Betreiber von Internetportalen als auch Foren können einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zufolge für beleidigende Kommentare ihrer Nutzer zur vollen Verantwortung gezogen werden. Der EGMR wies am 10. Oktober erstmals in einem solchen Fall die Klage eines großen News-Portals aus Estland zurück. Laut dem Straßburger Urteil ist die Wahrung der Persönlichkeitsrechte im Vergleich zur Meinungsfreiheit vorrangig zu behandeln. Auch der Fall eines Forums aus Wurzbach am Rande des thüringischen Frankenwaldes wird wohl den Weg bis hinauf in die höchste deutsche Instanz nehmen. Die Chancen des verklagten Administrators stehen dabei eher schlecht.
Es war einmal. So fangen seit Menschengedenken alle guten Geschichten an. Es begab sich also eines schönen Tages, dass sich die leitenden Mitarbeiter einer Hamburger Kanzlei an den Ausführungen eines Anti-Abmahnforums aus Thüringen störten. Bereits Anfang April bemängelte man per E-Mail, dass ein Bereich des Forums sogar den Namen der Kanzlei trägt. Nachdem es zu keiner Einigung kam, erfolgte eine Abmahnung gegen den Betreiber des Forums, Steffen Heintsch. Pikanterweise vertrat sich die Rechtsanwaltskanzlei in diesem Streitfall anfangs selbst und legte den Gegenstandswert auf 25.000 Euro fest. 1.049,00 Euro wurden laut Kostennote fällig. Weil sich der Betroffene wehrte, wurde per Eilverfahren vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung (EV) gegen Herrn Heintsch erwirkt. Eine weitere sollte noch folgen.
Webseitenbetreiber sind haftbar, selbst wenn sie nichts getan haben
Jeder Blogger weiß, dass man laut Telemediengesetz (TMG) für die Inhalte seiner Website geradestehen muss. Genau deswegen sieht die Impressumspflicht laut TMG vor, dass es überall im deutschen Web eine ladungsfähige Adresse des Betreibers geben muss. Der EGMR bestätigte am 10. Oktober in einem Urteil, dass die Betreiber von Webseiten auch in vollem Umfang für die Beleidigungen ihrer Nutzer haftbar gemacht werden können. Im vorliegenden Fall muss die Betreibergesellschaft des estländischen Portals eine Geldstrafe wegen anonym ausgesprochener Drohungen und Beleidigungen zahlen. Noch kann gegen das Straßburger Urteil des EGMR Einspruch erhoben werden. Erst nach Ablauf der Frist ist es rechtskräftig.
Leider wurde in Straßburg ein Fall verhandelt, der sich tagtäglich überall im Web wiederholt. Manche Menschen neigen offenbar dazu, sich hinter ihrem Pseudonym regelrecht zu verstecken. Auf der Straße würden sie so wohl niemals mit ihren Mitmenschen umgehen. Kaum sitzen sie am PC und ihre Identität ist geschützt, verlieren sie ihre guten Manieren und ihren Anstand. Leider denken viel zu wenig Nutzer darüber nach, dass bei ihren anonymen Postings ein Dritter seinen Kopf für ihre Beleidigungen hinhalten muss. Werden Aussagen wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts von einem Moderator gelöscht, ist schnell von Zensur die Rede. Im Internet gelten aber die gleichen Regeln wie im echten Leben. Dort werden nicht nur, wie vor dem EGMR verhandelt, die Betreiber von Fährschiffen diffamiert, sondern wirklich jedermann. So auch Firmen und deren Rechtsanwaltskanzleien, die Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen verschicken.
Die Angst um den guten Ruf
Obwohl die Hamburger Kanzlei Schulenberg & Schenk Rechtsanwälte GbR (S & S) in der Vergangenheit nachweislich für mindestens 22 verschiedene Auftraggeber der Erotikbranche Abmahnungen verschickte, wollte man im Forum der Abmahnwahn-Dreipage nicht als Abmahnkanzlei bezeichnet werden. Zumindest der Vorwurf der Rufschädigung musste vor dem Berliner Landgericht nicht verhandelt werden. Im Gegensatz zur kostenpflichtigen Abmahnung verzichtete der Kläger vor Gericht auf diesen Punkt.
Ferner wurde Betreiber Steffen Heintsch vorgeworfen, man habe auf den eigenen Seiten eine Rechtsberatung durchgeführt. Ein anonymer Nutzer hatte sich erkundigt, ob eine Abmahnung von S & S schon verjährt sei, oder er die Mahnung eines Inkassobüros noch begleichen müsse. Das ging den Anwälten von der Außenalster dann doch zu weit. Allgemeine Informationen zu juristischen Zusammenhängen seien durchaus okay. Aber die Fragen eines Nutzers in Bezug auf einen konkreten Fall hätte man dort nicht beantworten dürfen. Das Problem: Mit Antworten auf juristische Fragestellungen muss man hierzulande sehr vorsichtig sein. Eine Rechtsberatung dürfen in Deutschland nur Juristen durchführen. Dafür braucht es eine Erlaubnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz, die Heintsch & Co. selbstredend nicht erteilt wurde.
Doch S & S hatte noch mehr Patronen im Gürtel. Dem Watchdog der Abmahner aus der thüringischen Kleinstadt wurde in der Einstweiligen Verfügung vorgeworfen, er habe gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen. Als Betreiber des Forums sei er in direkte Konkurrenz zu diversen Rechtsanwaltskanzleien getreten. Diesen Punkt lehnte das LG Berlin in seinem Urteil vom 30.8.2013 aber ab. Eine geschäftliche Handlung liege nicht vor, weil mit dem kostenlosen Forum keinerlei Umsätze erzielt wurden. Zwar wird dort für mehrere Anwälte geworben, diese gaben aber im Vorfeld zu Protokoll, dass ihre Werbung ohne jegliche Gegenleistung erfolgte. Wer sein Wissen verschenkt, kann zumindest nicht gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen.
Der vermeintliche Verstoß des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hatte zudem einige kundige Beobachter erstaunt. Wenn sich ein Jurist, der regelmäßig gegen Bezahlung Filesharer vertritt, an der kostenlosen Konkurrenz aus dem Web stört, so würde das wohl kaum jemanden verwundern. Jeder kann aber mithilfe der Suchmaschinen in wenigen Sekunden herausfinden, dass S & S in vielen Fällen die Gegenseite vertreten hat. Von daher ist fraglich, ob sich ein Betroffener ausgerechnet eine Kanzlei aussuchen würde, die häufig im Auftrag der abmahnenden Rechteinhaber tätig war. Offenbar ist man vor Gericht zu einem ganz ähnlichen Ergebnis gekommen, weswegen dieser Vorwurf vom LG abgelehnt wurde. Die einstweilige Verfügung wegen der unerlaubten Rechtsberatung bleibt aber bestehen.
Ende aus, Mickey Mouse?
Noch lange nicht. Obwohl eigentlich kein Grund zur Eile vorlag, wurde eine weitere Einstweilige Verfügung (97 O 75/13 ) vor dem Landgericht Berlin erwirkt. Erneut ging es dabei um den Verstoß gegen das UWG und die Rolle des Forums als Mitwettbewerber. Auch störte man sich an der Berichterstattung von Steffen Heintsch. Dieser hatte das Urteil der Berliner Richter in seinem Blog öffentlich als „Schmarrn“ bezeichnet. Dies ist nach Auffassung des Klägers eine „unzulässige Herabsetzung“ der Kanzlei, obwohl die Handlungen von S & S nicht Gegenstand des Blogbeitrages waren, sondern die Berliner Landesrichter.
Gegen den Ausgang der ersten EV (Az 103 O 60/13 ) will Steffen Heintsch notfalls bis zur höchsten Instanz gehen. Er will ein für allemal klären, ob man sich in Deutschland nach gültigem Recht den Mund verbieten lassen darf. Auch bezweifelt Heintsch in beiden Fällen, dass tatsächlich eine Eilbedürftigkeit vorlag. Eine einstweilige Verfügung wird vor Gericht nur in besonders dringenden Fällen eingereicht.
Die Lösung wäre so naheliegend, oder etwa nicht?
Rechtlich gesehen kommt es auf das Gleiche heraus, ob die Betreibergesellschaft eines großen estländischen Nachrichtenportals oder eine Privatperson aus Thüringen belangt wird. Die Urteile in Straßburg und Berlin sollen vielmehr eines klarstellen: Wer anonyme Meinungsäußerungen Dritter auf seiner Internet-Plattform ermöglicht, muss dafür geradestehen. Die naheliegende Lösung wäre es also, die Server dorthin zu verlegen, wo derartige Gesetze erst gar nicht existieren. Doch genau das will Steffen Heintsch nicht. Wenn überhaupt, will er das Forum ganz offiziell unter seinem Namen auf deutschem Boden betreiben. Von einem Versteckspiel hält er nichts.
Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen?
Die Berichte einiger Filesharing-Anwälte lassen das Verfahren nun in einem ganz neuen Licht erstrahlen: Die Rechtsanwälte Stepahn R. Schulenberg LL.M. Eur und Andre Schenk LL.M. Eur. firmieren nämlich jetzt auch unter dem Namen Kanzlei c-Law GbR (©-Law GbR). Die kürzlich aufgetauchten Abmahnungen der c-Law GbR sind mit den früheren Schreiben der Kanzlei S & S identisch. In Hamburg hat offenbar eine strikte Trennung zwischen den Pornoabmahnungen und den sonstigen Tätigkeiten stattgefunden. Die c-Law GbR konzentriert sich seit ihrer Gründung offenbar voll und ganz auf die Verteidigung von Werken, wie „Voll in den Arsch – Teil 2“, „Meli schluckt zum 1. Mal“ und vergleichbare Filmwerke. S & S verfolgt andere Rechtsverletzungen, bei denen keine negative Berichterstattung zu erwarten ist. Fachanwalt Jan Gerth bezeichnet den Vorgang als Anwaltsoutsourcing: „Das Spiel mit der Namensänderung oder besser Namensanpassung ist nicht neu. Schon der Rechtsanwalt Peter Nümann hatte in der Mitte des Jahres das Abmahngeschäft von der Kanzlei Nümann & Lang aus Karlsruhe auf die Kanzlei Copyright Defense Rechtsanwälte, kurz CODE Rechtsanwälte GbR verlagert. Davor hatten schon die Rechtsanwälte Frederick Bockslaff und Jacob Scheffen zwei Kanzleinamen etabliert. Einen für das einträgliche aber wenig angesehene Abmahngeschäft: Nimrod Rechtsanwälte Bockslaff & Scheffen Rechtsanwälte GbR und einmal die seriöse Verismo Legal Rechtsanwälte Bockslaff Scheffen GbR.“
Diverse Anwälte dürften sich gefreut haben, als das Moderatoren-Team von gulli.com im Januar 2013 den Abmahn-Laberthread schloss. Auch der zweite große Treffpunkt für Abgemahnte wurde nach dem Eingang mehrerer Schreiben von netzwelt.de abrupt entfernt. Hier reichte die Schließung offenbar nicht aus, alle Inhalte dieses Bereichs wurden einfach ohne Vorwarnung gelöscht. Diverse Links zu Anleitungen im Umgang mit den kostenpflichtigen Schreiben führen jetzt ins Nirwana. Ein netzwelt-User mutmaßt, die vielen hilfreichen Informationen könnten für einen bestimmten Personenkreis „ein Dorn im Auge sein“.
Seit der Löschung gibt es mit Ausnahme der Anwälte nur noch einen großen Anbieter, der vollumfänglich und unzensiert über derartige Neuerungen berichtet: die Abmahnwahn-Dreipage. Und auch das möglicherweise nur noch so lange, bis die Verfahren vor höchster Instanz zu einem Ende gekommen sind. Ein lukratives Vergleichsangebot wurden von Steffen Heintsch, der als eher stur und unbelehrbar gilt, bis dato abgelehnt. Er will sich nicht einigen. Er will endlich wissen, was Recht und Unrecht ist.
Dumm ist nur, dass ihn kein Netz vor einem Sturz in den finanziellen Abgrund retten würde. Gut laufende Kanzleien haben sich im Laufe der Jahre eine finanzielle „Kriegskasse“ erarbeitet, die sie für Grundsatzentscheidungen in Anspruch nehmen können. Dieses Glück hatte der Forenbetreiber aus Wurzbach nicht. Im schlimmsten Fall kommen auf ihn Kosten von 8.000 Euro und mehr zu. Heintsch kommentiert: „Ich werde jedenfalls diesen Rechtsstreit mit meinem Rechtsanwalt, bis zum bitteren Ende ausfechten. Und wenn ich sprichwörtlich Wasser trinke und trocken Brot esse bzw. Privatinsolvenz beantragen muss! Das mache ich für mich, für den Kampf gegen die Auswüchse des Abmahnwahn und für alle Engagierten und Hilfesuchenden. Sicherlich muss ich nicht erwähnen das hierzu keine Spenden ins Leben gerufen, noch irgendwelche Spendengelder angenommen werden. @anschi hat schon Recht, es ist meine Dummheit als Forenbetreiber und mein ureigenes Problem!“
Image (adapted) „Justitia“ by Markus Daams (CC BY 2.0)
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Schlagwörter: Abmahnungen, Abmahnwirtschaft, forenhaftung, forum, gerichtshof, Kommentar, kritik, Menschenrechte, urteil, webseitenbetreiber
3 comments
Da bekommt man es beim lesen ja mit der Angst zu tun.
Schon irgendwie zynisch,daß ein Herr Heintsch damals dafür kämpfte, daß er sich den Mund nicht verbieten lassen und, andererseits in seinem Forum aber selbst genau DAS mit Usern macht, die nicht die gleiche Meinung vertreten wie Herr Heintsch selbst. Diese User werden nämlich von ihm ruckzuck gesperrt,die Beiträge gelöscht. Soviel zum Thema „Meinungsfreiheit ala Heintsch“: