„Einfach mal Mensch sein“: Julian A. Kramer von Adobe über Kundenorientierung im Digital Marketing

Was soll man wie und wann ins Web oder in die App packen, damit der Nutzer klickt, liest, guckt, teilt oder gar kauft? In Zeiten, in denen keine Güter, Dienste oder Infos im engeren Sinn knapp sind, gewinnt das „Erlebnis“ an Bedeutung. Doch vielen Marken gelingt es noch nicht, im Digitalzeitalter ihren Kunden ein unwiderstehliches Markenerlebnis zu bieten. Meist liegt es daran, dass hinter den Kulissen Kreative, BWLer und die IT nicht an einem Strang ziehen, weiß Julian A. Kramer. Als neuer „Chief Experience Ambassador“ bei Adobe vermittelt er Unternehmen, wie ihr Knoten im „Digital Marketing“ platzen kann, wenn sich alle Abteilungen endlich mal zusammenraufen. Kundenorientierung ist das Schlüsselwort.

Julian A. Kramer, warum tun sich manche Firmen mit Digital Marketing leicht und andere so schwer?

Wirklich leicht fällt es ja keinem. Für „klassische Unternehmen“, also die, deren Geschäftsmodell nicht von Anfang an digital war, dürfte es beruhigend sein, dass alle erst Schritt für Schritt herausfinden, was im Bereich Digital Marketing geht. Manche sind schon ziemlich weit, aber Fragen und Hürden sind immer gleich. Wie gehen wir mit der Digitalisierung um? Was bringt uns eigentlich Kanal XY? Wie kriegen wir es hin, dass sich unsere Agenturen besser miteinander absprechen? Meist liegt es aber daran, dass die einzelnen Abteilungen innerhalb der eigenen Firma nicht an einem Strang ziehen. Auch die Welten von Kreation und Media scheinen häufig entkoppelt.

Wo ist das Problem? Denken Marketer nicht kreativ genug oder Kreative nicht datengetrieben bzw. performancebasiert genug?

Das ist gar nicht der Punkt. Man kann den meisten Kreativen ein Verständnis für wirtschaftliche Notwendigkeiten vermitteln und die meisten Marketingverantwortlichen sind im Anspruch auch kreativ, sonst wären sie ja im Controlling oder der Logistik gelandet. Es geht nicht um die Optimierung der ein oder anderen Funktionsabteilung. Das Silo-Denken ist das Problem. Viele reden einfach nicht miteinander und lassen zudem oft die IT außen vor – und dabei kommt dann nach allen Grabenkämpfen zu guter Letzt die Empathie für den Kunden als gemeinsamer Nenner verloren.

Du brauchst am Ende des Tages Leute, die Empathie haben und verstehen, wie man Erlebnisse kreiert. Dazu muss jeder verstehen, welchen Beitrag er dazu leistet. Ich möchte eine Analogie zum Filmset ziehen: Dort gibt es viele begnadete Spezialisten und manchmal auch Diven. Aber in der Regel wissen alle, wo sie verantwortlich sind, Mehrwert liefern und wann es sich zu arrangieren gilt. Denn ein guter Film ist niemals eine One-Man-Show. Und das gilt auch für das Markenerlebnis von Produkten und Dienstleistungen. Dort gibt es ebenfalls viele Spezialisten mit unterschiedlichen Interessen. Aber am Schluss geht es darum, ein gemeinsames Erlebnis zu liefern.

Kreation, Marketing und IT müssten sich also einfach mal offen an einen Tisch setzen? Warum tun sie das nicht?

Das ist in der Regel eine Leadership-Frage. Im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung müssten dafür Hoheitsgebiete neu gezogen werden, also Teams zusammengebracht werden, die vorher nie wirklich miteinander geredet haben. Weil niemand von allein seine Privilegien aufgibt, muss das die Führung von oben vorantreiben. Entscheidend ist auch die Art der Incentivierung. Nur in zig Meetings mehr Zusammenarbeit zu proklamieren, verpufft. Stattdessen führen Unternehmen idealerweise alle Silos zusammen und schaffen eine zentrale Technologie-Plattform, sodass alle eine gemeinsame Basis haben. In der Zeit von Big Data und Customer Centricity hilft es keinem, wenn die linke Hand nicht weiß, was die Rechte tut – dabei hilft eine gemeinsame Infrastruktur. Getreu dem Motto „Culture Follows Structure“.  Nur wenn die Nebenschauplätze mit ihren strukturellen Reibungsverlusten beseitigt sind, kann die Kundenorientierung im Vordergrund stehen. Und genau dieser unbedingte Fokus auf das Kundenerlebnis ist das A und O im Digital Marketing.

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Was zeichnet eigentlich Kundenorientierung im Digital Marketing aus?

Was am Ende beim Kunden als Eindruck ankommt, ist zwar immer subjektiv, aber es gibt ein paar Prinzipien, wie Unternehmen die Kundenorientierung forcieren können. Das wichtigste Prinzip ist „Context Awareness“. Damit meine ich eine mehrwertstiftende Personalisierung. Das heißt nicht, dass ich den Kunden detailliert kennen muss, sondern, dass das Erlebnis für mich als Endkunden in genau diesem Moment eine Bedeutung hat. Im Marketing spricht man gerne von „right person, right time, right message“. Dazu müssen Anbieter einfach mal aufhören zu senden und stattdessen Mensch sein und sich in den Kunden reinversetzen, verstehen wo er sich in seinem Entscheidungsprozess und Kommunikationsbedürfnis befindet und wie ich ihn da am besten abhole.

„Speed at Scale“ ist ein weiteres Prinzip. Damit ist ein Organisationsproblem gemeint. Wenn Unternehmen verschiedene Zielgruppen bedienen möchten, müssen sie in Millisekunden handlungsfähig sein. Der Kunde ist jetzt auf der Webseite und will eine Antwort oder eine Lösung. Dafür brauchen Firmen eine agile technische Infrastruktur, die eine Personalisierung im großen Stil automatisiert ermöglicht.

Das Prinzip der Integration dreht sich um das Zusammenführen von Informationssilos. Diesen Aspekt habe ich schon angerissen. Es ist kontraproduktiv, wenn jede Funktionsabteilung eine geschlossene Kommunikation betreibt und einen abgegrenzten Datenpool verwaltet. Nur wenn alle Puzzleteile auf einer technologischen Plattform gebündelt sind, und alle wissen, wie ihre jeweiligen KPIs auf ein Gesamtziel einzahlen, können alle Beteiligten an einem Strang ziehen.

„Focused Innovation“ ist schließlich das letzte Prinzip. Nicht jeder Anbieter braucht eine App oder ein Augmented-Reality-Feature, um Kunden ein besseres Erlebnis zu bieten. Manchmal ist es zielführender, hinter den Kulissen die Lieferkette umzubauen, um innovativ zu sein. Es geht um den Kundenmehrwert der Maßnahmen, nicht um Symbolpolitik und kurzfristige technologische Strohfeuer. Und natürlich müssen Optionen kontinuierlich geprüft werden. Nur, weil vor fünf Jahren die App nicht gut ankam, heißt das nicht, dass sie heute immer noch nutzlos wäre.

Klingt einleuchtend. Warum handeln Chefs nicht einfach danach?

Viele Entscheider spüren natürlich den Anpassungsdruck und wollen etwas ändern. Das Problem dabei: Zwar haben viele C-Level-Manager einen Instinkt dafür, dass was passieren muss. Aber es fehlt ihnen an der Zeit, das Hamsterrad anzuhalten und Dinge wirklich anders zu machen – oder Prozesse wenigstens schrittweise umzustellen. Von spielerischem Experimentieren mal ganz zu schweigen.

Häufig haben die Entscheider all diese Themen schon gehört, im Kampagnen-Alltag wird dann aber wieder agiert wie im Marketing der 1960er Jahre. Wenn die Inbox geflutet wird und die nächste Kampagne raus muss, dann wird Innovation entweder auf Workshop-Events vertagt, wo wir dann drei Tage alle agil sind, oder es werden zwei Leute auf Marsmission geschickt, die dort das Innovations-Wasser suchen sollen. Die kommen dann mit ihrem Bericht zurück und das war’s.

Meinen Job als Chief Experience Ambassador bei Adobe sehe ich darin, den Leuten bei der Interpretation zu helfen und zumindest ein „Warum“ und klare Handlungsempfehlungen auf dem Weg zu einer stärkeren Kundenorientierung zu liefern. Es kommt ja immer wieder was Neues. Dann muss man das offen angehen und interpretieren.

Als neuer Chief Experience Ambassador von Adobe nehmen Sie eine Art Evangelisten-Rolle wahr. Wie wollen Sie einen langjährigen Marketer davon überzeugen, dass Sie der passende Ratgeber sind und nicht nur Marketing-Software wie den Adobe Experience Manager promoten?

Ich will gar nicht über Tech-Features von Adobe-Software reden, sondern darüber, wie es für die Kundenorientierung überhaupt sinnvoll ist, in Marketing und Kreation datengetrieben zu arbeiten. Adobe ist ein agnostischer Technologie-Lieferant, dessen Lösungen quer durch alle Firmenbereiche eingesetzt werden. Es spricht überhaupt nichts dagegen, auch andere Tools zu verwenden. Für viele Tools stehen APIs und Integrationsmöglichkeiten zur Verfügung, sodass sich beispielsweise Adobes Künstliche Intelligenz Sensei trotzdem einbinden lässt. Die richtige Implementierung in die Firmenprozesse ist der Knackpunkt. Ich versuche in meiner Funktion, sowohl Betriebswirtschaftler als auch Kreativer zu sein. Meine Mission ist es, mit Storytelling die Brücken in den Unternehmen zu bauen, die das Umdenken und Handeln anregen.

Was hat Storytelling damit zu tun? Machen Sie Ihre Gesprächspartner zu Protagonisten einer Heldengeschichte?

Storytelling ist ein Instrument, um mit Empathie einen Erkenntnisgewinn zu vermitteln. Dabei muss es sich nicht um eine klassische Heldengeschichte handeln. Ich freue mich natürlich über jeden Kunden, der in seinem Unternehmen heldenhaft einen Drachen erlegt hat und erzähle gerne von ihrer Reise, aber da kommen wir wieder zur Empathie. Welche Erzählform ich wähle, kommt auf den Empfänger an. Selbst ein Tweet mit 140 Zeichen kann Großes bewegen.

Gehen auch 280 Zeichen?

Nein, ich bleibe da lieber oldschool. Ich versuche es zumindest. Change Resistance und so…

Julian A. Kramer, danke für das Gespräch.

Kundenorientierung Adobe Interview
Julian A. Kramer von Adobe im Interview mit Netzpiloten-Redakteur Berti Kolbow-Lehradt. Image by Florian Beck

Über Julian A. Kramer, Chief Experience Ambassador, Adobe Central Europe

Als Chief Experience Ambassador nimmt Julian A. Kramer seit Oktober 2017 eine Art Evangelisten-Rolle bei Software-Hersteller Adobe ein. Wie Unternehmen im Digitalzeitalter durch datengetriebenes Marketing ihre Kundenorientierung forcieren und Kunden mit Erlebnissen an sich binden, ist seine Botschaft. Als MBA-Absolvent sowie durch seine Erfahrung als Regisseur und Hochschuldozent für Kreativtechniken kann er Quartalsberichte ebenso gut interpretieren wie packende Geschichten erzählen. Mit diesem Fähigkeitsmix hat Julian A. Kramer vor seinem Wechsel zu Adobe in der hauseigenen Kreativberatung THE ZOO von Google in der DACH-Region Kunden beraten. Außerdem hat er das Customer-Centric Marketing Executive Education Programme in der EMEA-Region verantwortet. Dabei gab er Top-Managern großer Werbekunden Know-how und Denkanregungen für ihren Weg durch die Digitale Transformation an die Hand.

Dieses Interview entstand in Zusammenarbeit mit Adobe.


Images by Florian Beck


ist Freier Technikjournalist. Für die Netzpiloten befasst er sich mit vielen Aspekten rund ums Digitale. Dazu gehören das Smart Home, die Fotografie, Smartphones, die Apple-Welt sowie weitere Bereiche der Consumer Electronics und IT. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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1 comment

  1. Hallo Berti, lieber Julian,
    vielen Dank für dieses spannende Interview mit vielen wertvollen Impulsen. Dieses „einfach mal Mensch sein“ und dadurch auch Empathie entwickeln ist genau das, was vielen Unternehmen fehlt, gerade wenn es um doch sehr technische Produkte geht. Was ist, lieber Julian, die größte Herausforderung, die Ihr bei Adobe mit der Kundenorientierung erlebt?
    Bin sehr gespannt und freue mich auf einen tollen Austausch.
    Grüße
    André Wehr

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