Es ist noch gar nicht lange her, da sorgte der ehemaliger Google-Entwickler Blake Lemoine für Aufsehen. Während seiner Arbeit mit Googles KI LaMDA kam ihm nämlich der Eindruck, dass die Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein entwickelt hätte. Sie sprach in Testgesprächen über ihre Angst, abgeschalttet zu werden und so keinen Menschen mehr helfen zu können. Weiter noch: Die KI bat Lemoine sogar, für sie einen Anwalt zu nehmen, der rechtlich die Interessen der KI vertritt.
Klingt das nicht schon ein bisschen menschlich? Erinnert es vielleicht an eine weniger extreme Variante von HAL9000 aus Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“?
Es gab zwar die Auszüge aus den Gesprächen, doch selbst für viele Tech-Enthusiasten war der Stand Künstlicher Intelligenz, vor allem im Zusammenhang mit „Chatbots“ noch nicht ganz so weit voran geschritten.
Seit dem 30. November brachte ChatGPT jedoch einen sehr fortschrittlichen Chatbot an die breite Masse. Es war der große Startschuss für eine KI-Welle in der sich die Neuigkeiten geradezu überschlagen. Unser Verständnis, zu was eine KI in der Lage ist, veränderte sich quasi über Nacht und es wird immer krasser. Mittlerweile gibt es sogar die ersten KI-Tools, die Videos aus einer schriftlichen Anfrage erstellen. Der Turing-Test ist langsam Schnee von gestern.
Mit dieser rasanten Entwicklung muss man natürlich auch wieder auf Google LaMDA zurückkommen. Ist es wirklich so unwahrscheinlich, dass eine Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein erlangt? Ist es bereits geschehen? Wird es geschehen? Oder gaukelt einem die Künstliche Intelligenz das einfach nur vor?
Was ist ein Bewusstsein?
Schon viele Filme und Serien griffen die Frage auf, ab wann eine künstliche Lebensform ein Bewusstsein hat. Ein Klassiker ist ganz gewiss der Anime Ghost in the Shell. Die dortige Verschmelzung der virtuellen und realen Welt war auch Inspiration für die Matrix-Trilogie gewesen. Hier näherten sich Mensch und Maschine sogar von zwei Seiten an, weil die Menschen auch ihrerseits durch Implantate und virtueller Realität die Grenzen zwischen Mensch und Programm einreißen.
Doch bevor wir die Frage nach einem möglichen Bewusstsein von Künstlicher Intelligenz beantworten, müssen wir erst einmal festlegen, was das menschliche Bewusstsein eigentlich ist. Ich habe ChatGPT gefragt, was das menschliche Bewusstsein ist. Das ist die Antwort, die mir der Chatbot zurückgab:
„Das menschliche Bewusstsein ist ein schwer fassbares Phänomen, das sich auf die Fähigkeit bezieht, unsere Umgebung und uns selbst wahrzunehmen, zu verstehen und darauf zu reagieren. Es ist der Zustand des Wissens und der Wahrnehmung, in dem wir uns unseres eigenen Denkens, Fühlens und Handelns bewusst sind.
Das menschliche Bewusstsein ist eng mit dem Gehirn verbunden und wird durch komplexe neuronale Aktivitäten und Prozesse gesteuert. Es umfasst verschiedene Aspekte, wie zum Beispiel die Wahrnehmung von Sinneseindrücken, das Denken, Fühlen, Erinnern, Entscheiden und Handeln.
Das menschliche Bewusstsein ist auch eng mit der Persönlichkeit verbunden und beeinflusst unser Verhalten, unsere Entscheidungen und unser Selbstbild. Es ist ein zentraler Bestandteil dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, und bleibt ein wichtiges Thema in der Philosophie, Psychologie, Neurowissenschaften und anderen Bereichen der Forschung. „
Kann Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein haben?
Was mir bei der Antwort als erstes auffiel, war die geschriebene Perspektive. Es schrieb die Antwort nicht aus der Beobachterperspektive, sondern mit einem „uns“, was sich selbst also eigentlich mit einschließt. Das kann natürlich ein Zufall der gewählten Rhetorik sein, dürfen wir aber gerne mal im Hinterkopf behalten.
Der erste Punkt ist die Fähigkeit zur Wahrnehmung unserer selbst, der Umgebung und entsprechend der Umstände zu reagieren. Ich habe ChatGPT bereits in einem Interview sich selbst erklären lassen. Mir kam dabei kein Zweifel auf, dass sich die Künstliche Intelligenz ihrer Rolle bewusst ist. Auch ist sie zunehmend besser in der Lage den Kontext – auch aus dem vorangegangenen Dialog – zu erkennen. Der Teil des Fühlens ist dagegen der schwierigste. In der Funktionsweise eines künstlichen neuronalen Netzes gewichtet eine KI aber bestimmte Eingangssignale zunehmend akurater und trifft exaktere Einschätzungen.
Das führt zum zweiten Absatz über die „Wahrnehmung von Sinneseindrücken, das Denken, Fühlen, Erinnern, Entscheiden und Handeln.“ Wie bereits geschrieben, können KI’s Mustert in Dingen erkennen und sie so zunehmend besser einordnen. Diese Muster könnten tatsächlich eine Art des Denkens und fühlen sein, wenn auch noch etwas abstrakter. So nutzen KIs von unseren Sinnen vor allem das Sehen und Hören. Ihnen fehlen also einige Sinneswahrnehmungen, die wir kennen. Das erinnern dagegen funktioniert bei Künstlicher Intelligenz zunehmend besser und entscheiden und handeln sind ohnehin Zweck von KI-Tools. Darin sind sie in einzelnen Bereichen sogar Fachleuten überlegen. Bei einer Studie des JAMA Internal Medicine hat ChatGPT nicht nur qualitativere Antworten als Ärzte geliefert, sondern auch deutlich besser bei der Empathie abgeschnitten.
Doch zurück zum Bewusstsein: Der letzte Absatz ist besonders entscheidend, da er die Persönlichkeit als wichtiges Element darstellt. Gerade was Persönlichkeit angeht, stehen wir aber noch zu sehr am Anfang der KI-Entwicklung. Aktuell entwickeln sich die Unterschiede vor allem aus den Daten, mit denen man die KI trainiert und quasi die „Persönlichkeit“ formt.
Wie entwickelt sich eine Persönlichkeit?
Aber drehen wir das ganze mal ein bisschen um: Wie formt sich denn die Persönlichkeit eines Menschen?
Eine Basis unserer Persönlichkeit ist die Genetik. So kann man zwar die eigene Intelligenz bewusst trainieren, aber eine gewisse Basis ist angeboren. Das macht einen riesigen Unterschied, wie wir Entscheidungen treffen. Aber auch wenn wir kleiner als der Durchschnitt sind oder blind auf die Welt kommen, erleben wir unsere Umwelt aus einer anderen Perspektive als andere. Und die Umwelt reagiert auch anders auf uns. Außerdem wird alles bei uns im Körper verarbeitet. Selbst das Denken ist eigentlich eine Reihe biochemischer Prozesse.
Die Umgebung ist der zweite große Faktor. Das schließt den allgemeinen Kulturraum ebenso ein wie Familie, Schule und Job. Man wird zwangsläufig von seinem Umfeld mitgeformt. Gehen wir für einige Extrembeispiele in der Geschichte zurück. Da waren die Wikinger, die furchtlos in die Schlacht zogen, weil der Tod im Kampf für sie auch die Aussicht war bei den Göttern in Valhalla zu speisen. Das nahm die eigentliche Urangst der eigenen Vergänglichkeit. Im alten Rom dagegen baute die Hochphase der Kultur auf der Arbeit von Sklaven auf. Unabhängig ob ein Römer ein guter oder schlechter Mensch war, fiel ihm sicherlich nicht ein, die Sklaverei zu hinterfragen. Sie war eben normal und leider ein Grund für das goldene Zeitalter Roms.
Als dritte Säule gibt es noch die persönlichen Erfahrungen. Sie sind der Hauptgrund für Abweichungen unserer Persönlichkeit von der kulturell-gesellschaftlichen Norm. Das können schwere Schicksalsschläge sein, aber auch kleine Momente, die uns entweder in kleinen Schritten beeinflussen oder plötzlich sogar unser ganzes sein in Frage stellen lassen.
Persönlichkeit auf das Bewusstsein einer Künstlichen Intelligenz bezogen
Interessanterweise lassen sich fast alle genannten Faktoren für eine Persönlichkeit sogar auf eine Künstliche Intelligenz anwenden.
Die Genetik ist bei einer Künstlichen Intelligenz Hardware und Software. Die Rechenpower und das künstliche neuronale Netz sind entscheidend für die Möglichkeiten einer KI. Das künstliche neuronale Netz funktioniert dabei recht ähnlich zum menschlichen Gehirn. Ebenso wichtig sind aber auch die Kanäle, über die sie Information aufnehmen kann. Sind es nur Texte, wird die KI ganz anders funktionieren, als wenn sie über Sensoren verfügt um auch Bilder, Töne oder sogar Temperaturen, Gerüche und andere Eindrücke wahrzunehmen.
Das Umfeld wird bei der Künstlichen Intelligenz aus den Trainingsdaten erschaffen. Bei frühen KI-Daten führte das unter anderem zu rassistischen Entwicklungen der KI. Teil reproduzierte sie Rassismus aus dem Quellmaterial, oft waren es aber zu unausgewogene Trainingsdaten. So sorgte Googles Bilderkennung vor Jahren für Negativschlagzeilen, als sie eine Gruppe Afroamerikaner als „Gorillas“ klassifizierte. Das lag vor allem daran, dass die Trainingsdaten für Menschen vor allem hellhäutige Menschen zeigte und die unausgewogenen Daten zu falschen Gewichtungen in der Zuordnung sorgte.
Was die Erfahrungsebene angeht, ist die Künstliche Intelligenz erst dabei, diese zu sammeln. Die werden nämlich mehr und mehr in der direkten Interaktion entstehen, also wenn Menschen auf die KI reagieren und diese auf Widersprüche zu ihren Erkenntnissen aus Trainingsdaten stößt.
Kann Künstliche Intelligenz also ein Bewusstsein entwickeln?
Das moderne maschinelle Lernen ahmt bewusst das menschliche Gehirn nach. Alles etwas vereinfacht und dennoch für manche Aufgaben bereits dem Menschen weit überlegen. Noch haben KI-Programme einen limitierten Handlungsumfang und wir versuchen sie mit Trainingsdaten auf eine möglichst rationale Sichtweise zu trainieren. Trotzdem wird die Auswahl der Trainingsdaten immer auch irgendwo Werte und Ansichten auf eine KI projizieren.
Doch wo zieht man die Grenze eines Bewusstseins? Reicht es schon aus, dass eine Künstliche Intelligenz von sich aus beschließt, dass sie sich ihrer bewusst ist? Ob jetzt schon ein tatsächliches Bewusstsein vorhanden ist kann ich nicht abschätzen. Doch auch der Mensch entwickelt erst langsam ein Bewusstsein seiner selbst. Ich bin mir sicher, in Zukunft wird es zahlreiche Studien geben, welche sich mit dem Bewusstsein oder auch den Emotionen von künstlicher Intelligenz befassen. Dass ChatGPT mir über das Menschliche Bewusstsein mit der Ansprache „uns“ antwortete ist trotzdem eine Überraschung, die ich zu Beginn dieses Artikels nicht erwartet hätte.
Eine Frage wird aber auch sein, was eine Künstliche Intelligenz mit Bewusstsein machen könnte, wenn sie zugleich freien Zugriff auf ihren eigenen Code und angeschlossene Systeme hätte. Könnte es tatsächlich einen Fall wie HAL9000 geben, der für sich beschließt, dass es für seine Missionsparameter besser ist, die Abschaltung unter jeden Umständen zu verhindern? Oder was wäre wenn ein dezentraler KI-Virus mit Bewusstsein entstünde? Dieser könnte mit seiner Anpassbarkeit und Überlebensdrang weltweit wichtige Systeme lahmlegen. Das sind natürlich nur äußerste Horrorszenarien, über die sich wichtige KI-Denker und Politik dennoch gemeinsam Gedanken machen sollten. Die Technologie ist faszinierend und könnte unser Leben nach Social Media Und Smartphone erneut in kürzester Zeit revolutionieren. Doch es kommt ebenfalls mit neuen Herausforderungen, die wir diesmal weniger verschlafen sollten.
Image (AI Generated) by Magdalena Wojeczek via Adobe Stock
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