„E-Commerce“ ist in Deutschland in aller Munde. Kaum jemand hat noch nicht im Netz bestellt. Neben dem Onlineriesen Amazon versucht sich seit einiger Zeit auch Otto im Onlinegeschäft und wagt damit den nächsten Schritt. Ein Vergleich. // von Lars Sobiraj
Die Abkürzung E-Commerce wird seit einiger Zeit von manchen Branchenkennern sarkastisch mit „Evil Commerce“ übersetzt. Ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf nicht. Der deutsche Online-Handel wirkt bei den vielen Fallstricken eher wie eine Schlangengrube, als ein Marktplatz. Dazu kommt die Dominanz des Branchenriesen Amazon, die auch für OTTO nur schwerlich zu brechen ist.
Schuld an diesem Dilemma tragen auch die Deutschen selbst. Zwar fällt die Regelung, dass der Shopanbieter erst ab einem Warenwert von 40 Euro die Transportkosten übernimmt, weg. Doch von der Anpassung des Wettbewerbsrechts an die EU-Richtlinien ab Juni 2014 wird kaum ein Anbieter Gebrauch machen. Man mag es kaum glauben, aber wir Deutschen sind Weltmeister bei den Retouren. Letztes Jahr beklagte fast ein Viertel der deutschen Online-Händler eine Retourenquote von 25 Prozent und mehr. Daneben sehen die zurückgeschickten Waren oftmals nicht mehr so aus, wie man sie auf den Weg gebracht hatte. Neben den Transport- und Bearbeitungskosten schmälert die deutsche Lust an der Retoure die Gewinne der Anbieter erheblich. Das bekam auch Mitbewerber zalando sehr deutlich zu spüren. Zwar steigerte man 2013 den Nettoumsatz um 600 Millionen Euro. Doch von einem Gewinn war in den letzten Jahren keine Spur. Zu viel hatte der Internethändler in die Werbung gesteckt. Auch der geplante Börsengang dürfte daran nichts ändern.
E-Commerce: hohe Umsätze bei null Gewinn?
Amazon schaffte im vergangenen Geschäftsjahr hierzulande mit einem Umsatz von rund 7 Milliarden Euro ein Plus von 20 Prozent. Doch angesichts der getätigten Investitionen war kein Gewinn zu erwirtschaften. Wer die Kunden an sich binden will, kann dies nicht nur mit guten Konditionen tun. Die Online-Shops müssen ständig weiterentwickelt werden, um konkurrenzfähig zu bleiben. Nichts ist schlimmer, als ein Abbruch des Kunden mitten beim Bestellvorgang. Wenn das Shopsystem nicht einfach zu bedienen ist, wechseln die Konsumenten halt dort hin, wo sie sich sofort zurechtfinden. Doch die ständige Weiterentwicklung hat auch ihren Preis. Auch im neuen Geschäftsjahr plant Otto, wieder einen zweistelligen Millionen-Betrag in die Entwicklung zu stecken. Nach eigenem Bekunden will man sich sogar auf digitale Bestellplattformen, wie Datenbrillen und Smartwatches vorbereiten. Ob die Ausflüge in das Forschungsgebiet Wearable Computing von Erfolg gekrönt sein werden, erfahren wir frühestens in ein paar Jahren, wenn überhaupt. Man sei bereit, bei der aktiven Gestaltung des Onlinehandels auch Fehlinvestition zu tätigen, gab Marc Opelt, OTTO-Bereichsvorstand Vertrieb, bekannt. Nach eigenen Angaben wird 30 Prozent des Traffics bei otto.de mit Tablet-PCs und Smartphones generiert. Lediglich die Darstellung der Website automatisch an die Auflösung der Geräte anzupassen, reicht aber auf Dauer nicht aus.
Responsive Webdesign & Sustainable Marketing zu wenig
Wenn man künftig mehr als nur ein Drittel des Umsatzes von Amazon erreichen will, muss man griffige Werbebotschaften unter´s Volk bringen. In den Köpfen vieler Kunden ist OTTO ein reiner Modehandel per Katalog geblieben. Wie die Titelstory von Forbes-USA erzählt, hat die Unternehmerfamilie damit ihren Erfolg begründet. Im Nachkriegs-Deutschland ging praktisch kein Weg an OTTO vorbei. Doch auch der siebzigjährige Dr. Michael Otto weiß, dass die Gegenwart und Zukunft des Handels online stattfindet. OTTOs Chance: Amazon bietet eine wenig greifbare Warenmischung an. Bei amazon.de werden direkt neben Dildos und anderen Erotikprodukten, Aufkleber, Autozubehör und Aquariumpflanzen angeboten. Die Marke OTTO sollte neben Bekleidung für etwas stehen, womit sich die Kunden identifizieren können. In den Köpfen der Verbraucher muss folglich hängen bleiben, dass es bei OTTO weit mehr Produktkategorien als nur Bekleidung gibt.
In den Medien ist der US-Konkurrent Amazon wegen ihrer unterschiedlichen Kindle-Produkte sichtbar. Niemand könnte die Frage beantworten, was Amazon ansonsten ausmacht, als die E-Book-Reader, die zwischenzeitlich zu ausgewachsenen Tablet-PCs wurden. Davon abgesehen stand der Internet-Riese häufiger wegen der schlechten Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter am Pranger. Da jeder einzelne Handgriff auf Effizienz ausgelegt ist, werden die Arbeitsprozesse der Mitarbeiter extrem engmaschig überprüft. In der Folge berichten Angestellte und Leiharbeiter immer wieder von einem hohen Streßpotential, dem sie ausgeliefert sind. Ein anonymer Mitarbeiter sagte auf der Frankfurter Rundschau, Amazon reagiere zwar Vorwürfe. Allerdings nur, sofern im Vorfeld ein medialer Druck aufgebaut wurde, der dem Konzern keine andere Wahl lässt.
Da verwundert es wenig, dass der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Otto Group dem Forbes-Redakteur am liebsten seine Probleme mit der Korruption in Bangladesch erzählt. Örtliche Behörden hätten ihn vor die Wahl gestellt, entweder fünf Jahre auf Strom zu warten oder die Behördenleiter ordentlich zu bestechen. Doch der Milliardär Michael Otto bekam seine Auszeichnungen, wie den Deutschen Umweltpreis und den Sustainability Leadership Award sicher nicht zufällig. Forbes bezeichnet die Otto Group, der in 20 Nationen 123 Unternehmen angehören, anerkennend als „Human and civilized“. Viel Macht und Geld geht mit entsprechend viel Verantwortung einher. Bei Amazon fühlt man sich eher an ein Raubtier erinnert, das alles frisst, was es an der Erreichung der eigenen Ziele hindern könnte. In den heutigen Geiz ist geil-Zeiten bleibt freilich abzuwarten, ob die Kunden soziales Engagement honorieren.
E-Commerce ist auch zerstörerisch
Last, but not least muss erwähnt werden, dass „Evil-Commerce“ auch dafür sorgt, dass immer mehr stationäre Händler aufgeben müssen. Gegen die Konditionen der großen Online-Anbieter kommen sie immer schlechter an. Da heutzutage jeder überall online ist, fressen die Großen die Kleinen auch aus der Distanz.
OTTOs virtuelle Anprobe, eine Facebook-App mit viel Potential, war schon bei der Einführung im Jahr 2011 sehr praktisch und richtungsweisend. Zwar mag es für uns Retourenkönige angenehm sein, die im Web bestellten Waren kostenlos zurückzuschicken. Doch ist das wirklich das Ende der Fahnenstange? Der Markt wird sicher nicht von solchen Entscheidern beherrscht, die stets am Altbewährten festhalten und alles Neue ablehnen. Dennoch ist es schwerlich vorstellbar, die kompetente Fachberatung eines Menschen durch einen Webshop, ein soziales Netzwerk, eine Webcam und einen Computer zu ersetzen.
Teaser & Image by Amazon
Artikelbild ist ein Screenshot der virtuellen Anprobe (Facebook App)
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Schlagwörter: amazon, E-Commerce, Evil Commerce, Onlinehandel, otto