Wie heißt es doch so schön? Berlin ist immer eine Reise wert. Dieses Mal ist mein Besuch in der Hauptstadt voller Glamour, Sternchen und roten Teppichen. Ich bin auf dem Weg zur diesjährigen Berlinale, in meinem Rucksack stecken vier Tickets!
Für einen Menschen, der so filmverrückt ist wie ich, dreht sich dieses Wochenende alles um dieses Kino-Paradies. Mit 11 Tage und 400 Filmen ist es eines der bedeutendsten Filmfestivals neben Cannes und Venedig. Herzstück der Berlinale ist der heiß umkämpfte Goldene Bär, mit dem der beste Film des Jahres ausgezeichnet wird.
Von den 18 Filmen, die am Wettbewerb teilnehmen, werde ich leider keinen gucken. Tickets für die Berlinale zu kriegen ist ungefähr so schwierig, wie welche für ein Ariana Grande-Konzert zu ergattern. Nach einer Minute sind die meisten ausverkauft, besonders die von der Kritik erwarteten Highlights. Ich hatte Glück und ein wenig Hilfe und fürs erste Mal Berlinale finde ich vier Tickets mehr als ausreichend.
In der Stadt angekommen, ist sofort bemerkbar, dass hier etwas Besonderes im Gange ist. Überall hängen Banner, Plakate und Werbungen für die Berlinale, der kleine Bär mit B-förmiger Brille ist nicht zu übersehen.
Kplus Kurzfilme
Am Samstagmorgen stehen wir vorm Haus der Kulturen der Welt (HKW). Obwohl alle schon vorher Tickets gekauft haben, ist die Schlange erstaunlich lang, denn wir müssen alle unsere Impfnachweise zeigen. Glücklicherweise beginnt die Moderatorin aber erst mit ihrer Ansprache, als alle auf ihren Plätzen. Was dann folgt, sind zwei Stunden, in denen liebevoll animierte Kinderkurzfilme mit Mut machender Botschaft gezeigt werden. Nach jedem Film wird das Licht angeschaltet, die Regisseure des Films kommen auf die Bühne und beantworten Fragen. Dadurch fühle ich mich den Handlungen noch näher, kleine Anekdoten und Entstehungsgeschichten werden erzählt.
Mein Favorit ist “Die Königin der Füchse”. Im Mittelpunkt des Schweizer Films steht ein Rudel Füchse, das seiner traurigen Königin weggeworfene Liebesbriefe bringt, um sie aufzuheitern. Denn er zeigt, dass es manchmal nur ein bisschen Mut braucht, um zum eigenen Glück zu finden.
Mein kleines Land (マイスモールランド)
Begeistert von meiner ersten Berlinale Erfahrung und mit einem Fragebogen in der Hand mache ich einen Spaziergang an der Spree. Den Fragebogen zu den Kinderfilmen fülle ich aus und diskutiere mit meiner Begleitung, welcher gerade gesehene Film der schönste war. Keine leichte Entscheidung.
Der nächste Film wird wieder im HKW vorgeführt. Wieder haben wir nichts aus der Schlange gelernt, stellen uns erst spät an und wieder verpassen wir nichts. Dieser Film ist auf Japanisch. Das macht zum Glück nichts, es gibt Untertitel. Ich werde voll und ganz eingesogen in die japanische Kultur und die täglichen Begegnungen, die man dort hat. Es geht um eine junge Kurdin, die, seitdem sie klein ist, in Japan lebt. Dennoch lässt ihre Umwelt sie nie vergessen, dass sie nicht von dort kommt. Während sie gerne für immer dortbleiben möchte, haben Teile ihrer Familie andere Pläne. Ihr Versuch, beide Welten zu vereinen, gestaltet sich als zusehends schwieriger. Der Film berührt mich in meinem Innersten.
Das liegt zum einen an der großartigen Geschichte, die der Film erzählt. Zum anderen aber sicher auch daran, dass ich selbst ein Jahr in Japan gelebt habe. Einige der Erfahrungen der Protagonistin kann ich teilen, wenngleich mein Leben dort in der Schutzblase einer Austauschorganisation und einer Gastfamilie ablief. Ich schwelge in Erinnerungen, bin nostalgisch, denn ich hatte auch Probleme mit der Sprache, wie einige der Charaktere. Wie unsere Protagonistin war auch ich in einer High-School mit Schuluniform. Ich war auch eine Fremde in dem Land, genau wie sie. Und ja, ich kann bestätigen, dass deutsch sein in Japan extrem gut ankommt, da hat sie recht.
Lerchen am Faden (Skřivánci na niti)
Diesen Nostalgietrip muss ich leider vorzeitig verlassen, um pünktlich zum nächsten Film zu erscheinen. Einmal quer durch die Stadt finde ich mich vor einem Multiplex Mitte wieder. Aber trotz des rasanten Ortswechsels, verweile ich gedanklich noch in Tokio.
Vielleicht liegt es daran, dass ich noch etwas benommen in die Gegenwart zurückfinden muss, aber der nächste Film reißt mich nicht so mit wie die anderen. Der Film wurde 1969 nach dem Prager Frühling verboten, 1990 auf der Berlinale uraufgeführt und 2021 restauriert. Er kommt aus der Tschechischen Republik und heißt “Lerchen am Faden” (Skřivánci na niti). Der Film zeigt das Leben einiger Menschen, die die Gunst der Republik verloren haben. Im Fokus des Films stehen zwei Paare. Das eine will unbedingt zusammen sein, ist aber von einem Zaun getrennt. Das andere sieht sich nur abends und nur widerwillig. Es geht darum, Menschen zu kontrollieren und kontrolliert zu werden. Aber auch darum, dass Liebe selbst unter schwierigen Umständen aufblühen kann. Der Film ist zwar Fiktion, zeigt aber die historischen Lebensumstände in einer Zeit der kommunistischen Unterdrückung in Tschechien. Das Schicksal der weiblichen Gefangenen teilte sogar eine der Schauspielerinnen. Sie versuchte, aus der Republik zu fliehen, und wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, genau wie die weiblichen Charaktere des Films.
Auch wenn ich alte Filme mag, erschien mir dieser etwas langatmig. Es beginnt schon mit den Eröffnungsreden – die drei Redner sagen alle in etwa dasselbe.
Dennoch ist es ein schöner Film. Gerade die Bilder auf einem Schrottplatz, wo der Film die meiste Zeit spielt, sind großartig. Darüber hinaus ist das Skript durchzogen mit Monologen eines ehemaligen Philosophieprofessors, der über den Verlauf der Dinge sinniert. Das gibt dem ganzen Film zusätzlich eine nachdenkliche Note.
Schwarzer Sand – Black Sands (Svörtu sandar)
Wir gehen zum nächsten Kino, denn das Kino International ist ganz in der Nähe. Mittlerweile ist es nach zehn und stockdunkel. Wir sind aber nicht die einzigen, die noch bis spät in die Nacht vor den Leinwänden der Kinos kleben. Auf dem Weg dahin tauschen wir unsere Meinung zum eben Gesehenen aus.
Eine Serie auf einem Filmfest?
Der letzte Programmpunkt des Abends ist eine Serie. Das macht mich zuerst stutzig. Eine Serie auf einem Filmfest? Wie passt das zusammen? Als Teil der Sektion Berlinale Series wird hier eine isländische Krimiserie gezeigt. Seit 2015 ist die Berlinale das erste große, internationale Filmfestival, das auch Serien zeigt. Ich verstehe, dass man innovativ sein und das Programm an die Guck-Gewohnheiten des Zuschauers anpassen will. Mir persönlich gefällt das nicht so sehr. In meinen Augen ist das Zeigen der ersten zwei Folgen einer Serie wie das Auswerfen einer Angel. Wer wissen will, wer der Mörder ist, muss den Rest der Serie kaufen oder im Abo anschauen. Bei Filmen ist das ganz anders, um die ganze Handlung zu kennen, muss man nichts dazuzahlen. Und wie Meret Becker es so schön in ihrer Eröffnungsrede formulierte: “Scheiß’ doch mal aufs Geld, Alter”.
Hinzu kommt, dass zumindest die Musik der Serie nicht auf die großen Kinolautsprecher ausgelegt ist. Das liegt vermutlich daran, dass sie laut, unheilvoll und gruselig sein soll. Auf einem Laptop ist der Sound sicher passend, aber im Kino habe ich manchmal das Gefühl, mir die Ohren zuhalten zu müssen.
Davon abgesehen ist es aber dennoch eine gute Serie. Die ersten zwei Folgen sind spannend und die Bilder von Islands schwarzem Sandstrand eindrucksvoll. Die Morde sind zwar gewaltsam, aber nicht zu brutal. Was die Serie außergewöhnlich macht, ist, dass sie auch die weniger schönen Aspekte der Polizeiarbeit zeigt. Wer schon immer mal wissen wollte, wie die Körpertemperatur einer Leiche gemessen wird, ist hier richtig. Nach der Vorstellung kommen auch hier der Regisseur, drei Schauspieler*innen und der Produzent auf die Bühne. Die fünf beantworten mit viel Humor die Fragen des Publikums und der Moderation. Außerdem versichern sie, auch wenn beide Mordopfer Touristinnen gewesen seien, habe man auf Island nicht grundsätzlich etwas gegen Touristen.
Der Tag danach
Den nächsten Tag verbringe ich wie mit einem Kater. So oft hintereinander war ich an einem Tag noch nie im Kino gewesen. Dieses wunderbare Erlebnis zu verarbeiten, dauert noch eine Weile, aber ich bin unglaublich dankbar, dass ich dieses Jahr der Berlinale beiwohnen durfte. Als runden Abschluss besuchen wir noch das Filmmuseum in Potsdam und dann geht es zurück nach Hause. In fremde Kulturen einzutauchen gefiel mir schon immer und in dem Sinne war das Filmfest etwas ganz Besonderes für mich.
Letztlich den goldenen Bären gewonnen hat übrigens der Film “Alcarràs”.
Image by Alexander Janetzko via Berlinale Press photos.
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