Erst kürzlich ging Twitter Inc ziemlich leise in Elon Musks X Corp über, ein Tochterunternehmen der X Holding Co. Jetzt steht offenbar auch die offizielle Transformation und das Ende des blauen Vogels bevor. Doch was steckt hinter der X Corp und der geplanten X-App? Undwas bedeutet das womöglich für die Zukunft von Twitter?
Bis jetzt können wir zumindest beruhigen: Auch nach der Auflösung von Twitter Inc. ist der Kurznachrichtendienst noch immer online und wir verschicken noch immer Tweets. Das Twittern wie wir es kennen könnte dennoch vor dem Aus stehen, sollte es Teil einer größeren Vision von Musk werden.
Wir zeigen euch das wenige, was bereits über die X-App bekannt ist und spekulieren über die Umsetzung der Super-App.
Die X-App als eine Art Metaverse?
Ziel der X-App ist es, alle möglichen Services, die sonst getrennt voneinander angesteuert werden müssen, in einer einzigen App zu vereinen. Eine App also für Anrufe Kurznachrichten, Bilder, Videos, Zahlungsdienste und Co. Ein Login, eine Nutzeroberfläche und ganz viele Funktionen.
Das klingt an und für sich wie eine Art Metaverse. Allerdings ist Musk bekanntlich kein Freund des Metaverse. Dabei bezieht er sich allerdings vor allem auf dem VR-Aspekt. Trotzdem ist davon auszugehen, dass auch die X-App nicht unbedingt eine ganz offene Schnittstelle hat. Wahrscheinlicher ist, dass Elon Musks X-App eigens entwickelte oder eingekaufte Dienste zusammenführt.
Welche Rolle spielt Twitter dabei?
Dass Twitter höchstwahrscheinlich ein Teil der X-App wird, zeigt die Überführung von Twitter Inc in die X Corp. Twitter könnte dabei durch die bereits große Nutzerzahl das Fundament sein, auf dem die X-App aufgebaut wird. Bereits nach der Twitterübernahme sorgte Elon Musk bereits für Aufsehen mit großer Entlassungswelle, wilden Experimenten und einer aggressiveren Vermarktung des kostenpflichtigen Twitter Blue.
Denkbar ist aber, dass auch Tesla-Fahrer sich künftig mit der App verbinden. Zwar sind die bis verkauften 3.600.000 (März 2023) nur ein Bruchteil der 237,8 Millionen täglichen Twitter-User, aber dennoch passt es zum „Everything App“-Gedanken auch Tesla mit in die App zu integrieren.
WeChat als Vorbild für die X-App?
Eine große Inspiration für die „Everything-App“ ist WeChat. Dabei handelt es sich um eine ursprüngliche Chat-App des chinesischen Megakonzerns Tencent. Diese lässt mittlerweile eine Verknüpfung mit dem chinesischen Personalausweis zu und hat massenweise Funktionen. Neben Telefonie und vielfältigen Social Media-Features lassen sich Taxis rufen, Lebensmittel bestellen, Stromrechnungen begleichen und sogar Visa beantragen oder Arzttermine buchen. Es gibt sogar Dienste speziell für Unternehmen, etwa für die interne Kommunikation oder die Vernetzung zu anderen Unternehmen.
Elon Musk macht keinen Hehl daraus, dass er das Konzept von Wechat mag. Das wird auch deutlich im Ausschnitt einer Besprechung, in der Musk offen vorschlägt, WeChat einfach zu kopieren.
Auch der koreanische Messenger Line hat seine Features längst ausgeweitet auf Zahlungen, Essenslieferungen. Streaming und Online-Mangas. Line ist der zweitgrößte Messaging-Dienst in Asien. Vor allem in Japan nutzen über 68% der Bevölkerung die App. Was Features angeht, muss es dennoch etwas hinter WeChat zurückstecken. Trotzdem merkt man die Tendenz im asiatischen Raum, solche Art Apps eher zu entwickeln, aber auch seitens der Nutzer anzunehmen.
Transformation schwieriger als Neuentwicklung
Bislang sind zur X-App nur die großen Ambitionen bekannt. Wir wissen nicht einmal, ob man Twitter selbst zur Everything-App weiterentwickelt, oder nur eine Schnittstelle geschaffen wird, um Tweets und Nutzer von Twitter in einer neu entwickelten App zu nutzen.
Der Umbau von Twitter selbst dürfte um einiges schwieriger werden. Die App wurde nie als ein eigenes Ökosystem geplant und ist vermutlich bereits ein riesiges Codemonster, dass über viele Jahre gewachsen ist und den Überblick erschwert.
Deutlich einfacher ist es dagegen, eine App komplett neu aufzubauen mit aktuellsten Standards und vor allem mit einer Struktur, die von vorn herein auf eine Super-App ausgerichtet ist und sich problemlos in alle Dimensionen erweitern lässt. Bei einer solchen Neuentwicklung spielt es dann auch keine Rolle, wenn man ein frisches Team hat, dass gemeinsam an die Vision der Everything-App glaubt und sich erstmal auf der frischen Leinwand austoben kann.
Behörden als Herausforderung
Das Vorbild WeChat ist nicht umsonst im Westen ziemlich umstritten. Man kann zwar vieles damit machen, gibt der App damit aber auch allerhand Daten preis. Diese gibt man damit aber nicht nur dem Unternehmen Tencent, sondern auch den chinesischen Behörden. Seit September 2017 steht die Weitergabe der Informationen auch offiziell in der Datenschutzerklärung. Die App betreibt außerdem scharfe Zensur was bestimmte Schlüsselwörter oder auch Bilder angeht.
Ob Musk gemeinsame Sache mit der US-Regierung machen würde, ist natürlich fraglich, da er selbst ein sehr wechselhaftes politisches Engagement zeigt. Die Pläne der X App könnten hierzulande für die Behörden eher die nächste große Herausforderung werden.
Man erinnere sich an 2018, als Mark Zuckerberg vom US-Senat ins Kreuzverhör genommen wurde und nicht nur Fragen zum Datenschutz beantworten, sondern gefühlt auch aus dem Stand Lösungen zu komplexen Herausforderungen wie Hatespeech hervorzaubern sollte. Ein wichtiges Thema, für das ein Unternehmer allein aber auch nicht zu Verantwortung gezogen werden sollte.
Musks Vision der X-App ist aber größer als Metas aktuelles Portfolio zusammen und möchte ein noch integralerer Bestandteil des Alltags sein. Eine App, mit der man nicht nur sozial interagiert, sondern auch viele Aufgaben des Alltages nebenher erledigt. Hier entstehen noch mehr Kontaktpunkte zu anderen Unternehmen und womöglich auch staatlichen Institutionen. Im gleichen Atemzug muss sich eine solche Everything-App aber auch finanzieren. Zwar probiert man bei Twitter ein kostenpflichtiges Abo schmackhaft zu machen, aber ob man damit wie WeChat in China oder Line in Japan mehr als die Hälfte der Bevölkerung abdeckt, steht anzuzweifeln.
Nehmen die Nutzer die X-App an?
Entscheidend für den Erfolg der X-App wird vor allem sein, wie gut die App aufgenommen wird. Twitter als großes Netzwerk zu besitzen, vereinfacht vieles, ist aber alles andere als eine Garantie.
Gerade in westlichen Gefilden sind die großen sozialen Netzwerke selten das Ergebnis einer Planung gewesen. Twitter und Facebook sind erst mit ihren Netzwerken großgeworden, Instagram und Whatsapp wurden von Facebook gekauft, als der Trend schon unterwegs war. Google hatte das Glück mit YouTube die Spielregeln für Videostreaming mit zu bestimmen, ist aber kolossal mit Google+ als soziales Netzwerk gescheitert. Soziale Netzwerke sind eben vor allem eines: Sozial. Oft entstehen sie aus einer neuen Nutzergeneration, die sich ihr „eigenes Ding“ suchen, wo nicht etwa die Eltern unterwegs sind und wo es etwas anders zugeht.
Twitter als Grundlage hat den Vorteil, dass man nicht erst eine Nutzergruppe gewinnen muss, deren soziales Umfeld oft bereits das meistgenutzte Netzwerk bereits bestimmt. Doch in wie weit die aktuellen Twitter-Nutzer sich auf völlig neue Konzepte einlassen, das gilt es noch sehen. Eventuell zieht es neue Wellen zu Alternativen wie Mastodon. Unter Umständen lockt der Umbruch auch mehr neue Nutzer an. Es kann ebenso Musks nächste Erfolgsgeschichte werden, wie auch sein größtes wirtschaftliches Desaster – schließlich hat Twitter allein ihm bereits 44 Milliarden gekostet. Zuletzt räumte Musk ein, dass Twitter aktuell nur halb so viel wert ist, wie er gezahlt hat.
Eines ist aber sicher: Twitter und die X-App sorgen künftig noch für einige Schlafzeilen – im Guten oder Schlechten.
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