der Spiele erhoffen konnte. Zwar habe ich auch die Bücher gelesen, aber visuell war meine Hexer-Heimat klar an The Witcher 3 orientiert.
Selbes gilt auch für die Städte in der Serie. Und auch hier hatte ich das Gefühl, dass das Novigraad aus The Witcher 3: Wild Hunt weitgehend Pate stand. Es wirkte einfach angenehm vertraut – ohne dabei eine billige Kopie zu sein.
Ebenfalls Staffel 2 – Viel weiter weg von der Buchvorlage
Selbst wer sowohl die Spiele, als auch die Bücher kennt, sollte sich nicht all zu sicher fühlen. Gerade in der zweiten Staffel der Serie geschehen auch Dinge, die ihr nicht kommen seht.
Ein Stück weit ist das verständlich, weil The Witcher Staffel 2 zum Teil die Brücke zwischen den Kurzgeschichten und der zusammenhängenden Geschichte schlägt. Allerdings bietet der erste Band der Geralt-Saga „Das Erbe der Elfen“ viele starke Storylines, die sich auch gut in der Serie hätten umsetzen können. Stattdessen sterben unter anderem unnötig Charaktere, die in Buch und Spiel noch leben. Man kann damit aber zumindest sagen, dass die Serie dafür an Unberechenbarkeit gewinnt.
Auch scheint man sich ein Stück weit politisch korrekter zeigen zu wollen als die dreckige Buchvorlage. Diskriminierung von Anderlingen, Elfen und Zwerge, ist in den Büchern ebenso Tagesordnung, wie terroristische Zellen der Anderlinge in Form der Scoia’Teal. Dass Nilfgaard eine bessere Zukunft verspricht, macht politisch zwar durchaus Sinn, dreht sich aber nur um die Elfen und bietet eher als Aufbau, spätere Gräueltaten der Elfen zu begründen. Der Aufbau mit einer entgegen der Bücher schwangeren Francesca wirkt außerdem leider arg konstruiert.
Insgesamt wird die angespannte politische Landschaft zwar immer mehr ausgerollt, doch es fehlt ab und an die Nachvollziehbarkeit. Wer die Bücher und Spiele nicht kennt wird außerdem kaum einen Überblick haben, welche Länder wo liegen und wer auf wessen Seite steht. Letzteres ist zwar durchaus auch ein tatsächliches Dilemma, wird aus der Serie aber nicht immer deutlich. Die dritte Staffel soll sich – nach ersten Meldungen – zumindest noch ein bisschen aus „Das Erbe der Elfen“ zeigen und schafft so hoffentlich mehr Klarheiten.
Staffel 2 bügelt Schwächen aus
Zwar gefiel mir bereits die erste Staffel, doch war es mir teils ein Rätsel warum – schließlich gab es verdammt viele Gründe, warum die 1. Staffel eigentlich ziemlich schlecht war. Es war mehr das Gesamtgefühl der Serie, das mich über die vielen Schwächen hinwegsehen ließ.
Die zweite Staffel, wenn auch als Buchumsetzung umstritten, begeht für mich sonst aber deutlich weniger Fehler. Stattdessen zollt sie sogar den Fans der Spiele an den richtigen Stellen Respekt. Die besagten Änderungen sind marginal genug, das Gesamtwerk nicht zu stören, aber deutlich genug, eine Wende einzuleiten. Für mich kommt The Witcher dabei den eigenen Vorstellungen näher, obwohl einige ganz eigene Wendungen stattfinden.
Wichtiger jedoch: Es kommen kaum neue Schwächen hinzu. Der Grundtenor der politischen Landkarte stimmt einfach und macht deutlich, warum Geralt nur seinen engsten Vertrauten noch vertrauen kann. Um ihn herum entspinnt sich ein politisches Ränkespiel mit unterschiedlichsten Motiven, das Vertrauen zur wichtigsten Währung macht. Dabei sind viele Seiten sogar mehrere Sichtweisen verständlich, die jeweils für ihre eigenen Ideale kämpfen. Gerade das machte auch bei Game of Thrones mehr den Reiz aus, als die Fantasy-Elemente.
Genial umgesetzte Magie und Bildgewalt
Die Umsetzung von Magie scheint in Filmen und Serien oft schwieriger zu sein, als in Videospielen. Es gibt nicht sonderlich viele Beispiele, wo mich die Art, wie sie gewirkt wird wirklich von den Socken haut. Mal wirken die Effekte fad, mal ist die Inszenierung dahinter einfach nicht stimmig.
The Witcher macht das vor allem als Serie, die in der Regel weniger Budget im Verhältnis zur Spielzeit haben, besser als viele Filme. Die Effekte sind stimmig und die Art der Magie geschieht auf viele Arten. Rezitierte Formeln, naturnahe Magie oder simple Urgewalt. Neben einem sogenannten „Feuerwichser“ dürft ihr euch natürlich auch auf die bekannten Hexer-Zeichen freuen, die ihr womöglich aus den Spielen kennt. Auch sie erhalten wieder Einzug in die brachial inszenierten Kämpfe.
Auch das ist ein Teil des Erfolgs. Die grausamen Bestien des Hexeruniversums werden herrlich schaurig in Szene gesetzt und sorgen für manchen Kampf, der es durchaus mit einigen Kinokrachern aufnehmen könnte. Auch die Schauplätze werden dabei gerne mal in Panoramen gezeigt, wie sie viele Serien aus Budgetgründen eher meiden. Ganz so verschwenderisch wie die letzte Game of Thrones-Staffel wirft man mit dem Eyecandy jedoch nicht um sich. Trotzdem besitzt die zweite Staffel definitiv größere Schauwerte als die zweite Staffel des HBO-Hits. Game of Thrones war aber zweifelsfrei der Wegbereiter, der dies erst möglich machte.
Der Cast bleibt ein Wechselbad der Gefühle
Auch wenn The Witcher bei mir insgesamt den richtigen Nerv trifft, ist der Cast der Serie für mich immer wieder ein Wechselbad der Gefühle. Die Spiele, allen voran der prominente dritte Teil, haben in mir bereits feste Bilder von Charakteren erzeugt, welche die Serie ad absurdum führt. Gerade unter den Zauberinnen gibt es aber auch viele Besetzungen, die enorm stark von den Büchern abweichen. Der Cast bleibt damit eine große Schwäche der Serie.
Bei alledem gibt es aber trotzdem auch Rollen die mir ausnehmend gut gefallen. Getragen wird alles von einem brillianten Henry Cavill als Geralt von Riva. Vor Serienstart war ich da skeptischer: „Superman als dreckiger Hexer? Verschont mich!“ Aber je mehr ich über Cavill und seine eigene Nerdigkeit erfuhr, desto mehr verstand ich, dass er den Charakter einfach liebt, was man in seiner Verkörperung jeden Moment spürt. Mittlerweile kann ich mir niemand anderen mehr als Geralt vorstellen.
Noch überraschender war für mich Anya Chalotra als Yennefer. Sie schien auf den ersten Blick für mich keine gute Besetzung für Yen. Doch die gezeichnete Hintergrundgeschichte und die Art wie Chalotra die Rolle füllt, hat mich bereits in der ersten Staffel echt überzeugt. Dass ich die Besetzung von Rittersporn dagegen vom ersten Moment liebe, muss ich wohl kaum erneut erwähnen.
Bei der Besetzung der zweiten Protagonisten, Ciri, bleibe ich jedoch skeptisch. Freya Allen liefert an vielen Stellen verdammt gute Arbeit, aber ich weiß noch nicht, ob ich ihr die noch kommende Charakterentwicklung komplett abnehme. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass sie hier und da etwas mit Botox rumprobierte, auch wenn es in der Serie weitgehend umschifft werden konnte. Soll jeder mit seinem Gesicht machen, was er mag, aber in einigen Einstellung wirkt das Gesicht leider trotzdem völlig anders.
Rittersporn, Barde der Herzen!
Ich bin ein notorischer Barde. Ob im Pen & Paper oder in Videospielen – mit Barden kann ich mich immer besonders gut identifizieren. Kein Wunder also, dass ich auch eine ganz besondere Verbindung zu Rittersporn / Dandelion / Jaskier, oder wie auch immer ihr ihn nennen mögt, habe. Sowohl in den Spielen, als auch in der ersten Staffel war dieser Quälgeist von einem Barden mein absoluter Liebling.
Kein Wunder, dass der nervige Saitenzupfer auch in Staffel 2 einen musikalischen Eindruck im Ohr hinterlässt. „The Golden Ones“ rekapituliert Ereignisse der letzten Staffel und kann dabei auch für ein Schmunzeln sorgen. Das emotionale „Brenn Schlächter, brenn!“ zeigt dagegen einen zutiefst verletzten Rittersporn nach seiner zunächst zerbrochenen Bromance mit Geralt. Und dann ist da noch eine Szene, die ich nur ungern spoilern möchte, weil sein einfach ZU genial ist, um sie euch jetzt schon zu erzählen. Rittersporn kommt erst später in der Staffel zum Zug, aber dann ist er einfach eine Naturgewalt.
Auf der einen Seite wächst er sowohl als Barde, als auch als Persönlichkeit. Dass er dabei trotzdem irgendwie der alte Quälgeist bleibt, macht ihn dabei nur umso liebenswerter. Er ist vielleicht nicht die treibende Kraft für den Plot, aber es braucht auch solche Charaktere zum Wohlfühlen.
Sigismund Dijkstra
In The Witcher Staffel 2 freute ich mich außerdem auch auf die Einführung einer meiner Lieblingscharaktere: Sigismund Dijkstra. Der redanische Spion entspricht nicht unbedingt dem typischen Bild eines Spions. In Büchern und Spielen ist er nicht nur sehr groß, sondern auch als ziemlich fett bezeichnet.
Groß und nicht gerade kapuziert ist er auch in der Serie. Für meinen Geschmack ist er dabei aber etwas zu schlank und majestätisch. Die wahre Brillanz von Dijkstra liegt eigentlich darin, dass er ziemlich grobschlächtig und tumb wirkt, dabei aber in Wirklichkeit ein genialer Stratege ist.
Eine wirkliche Enttäuschung ist die Besetzung durch Graham McTavish zum Glück nicht. Sein Charakter wirkt zwar etwas würdevoller als ich ihn mir vorgestellt habe, aber wenn ich die Buch-Brille abnehme, passt er trotzdem. Eine all zu große Rolle nimmt er noch nicht ein, aber es wird deutlich, dass er wie viele andere Charaktere, eine ganz eigene Agenda verfolgt. Und genau das macht die Welt aus, in der Geralt eigentlich nur seinen engsten Freunden vertrauen kann, weil jede Fraktion eigene Ziele hat und die meisten davon mit seiner Quasi-Tochter Ciri zusammenhängen.
Trotz Abweichungen zum Buch macht Staffel 2 mehr richtig
Auch die zweite Staffel der The Witcher-Serie macht bei weitem nicht alles richtig. Auf der einen Seite reicht sie Fans der Spiele die Hand, zugleich entfernt sie sich aber massiv vom Originalmaterial, welches die Spiele dann doch etwas pfleglicher behandelten. Netflix‘ The Witcher sorgt so auch in der zweiten Staffel für ein Wechselbad der Gefühle.
Beim Cast gibt es weiterhin das Problem, dass viele Charaktere ziemlich schlecht besetzt sind. Vor allem das Trio aus Geralt, Yennefer und Rittersporn überzeugen dafür und retten das Gesamtbild. Freya Allen muss dagegen in den kommenden Staffeln erst noch unter Beweis stellen, dass sie Ciris Charakterentwicklung gerecht wird.
Insgesamt fühlte ich mich trotz Schwächen in der Handlung sogar ein bisschen besser unterhalten als in der ersten Staffel. Die Serie sammelt weniger kleine Ärgernisse an, die mich in der ersten Staffel noch immer aus der sonst guten Grundstimmung rissen.
Für Staffel 3 hoffe ich wieder auf mehr Nähe zur Buchvorlage und das die Serie trotzdem endlich einen festen Weg findet. Noch wirkt es, als wenn die Serie noch auf der Suche nach ihrer Struktur ist. Mehr als zwei Staffeln sollte diese Suche aber bitte nicht benötigen.
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Image by CD Projekt via IGDB
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