Sexismus-Skandal bei Activision Blizzard stürmt weiter

Die Videospiel-Branche hat ein Problem. Und zwar ein gravierendes. In letzter Zeit fällt sie nicht mehr durch atemberaubende Spiele auf, sondern viel mehr durch Skandale im Umgang mit Mitarbeiter*Innen. Diesmal ist Activision Blizzard im Fokus des Shitstorms. Das in Santa Monica befindliche Studio wird nämlich vom Staat Kalifornien angeklagt. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, seine Mitarbeiterinnen nicht vor sexuellen Übergriffen geschützt und grundsätzlich gegen die Gleichberechtigungsgesetze verstoßen zu haben.

Schwere Vorwürfe, die das California Department of Fair Employment and Housing (DFEH) erhebt, doch die kommen nicht von ungefähr. Über zwei Jahre gab es interne Ermittlungen des DFEH bei Activision Blizzard. Dabei wurden verstörende Praxen und Verhaltensweisen der männlichen Mitarbeiter zu Tage gefördert. Die waren laut DFEH bis in die Führungsetagen bekannt und trotzdem wurde nicht adäquat reagiert oder es wurde sogar ignoriert.

Nun gibt es einen Boykott der Produkte der Firma und auf Social Media melden sich tausende Betroffene aus der Videospiel-Industrie selbst zu Wort. Denn den meisten Beschäftigten scheinen Erfahrungen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nicht neu zu sein. Dadurch offenbart die Gaming-Industrie der Öffentlichkeit ein hässliches Gesicht, das so allerdings schon seit ihren Anfängen existiert, nun aber zumindest teils auch an die Öffentlichkeit dringt. Doch wie begründen sich die Anschuldigungen, was ist mit den Betroffenen selbst und wie reagiert Activision Blizzard auf die Anklage(n)?

Was wirft die Staatsanwaltschaft Activision Blizzard vor?

Am 20. Juli reicht die DFEH ihre Klage beim kalifornischen Amtsgericht ein und löst damit eine Schockwelle für das Unternehmen aus. In ihrer Anklage überschlagen sich die Vorwürfe. Dazu gehören u.a. sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und sexistische Äußerungen über Vergewaltigungen als „Scherz“ gegenüber weiblichen Mitarbeiterinnen. Außerdem ungerechte Behandlung von Frauen auf Vergütungsebene, sowie ungerechte Verteilung von Spitzenpositionen an fast ausschließlich Männer. Zusätzlich kam es zur Diskriminierung nach Hautfarbe und Geschlecht ohne Rücksicht auf Qualifikationen. Bei Activision Blizzard sind wohl auch betrunkene Kollegen, die ihre Arbeitszeit lieber zum Zocken nutzen und ihre Aufgaben an Kolleginnen abgeben ein gewohnter Anblick. Die Liste der Vorwürfe ist schockierend lang und schwer zu verdauen.

Eine weitere verstörende Praxis sind die sogenannten „Cube Crawls“, die regelmäßig in den Büros stattfinden. Dabei betrinken sich die Mitarbeiter von einem Schreibtisch zum nächsten – oder eher, kriechen dorthin. Wenn dabei eine Assistentin unangebracht unterm Tisch berührt wurde, soll das niemanden interessiert haben und Beschwerden über solches Verhalten führten eher zur Bestrafung des Opfers. Den traurigen Abschluss dieser Klage leistet der Vorwurf, dass eine Mitarbeiterin des Unternehmens sich aufgrund des Mobbings in der Firma bei einer Geschäftsreise das Leben nahm.

Wer ist Alex Afrasiabi?

Mittelpunkt der Untersuchung war der ehemalige Chef-Kreative für Word of Warcraft Alex Afrasiabi. Der seit 2004 beschäftigte Entwickler habe mehrfach unerlaubt Frauen und Mitarbeiterinnen angefasst und versucht, sie zu küssen. Darüber hinaus hat er viele herabwürdigend beleidigt und öfters versucht, sie mit auf sein Hotelzimmer zu nehmen. Im Fokus ist hier vor allem die BlizzCon 2013, bei der es zu vielen Vorwürfen kam. Das Hotelzimmer von Afrasiabi war damals intern als „Cosby-Suite“ bekannt, nach dem wegen Vergewaltigung verurteilten ehemaligen Fernsehstar Bill Cosby. Chat-Screenshots belegen die Absicht von Afrasiabi und Kollegen, Frauen für sexuelle Handlungen dorthin einzuladen. Mittlerweile sind auch neue Erkenntnisse zu Afrasiabis Abgang im Juni 2020 bekannt geworden. Dieser steht direkt mit der BlizzCon 2013 in Verbindung, da es interne Ermittlungen gab, die ergaben, dass „er sich gegenüber anderen Angestellten falsch verhalten hat.“ Doch leider kam dieses Eingeständnis erst Tage nach der ersten verheerenden Reaktion des Unternehmens.

Wie reagiert Activision Blizzard auf die Klage?

Und die Reaktion kam schnell. Sehr schnell. Nicht einmal 24 Stunden nach Bekanntwerden der Anklage veröffentlicht das Unternehmen ein Statement, in dem es alle Vorwürfe von sich weist. Die in der Anklage hervorgebrachten Anschuldigungen seien „verzerrt und in vielen Fällen falsche Beschreibungen der Vergangenheit von Blizzard.“ Activision Blizzard wirft der Behörde „unverantwortliche[s] Verhalten“ in der Kommunikation vor. Die Probleme, die während der Untersuchung hervorgetreten seien, wären nicht rechtzeitig mit Blizzard besprochen worden, um eine interne Verbesserung außerhalb eines Gerichtssaals möglich zu machen. Außerdem sei Blizzard „angewidert“ von der Behauptung, zwischen dem Selbstmord einer Mitarbeiterin bei einer Geschäftsreise und den Vorwürfen der sexuellen Belästigung sei eine Verbindung. Dies sei „unverantwortliche[s] Verhalten nicht zurechnungsfähiger Beamter“. Harte Worte. Und dabei beließen es die Verantwortlichen nicht.

CCO Fran Townsend sendet daraufhin eine interne Mail, in der sie die Anschuldigungen als „verzerrt und unwahr“ bezeichnet. Viele der Geschichten lägen schon über 10 Jahre zurück, seien „faktisch falsch und inkorrekt, alt und aus dem Kontext gerissen.“ Auch der CEO der Firma, J. Allen Brack, verschickt eine Mail an die Mitarbeiter*Innen. Darin versucht er zumindest, die Anschuldigungen ernst zu nehmen. Er empfinde sie als „extrem beunruhigend“ und versichert, dass es interne und notfalls auch externe Untersuchungen darüber geben wird. Gleichzeitigt will er sich mit vielen aus dem Unternehmen zusammensetzen, um eine Antwort darauf zu finden.

Wie reagieren die Betroffenen?

Doch die Betroffenen selbst sehen das ganz anders. Ein offener Brief der Belegschaft von Blizzard und Activision stellt sich aktiv gegen ihre Vorgesetzten. Darin kritisieren ehemalige und aktive Mitarbeiter*Innen besonders Fran Townsends Brief, da er die Sorgen der Betroffenen einfach wegwische und alle Vorwürfe als falsch darstelle. Dadurch würde eine Unternehmenskultur geschaffen, die Opfern nicht glaubt. Außerdem entstehe so ein schlechter Eindruck der Öffentlichkeit über das Unternehmen und dessen Umgang mit Diskriminierung und sexueller Belästigung. Der Brief hat mittlerweile über 3000 interne Unterschriften und beginnt mit einem Statement direkt für die Führungsebene: „Unsere Werte als Mitarbeiter spiegeln sich in den Worten und Handlungen unserer Führung nicht korrekt wider.“

Man kann den Betroffenen in dieser Angelegenheit wohl Glauben schenken. Denn die Zustimmung, die sie über alle Plattformen erhalten, ist überwältigend. Beispielsweise gibt es im WoW Subreddit tausende Kommentare, in denen ehemalige und aktive Beschäftigte ihre Erfahrungen teilen. Genauso ist es auf Twitter. Die Mitarbeiter*Innen riefen sogar zu einem Streik auf, einem „ActiBlizzWalkout“, den sie am 28. Juli mit mehreren hunderten Beteiligten vor dem Hauptgebäude von Blizzard austrugen. Die Unternehmensführung entschied recht kurzfristig, ihnen diese Streikzeit weiterhin zu bezahlen.

Zahlreiche Statements von ehemaligen Führungspersonal unterstreichen die Validität der Aussagen. So schrieb der Blizzard-Mitbegründer und jahrelange Chef Mike Morhaime „I hear you, I believe you, and I am so sorry to have let you down.”

Und der Diablo-Mitbegründer Mike Metzen schrieb ähnliches: „To all of you at Blizzard […] I offer you my very deepest apologies for the part I played in a culture that fostered harassment, inequality, and indifference.” Und es gibt unzählige weitere solcher Statements.

Wie reagiert die Öffentlichkeit?

Neben Anteilnahme auf Social Media und den unzähligen Erfahrungsberichten gibt es noch viele weitere Reaktionen. Streamer, die momentan Spiele von Activision Blizzard spielten, stellten Streams teilweise komplett ein oder boykottierten sie am Tag des ActiBlizzWalkout. News-Outlets stoppten jegliche Berichterstattung über Activision Blizzard, bis die Firma angemessen und glaubwürdig auf die Vorwürfe reagiert. Außerdem gab es noch einen Brief, doch diesmal von anderen Beschäftigten. Denn mindestens 500 Köpfe bei Ubisoft, die jüngst selbst einen Sexismus-Skandal erleben mussten, wollten sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen solidarisieren und veröffentlichten auch ein Statement. Darin unterstützen sie die Forderungen der Mitarbeiter*Innen bei Activision Blizzard nach einem Wechsel der Unternehmenskultur und des Umgangs mit weiblichen Mitarbeiterinnen und Randgruppen. Gleichzeitig prangern sie Ubisoft an, die sich seit des Öffentlichen Skandals nicht ausreichend genug für einen ebensolchen Wechsel einsetzten. Sie verlangen einen Kulturwandel in der Gaming-Industrie.

Ubisoft Sign
Da hilft kein Stroh mehr: Auch Ubisoft muss sich für schwere sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz verantworten. Image by MichaelVi via Adobe Stock.

Was gibt es für Konsequenzen für Activision Blizzard?

Die Konsequenzen folgten rasch. Da der öffentliche Druck enorm geworden war, mussten bereits einige führende Mitarbeiter ihren Hut ziehen. Darunter unter anderem Game Director für Diablo 4 und früher WoW Louis Barriga, Lead Level Designer für Diablo 3 und WoW-Erweiterungen Jesse McCree und Senior Game Designer für WoW Jonathan LeCraft. Allesamt sind schon über 15 Jahre bei Blizzard und es wird deutlich, dass besonders die WoW-Entwickler Dreck am Stecken haben. Dies bestätigt auch der Abgang des Präsidenten von Blizzard Entertainment J. Allen Brack. Seit 2006 in der Firma und seit 2019 Präsident, war er einer von zwei namentlich in dem Report genannten Personen. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, nicht genügend auf Beschwerden über unangemessenes Verhalten reagiert und Alex Afrasiabi nicht für sein bekanntes Verhalten bestraft zu haben.

Beinahe täglich kommt es nun zu Entlassungen. Auch aus dem Personalwesen wurden führende Mitarbeiter entfernt und Fren Townsend wurde ihre Position als Executive Sponsor of the ABK Employee Women’s Network aberkannt, wie in dem Mitarbeiter*Innenbrief gefordert. Die Führung des Unternehmens werden demnächst Jen Oneal und Mike Ybarra übernehmen. Zwei recht frische Gesichter, die wohl einen neuen Wind mit sich bringen sollen.

Was steht in der zweiten Anklage?

Doch damit nicht genug, nun muss sich Activision Blizzard auch auf eine zweite Klage gegen sich einstellen. Unzählige Investoren des börsennotierten Unternehmens haben sich in einer Sammelklage verbündet und Blizzard gezieltes Vorenthalten von Informationen bezüglich der Sexismus- und Diskriminierungsanschuldigungen vorgeworfen. Obwohl schon seit 2016 Vorfälle darüber im Unternehmen bekannt seien und seitdem kontinuierlich auftreten, wurden die Investoren in den Jahresabschlussberichten nicht darüber in Kenntnis gesetzt. Beziehungsweise schließen die Berichte mit der Einschätzung, dass interne Vorfälle keinen Einfluss auf die finanzielle Verfassung von Activision Blizzard haben werden. Seit der Klage vom DFEH ist die Aktie aber enorm abgestürzt. Die Unterschreiber der Berichte werden auch namentlich in der Anklage erwähnt, darunter der CEO Bobby Kotick.

Ob dies die letzte Meldung in diesem immer größer werdenden Fall ist, bleibt abzuwarten. Klar ist aber, Activision Blizzard hat ein Problem im Umgang mit Ihren Mitarbeiter*Innen. Und das trifft auf viele weitere Firmen in der Videospielbranche zu, Ubisoft und Riot Games mussten sich jüngst mit ähnlich gravierenden Vorwürfen auseinandersetzen. Zwar hat sich der Anteil von weiblichen Mitarbeiterinnen in der Branche in den letzten 20 Jahren stark erhöht, aber solange der Umgang der Männer mit ihren Kolleginnen nicht auf Augenhöhe geschieht, solange die Führungskräfte dies aktiv ignorieren und solange Frauen ungerecht in ihren Aufstiegschancen, in ihrer Bezahlung und in ihrem Alltag behandelt werden, ist diese Branche nicht dauerhaft zukunftsfähig und braucht einen strukturellen Wandel – am besten so früh wie möglich.


Image via Adobe Stock


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , , , ,