Blinde, die wieder sehen können. Das klingt nach einem Wunder, wie es in der Bibel steht. Aber dank moderner Forschung ist es (zumindest für manche) Wirklichkeit. Mit sogenannten Retina-Implantaten sind bestimmte Krankheiten, die die visuelle Wahrnehmung beeinträchtigen, zumindest in Teilen heilbar. Hierbei unterscheidet man zwischen zwei Arten von Implantaten: Subretinale Implantate und Epiretinale Implantate.
Diese Implantate sind Sehprothesen für stark sehbehinderte und blinde Menschen, bei denen die Stäbchen und Zapfen – die Rezeptoren für unsere bildliche Wahrnehmung – ihre Funktion verloren haben. Damit das Retina-Implantat funktioniert, muss die Sehbahn, auch Sehnerv genannt, aber noch intakt und eine Verbindung zum Gehirn sichergestellt sein. Das Grundprinzip der Implantate sind Elektroden, die ins Auge einfallendes Licht in elektrische Impulse umwandeln. Diese werden dann vom heilen Sehnerv ans Gehirn weitergeleitet. Die Implantate kommen bei Menschen zum Einsatz, die unter Retinitis Pigmentosa leiden. Unter diesem Sammelbegriff versteht man eine Reihe erblicher Krankheiten, bei denen die Netzhaut nach und nach ihren Dienst versagt. Das Nachlassen der Sehkraft beginnt im Jugendalter und führt zur vollständigen Blindheit. Bisher können Ärzte das Augenlicht auch mit dem Chip, der bislang die einzige Heilmethode darstellt, nicht wieder vollständig herstellen. Nach derzeitigem Forschungsstand können ca. 6% der früheren Sehstärke wiederhergestellt werden.
Unser Artikel über Roboter in der Medizin stellt euch übrigens auch noch weitere technische Fortschritte der Medizin vor.
Aufbau des Auges
Bevor erklärt wird, wie die Retina-Implantate funktionieren, muss man erstmal verstehen, wie das Auge bzw. unser Sehen funktioniert. Licht fällt auf Objekte, die es reflektieren. Schaut man diese Objekte an, strahlt das reflektierte Licht durch die Pupille auf die Netzhaut. Hierbei wird es durch die Hornhaut vor der Iris und eine Linse so gebrochen, dass es möglichst auf den gelben Fleck fällt. Der gelbe Fleck, der auch Makula heißt, ist auf der Netzhaut, die man auch Retina nennt. Hier liegen die meisten Stäbchen und Zapfen.
Diese sind letztendlich der Grund, warum wir sehen können und überall auf der Netzhaut verteilt. Die meisten sind aber am gelben Fleck. Die Stäbchen helfen uns beim Sehen bei wenig Licht und die Zapfen helfen uns, Farben wahrzunehmen. Da am gelben Fleck die meisten sind, können wir dort auch am besten sehen. Die Stäbchen und Zapfen, die auch Fotorezeptoren heißen, wandeln das Licht in Nervensignale um. Die Sehbahn leitet diese ins Gehirn weiter. Das Gehirn verarbeitet das Bild dann.
Subretinale Implantate
Das subretinalen Implantat wird als Chip hinter der Netzhaut angebracht. Besagter Mikrochip enthält ca. 1600 Photodioden und jeweils einzeln gekoppelte Stimulationselektroden. Die Photodioden übersetzen das ins Auge einfallende Licht in elektrische Impulse. Die Stimulationselektroden wandeln die elektrischen Impulse in Signale um, die den heilen Teil der Netzhaut simulieren. Der Chip ersetzt also natürliche Reize durch elektrische Impulse. Je heller das einfallende Licht ist, desto stärker sind die Impulse. Strom bekommt das Implantat durch eine Magnetspule, sodass kein Austausch von Batterien mehr nötig ist. Die Empfängerspule wird hinterm Ohr in den Schädelknochen implantiert. Großer Vorteil an dieser Art von Retina-Implantat ist, dass es nachhilft, anstatt die Sehfunktion komplett zu ersetzen. Denn hier kann die natürliche Augenbewegung und ein Teil des Netzhautsystems weiter genutzt werden.
Epiretinale Implantate
Bei dieser Variante des Retina-Implantats wird der Chip auf der Netzhaut platziert anstatt dahinter. Hier enthält der Chip nur die Stimulationselektroden, die Impulse senden. Statt dem Auge nimmt hier eine Kamera das Bild auf und schickt es an eine Bildverarbeitungs-Einheit weiter. Diese wandelt das Kamerabild in elektrische Signale. die wieder ähnlich wie beim subretinalen Implantat funktionieren, deshalb braucht es keine Photodioden im Auge. Diese Kameras sind in den Nasensteg von Brillen eingebaut, die die (betroffenen) Menschen mit eingeschränkter Sicht tragen.
Der größte Nachteil bei den epiretinalen Implantaten: die Bilder werden extern aufgenommen. Das heißt, der Kopf muss gedreht werden und die natürliche Augenbewegungen wird nicht mehr genutzt. Technik ersetzt komplett den komplexen Prozess des Sehens. Dafür ist die Empfängerspule in die Brille integriert, anstatt hinters Ohr gepflanzt zu sein.
Geschichte des Implantats
Derzeit befinden sich die Retina-Implantate ganz im Gegensatz zu vielen anderen Implantaten noch in der Testphase. Sie stehen deshalb der breiten Masse noch nicht zur Verfügung und werden nur bei ausgewählten Testpatienten eingesetzt. Mitte der 1990er Jahre begann Professor Eberhart Zrenner, ein Professor für Augenheilkunde der Universität Tübingen, elektronische Netzhautimplantate zu entwickeln. 2003 gründete er mit Gleichgesinnten eine Forschungsgruppe. 2005 begannen erstmals klinische Tests an lebenden Menschen. Insgesamt erlangten in dem Jahr sieben Menschen teilweise ihre Sehkraft wieder. Allerdings wurden die Fortschritte nicht als Sehen eingestuft, sondern eher als Lokalisieren. Lichtquellen konnten die Patienten zwar erkennen, aber scharfes Sehen war nach wie vor nicht wieder möglich.
Eine zweite klinische Studie begann 2007. Hierbei wurden bereits fortgeschrittenere Implantate eingesetzt. Diese waren so sehr weiterentwickelt, dass die Testperson Miikka T. Äpfel von Bananen unterscheiden konnte. Außerdem war es ihm möglich, seinen Namen als Riesenbuchstaben auf großen Tafeln zu lesen. Leider musste die Forschungsgruppe Retina Implant AG, die von Prof. Zrenner zusammen mit anderen Wissenschaftlern gegründet wurde, 2019 aufgelöst werden.
Am epiretinalen Implantat forschen Wissenschaftler seit Beginn der 90er Jahre. Unter dem Namen Argus bzw. Argus II vertreibt die 1998 gegründete Firma Second Sight ihre Implantate. Das Argus-Implantat testete Second Sight zuerst 2002 an lebenden Patienten. Seit 2006 gibt es das Argus II Modell, mittlerweile ist auch in Deutschland zugelassen und wird in einigen Kliniken als Behandlungsmethode zugelassen.
Image by Firefighter Montreal via Adobe Stock
Artikel per E-Mail verschicken