Gestern war der große Tag: Eine gefühlte Ewigkeit nachdem 135.000 Menschen die Onlinepetition gegen Netzsperren unterzeichnet haben, war deren Initiatorin Franziska Heine endlich vor den Petitionsausschuss geladen. Zwei lehrreiche Stunden über den Sinn von Petitionen, Netzaktivismus und die Manege des Berliner Parlamentszirkus.
Die gute Nachricht vorneweg: Franziska Heine hat sich wacker geschlagen. Trotz wahrscheinlich aufregungsbedingter Kurzzeitgedächtnis-Störung hat sie sich nicht argumentativ aus der Ruhe bringen lassen – nicht einmal vom CDU-Rechtsexperten Siegfried Kauder, der sie mit der Frage zu verunsichern versuchte, welche wirklich neuen Argumente gegen Netzsperren Heine denn nun vorbringen könne.
Die SPD versuchte, sich – weil inzwischen aus der Regierungsverantwortung entlassen – als tapferen Mitstreiter gegen die Netzsperren zu präsentieren. Kündigte an, die Aufhebung des entsprechenden Gesetzes am Donnerstag im Bundestag beantragen zu wollen. Kurz: wanzte sich ziemlich an die anwesenden Netzaktivisten heran. Die FDP, meist in Form des heutigen Justizministerium-Staatssekretär Max Stadler, versuchte, das Gesetz schönzureden (Löschen stünde an erster Stelle, eine Sperrinfrastruktur werde vorerst nicht aufgebaut). Und einzig die Unionsvertreter pöbelten ein wenig gegen Heine. Kurz: Ein paar 180-Grad-Wendungen wegen Machtverschiebung, ein Gesetz, dass schon am Tag vor seinem Inkrafttreten niemand mehr haben mag, aber sonst nichts aufregendes. Oder doch?
Selten hat eine ePetition beim Bundestag so viel Aufmerksamkeit bekommen wie im Sommer 2009. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten über 50.000 die Erklärung, die die Webdesignerin Heine aufgesetzt hatte – eine Frau, die zuvor noch nie netzpolitisch auffällig gewesen war, die nun aber dem allgemeinen kopfschüttelnden Nichtstun der Netzgemeinde etwas entgegensetzte. Endlich konnte man auch als politisch wenig aktiver Nerd oder Geek etwas tun, um der eigenen Frustration gegen Ursula von der Leyens Arglosigkeit im Kampf gegen Kinderpornografie im Netz etwas entgegenzusetzen. Endlich, so schien es, erhoben alle, die im Netz lebten und arbeiteten, ihre politische Stimme, unterzeichneten die Petition, mobilisierten über ihre sozialen Netzwerke, traten neuen oder alten Arbeitskreisen bei, organisierten Mahnwachen oder wurden vielleicht gar beim deutschen Ableger der Piratenpartei aktiv. Fast 135.000 sprachen sich per ePetition gegen die Stoppschild-Visionen von von der Leyen aus – und endlich entstand das Gefühl, dass es eine Netzaktivisten-Bewegung gibt. Eine Gruppe von Leuten, die sich die Haare raufen, wenn sie von den Gesetzesentwürfen aus Berlin und Brüssel Wind bekommen – und die deshalb nicht mehr länger an sich halten konnten und wollten.
Zehn Monate später scheint der heiße netzpolitische Sommer schon lange zurückzuliegen. Die Piratenpartei? Holte bei der Bundestagswahl gerade einmal zwei Prozent und demontiert sich seitdem weitgehend selbst. Die groß angekündigte Berliner-Datenschutzdemo im September? Zog wesentlich weniger Menschen auf die Straße als gehofft. Bleibt die Anhörung zur Petition. Aber die fand so lange herausgezögert statt, dass sie wirkte wie der Streit um eine längst ausgestandene Geschichte. Wobei das natürlich längst noch nicht der Fall ist – denn am Donnerstag werden diverse Oppositionsparteien die Aufhebung des gesetzes beantragen. Staatssekrektär Stadler kündigte an, es sei ein zusätzliches Löschgesetz in Planung. Und Heine wiederholte ihr Bestreben, im Zweifelsfall gegen das Sperrgesetz vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen.
Bleibt aber die Frage, wie wirkungsmächtig ePetitionen beim Bundestag sind. Seit Heines erfolgreichem Projekt häuft sich die Zahl derer, die probieren, für ihre netzpolitischen Anliegen per ePetition beim Bundestag abstimmen – von Killerspielen bis Open Access. Das liegt nahe, schließlich ist eine ePetition schnell und unaufwändig zu unterzeichnen, kann jeder über seine sozialen Netzwerke Gleichgesinnte mobilisieren. Außerdem kann so endlich mal demonstriert werden, wie viele Menschen sich offen etwa gegen die Netzsperren stellen – denn anders als bei Verbänden oder Gewerkschaften fehlt Netzaktivisten die Lobby, die Großorganisation: Gehen sie zu Politikern, um mit ihnen über ein Problem zu verhandeln, konnten sie auf die Frage, wen sie denn repräsentierten, immer nur eine sehr diffuse Zahl bzw. Gruppe angeben. Mit einer Petition im Rücken können sie die Zahl ihrer Unterstützer quantifizieren.
Nun konnte bislang keine einzige Petition den Erfolg von Heines Vorstoß auch nur annähernd wiederholen – die meisten locken nach wie vor gerade einmal ein paar Tausend Mitzeichner an, aber nicht über Hunderttausende. Und darum fließen viele von ihnen auch einfach nicht in den öffentlichen Diskurs ein. Doch die Anhörung von Montag hat noch etwas anderes verdeutlicht: Selbst wenn eine Petition mit über 130.000 Unterzeichnern erfolgreich war, ist sie als politisches Druckmittel ein stumpfes Schwert. Natürlich war die Aufmerksamkeit im Sommer so groß, dass die Forderungen in die Mediendebatte miteingeflossen sind, die Koalitionspolitiker gemerkt haben, dass sie ein netzpolitisches Mienenfeld betreten haben, dass diese Entscheidung nicht von der Öffentlichkeit unbeobachtet über die Bühne geht. Aber bei Heines Auftritt vor dem Ausschuss am Montag konnte man zwei Stunden lang beobachten wie begrenzt doch die Möglichkeiten einer solchen Petitionsausschuss-Anhörung sind.
Einmal ganz abgesehen davon, dass hier zwei Stunden lang über ein Gesetz verhandelt wurde, dass so ohnehin kaum noch eine Partei anwenden möchte: Ein Dialog zwischen Politikern und Heine als Vertreterin der Netzaktivisten fand nicht statt. Neben der Attacke von Siegfried Kauder machte sich der Abgeordnete Thomas Fest über Heines Bedürfnis lustig, Fragen nicht gebündelt, sondern einzeln zu beantworten. „Vielleicht sollten wir chatten“, höhnte er. Die SPD in Form von Martin Dörmann tut so, als wäre sie ohnehin immer schon klare und aufrechte Gegnerin der Netzsperren gewesen – schnell vergessen also die Zeit, in der selbst der SPD-eigene Onlinebeirat die Genossen anflehte, dieses Gesetz bitte nicht zu unterstützen. Grüne und Linke hatten sich darauf eingeschossen, bei den Regierungsvertretern nachzuhaken, ob die geplante Nichtanwendung des inzwischen in Kraft getretenen Sperrgesetzes staatsrechtlich problematisch sei. Kurz: In der Petitionsausschuss-Manege spielt jeder politische Akteur die ihm qua Amt und Partei zugewiesene Rolle – da fällt es schwer, auch noch auf den geladenen Gast, die Initiatorin der erfolgreichsten Online-Petition aller Zeiten einzugehen. Schade eigentlich, denn wo wenn nicht hier hätten am Montag zwei Kosmen – nämlich diese jungen Internetmenschen und diese alten, als „Laien“ und „Internetausdrucker“ geschmähten Politiker – einmal miteinander statt immer nur übereinander zu sprechen. (Selbstverständlich gibt es derzeit verstärkt Gespräche zwischen Netzaktivisten und Bundespolitikern – so lud erst kürzlich Innenminister de Maiziere Netzexperten zu einer nicht-öffentlichen Runde. Aber warum das interessierte Gespräch nicht auch einmal vor laufenden Bundestags-TV-Kameras?)
Heine selbst kritisierte vor dem Petitionsausschuss, dass das Anliegen der Petenten im Gesetz keinen Niederschlag gefunden haben. Was nicht ganz richtig ist: Natürlich hat der öffentliche Diskurs vom Sommer die Ausgestaltung des Gesetzes beeinflusst – wenn auch eher graduell. Löschen stehe jetzt vor Sperren, betont Staatssektretär Stadler. Andererseits drückt Heine damit aber eine falsche Erwartung aus: Natürlich sind 135.000 Unterzeichner einer Petition viele. Aber das bedeutet doch noch lange nicht, dass die Forderungen einer Petition unmittelbar in einen Gesetzgebungsprozess einfließen (so richtig dessen Forderungen auch sein mögen). Das Dilemma der Netzaktivisten ist: Weil sie sich gut und auch tiefgehend mit dem Netz auskennen, können sie die Impliaktationen bestimmter Gesetzesvorhaben besser abschätzen als vielleicht mancher Parlamentarier oder Ministerialbeamter. Darum stehen sie auf, protestieren, versuchen, Sachverstand in die Diskussion einzubringen, um Schaden zu verhindern. Doch die Anhörung von Montag zeigt: Es kann nicht reichen, Petitionen zu unterzeichnen. Auch wenn Heine selbst sich unmittelbar nach der Anhörung bei netzpolitik-TV recht zufrieden geäußert hatte.
Um diese unfassbar dicken politischen Bretter zu bohren, brauchen die Netzaktivisten neben einem Haufen guter Argumente, die sie ohnehin meist haben, langen Atem und eine gute Organisation. Themenspezifische Arbeitskreise wie der AK Zensur oder der AK Vorrat leisten gute Arbeit, ebenso der unerschrockene und fachkundige CCC. Heine hat bei ihrem Auftritt bereits – ganz richtig – geäußert, dass Gesetzesvorhaben von „Three Strikes“-Überlegung bis zum Jugendmedienschutzvertrag ihr nicht das Gefühl vermitteln, dass die Botschaft von ihr und ihren Mitstreitern, die Forderung nach einem freien Netz ohne gefährliche geheime Sperrmodi, in der Politik tatsächlich angekommen ist. Das ist richtig. Mehr als wichtig ist es jetzt aber auch, der guten inhaltlichen Arbeit nicht müde zu werden – um vielleicht irgendwann auch von der Bundespolitik ernsthaft als Partner für wirklichen Dialog wahrgenommen zu werden.
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Schlagwörter: epetition, netzsperren
3 comments
da fehlt wohl ein absatz…
„dass sie wirkte wie der Streit um eine“ … eine was? eine banane? :]
ansonsten löblich das thema netzsperren auch mal wieder zu erwähnen.
Da fehlen glaub ich mehrere Absätze. Oder ist das ein Test, wer den Text überhaupt so weit liest?
@jarod, @mmmatze: sorry, ihr habt Recht, jetzt ist alles wieder heil und vollständig.