Internet-Aktivisten brauchen – wie jede Gruppe – ihre Helden und Gallionsfiguren. Wenn es aber mehr um diese Personen als um Inhalte geht, läuft etwas falsch. Mutige Aktivisten wie Julian Assange, Whistleblower wie Chelsea Manning und Edward Snowden, oder auch weniger heldenhafte, aber dafür schillernde Persönlichkeiten wie Kim Dotcom oder John McAfee – das Internet hat, wie jede Szene, seine Celebrities und Promis. Gerade politisch Engagierte sehen gerne zu ihren großen Vorbildern auf. Das birgt aber auch Gefahren. Wie jede Partei oder NGO müssen sich die Online-Bürgerrechtler vor einem allzu großen Personenkult, der die Inhalte in den Hintergrund treten lässt, hüten.
Julian Assange und die Wirrungen des Promi-Lebens
In den letzten Wochen waren die Kontroversen rund um Julian Assanges Asyl in der ecuadorianischen Botschaft wieder verstärkt in den Medien. Vor allem die Frage, ob sich Schweden und Ecuador einigen werden und es doch demnächst zu einer Befragung Assanges durch die schwedische Staatsanwaltschaft kommt, bewegte die Gemüter. Schon seit Assange in Schweden unter anderem sexuelle Belästigung und Nötigung vorgeworfen wird (einige der Vorwürfe sind mittlerweile verjährt) sorgte das Thema für großes mediales Interesse. Derweil erhält Assange, nicht zum ersten Mal, prominente Unterstützung, dieses Mal in Person des geachteten Regisseurs und Komikers Terry Gilliam.
Nun ist Assange, der unbestreitbar viel für die Freiheit im Netz und außerhalb des Netzes getan hat, natürlich bei seinem politischen Kampf jede Unterstützung zu wünschen. Problematisch wird es allerdings, wenn die Diskussionen über Assanges Situation die politische Agenda und die Veröffentlichungen von WikiLeaks – die nach wie vor eine große Bedeutung haben – aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängen. Ebenso kritisch ist zu sehen, wenn persönliches und politisches allzu sehr in einen Topf geworfen werden. Beidem hat Assange leider Vorschub geleistet – allzu gerne ist er bereit, in der Öffentlichkeit und im Mittelpunkt zu stehen, sich mitunter gar als Märtyrer zu stilisieren, und ebenso gerne tut er alle gegen ihn gerichtete Kritik, sei sie an seinen Manieren, seinem Umgang mit Frauen, seiner Politik beim Redigieren von Dokumenten oder seinem Führungsstil, als politisch motiviert ab. All das macht angreifbar für politische Gegner, die ebenfalls nur noch auf das Private zielen müssen – und bringt auch Unterstützer schnell dazu, sich zu verzetteln im Allzu-Menschlichen. Nicht umsonst kam es im Umfeld von WikiLeaks bereits mehrfach zu spektakulären Streitigkeiten und Zerwürfnissen (die ironischer Weise ihrerseits wieder für wenig sachbezogene öffentliche Diskussionen sorgten). Natürlich spielten dabei politische und inhaltliche Differenzen ebenso eine Rolle wie der enorme Druck, der auf Aktivisten, die sich so offen mit den Mächtigen anlegen, lastet. Aber es lässt sich wohl festhalten, dass Assanges Ego – und auch die Tendenz vieler anderer Beteiligter, statt der gemeinsamen Sache nur die Person Julian Assange zu sehen – die Problematik verschärft haben.
Schlechter Journalismus verschärft das Problem
Ebenso problematisch ist es natürlich, wenn, statt die massenhafte Überwachung der Geheimdienste zu thematisieren, auf einmal die Frage im Raum steht, ob Edward Snowden ein Alien-Spinner in Akte-X-Manier ist oder ob er Verschlüsselung ablehnt, weil die Außerirdischen dann unsere Signale nicht entziffern können. Hier allerdings ist eher schlampiger Journalismus die Ursache – Snowden selbst äußerte sich in dem fraglichen Interview gewohnt sachlich und zeigte keinerlei Anzeichen dafür, in Agent Mulders Fußstapfen treten zu wollen.
Überhaupt ist es häufig die Presse, die eine Fokussierung auf Personen statt auf Sachinhalte fördert. Mitunter ist es für Journalistinnen und Journalisten einfach leichter – oder quotenträchtiger – sich auf die persönlichen Meinungen oder Eskapaden einiger bekannter Figuren zu stürzen, statt komplexe politisch-technische Sachverhalte zu behandeln. Und leider geben einige Kolleginnen und Kollegen dieser Versuchung nur allzu gerne nach.
Aktivisten bleibt hier nur, gegenzusteuern, gute Berichterstattung zu fördern, schlechte zu kritisieren und, beispielsweise über Social Media und Blogs, selbst zur Gestaltung der Medienlandschaft beizutragen.
Eine Frage der Balance
Keineswegs wünschenswert wäre natürlich, aus lauter Angst vor einer allzu personalisierten Diskussion den Vorreitern der Online-Bürgerrechtsbewegung ihren verdienten Platz zu verweigern. Im Gegenteil – gerade Whistleblower verdienen weitaus mehr Respekt und Anerkennung, als sie im Normalfall bekommen. Zudem tragen insbesondere Manning und Snowden mit klugen und kritischen Beiträgen wertvolles zur öffentlichen Debatte bei – diese Möglichkeit sollten sie natürlich haben. Auch für die Bewegung können Identifikationsfiguren wertvoll sein. Prominente Gallionsfiguren bieten Anlass zu Bewunderung und Solidarität und können Gleichgesinnte hinter sich vereinen und ihren Zusammenhalt stärken.
Schwierig wird es erst, wenn die Inhalte hinter den Persönlichkeiten zurück treten. Leider ist das ein genereller Trend unserer Zeit, der auch vielen Parteien, NGOs und anderen Gruppierungen zu schaffen macht. Hier ist es an uns allen, entgegen zu wirken – Journalisten durch sorgfältige und faktenbezogene Berichterstattung, Aktivisten durch einen kühlen Kopf und die „Prominenten“ unserer Szene durch Verantwortungsbewusstsein und Bescheidenheit. Oftmals nämlich haben die „Nerds“, die Netzbewohner, die besseren Argumente auf ihrer Seite – sie sollten dafür sorgen, dass diese auch gehört werden, statt in endlosen Personaldebatten unterzugehen.
Image (adapted) “StopWatchingUs19.UnionStation.WDC.26October2013” by Elvert Barnes (CC BY-SA 2.0)
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Schlagwörter: Aktivismus, Datenschutz, Edward Snowden, julian assange, Netzpolitik, sicherheit