Der Begriff „Big Data“ hat spätestens in diesem Jahr der Überwachung den Durchbruch geschafft – mit dem Sammelband des Suhrkamp Verlags bekommt nun jedermann den Data-Durchblick // von Julian Heck
Groß ist nicht nur die Datenmenge, die heute gesammelt und ausgewertet werden, sondern auch das Themengebiet „Big Data“ per se. Die Ausspähprogramme Prism und Tempora dürften es zuletzt gewesen sein, welche die Datensammelwut in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt haben. Aber welche positiven und negativen Folgen haben diese Unmengen an Daten, die tagtäglich gehortet werden? Experten aus Theorie und Praxis bringen ihre Erfahrungen und Meinungen im Suhrkamp-Werk kurz und präzise auf den Punkt und bieten damit einen guten Überblick über die Thematik, die gerade erst in den Startlöchern steht.
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Das Thema Big Data spielt im Alltag der Menschen eine größere Rolle (Smart City, Werbung, etc.).
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Unklar ist, wenn Daten gleich Wissen ist, ob dann aus Datenbesitz Macht entsteht.
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Der Sammelband des Suhrkamp Verlags hilft einem, einen Überlick zum Thema Big Data zu bekommen.
Man muss kein Kenner auf diesem Gebiet sein, um die siebzehn Beiträge verstehen zu können – im Gegenteil. Wer sich bisher noch nicht mit dem Prozedere und den Auswirkungen von Big Data beschäftigt hat, der wird beim Lesen der Texte nicht aus dem Staunen herauskommen. Welcher Normalo weiß denn schon, auf welcher Datenbasis Werbestrategien entwickelt werden? Damit eine auf Bürger zugeschnittene Werbung im Briefkasten landet, muss vorher fleißig Datenjäger gespielt werden. Auch Obamas Wahlkampfstrategen haben nicht ins Blaue geschossen, sondern detailliert analysiert, wer sich hinter einem Klingelschild verbirgt. Dass Talentscouts im Fußball nur noch auf der Tribüne sitzen und den ein oder anderen Spieler aufgrund guter Spielzüge herauspicken, das war einmal. Spieler werden genaustens gescannt, mit einer riesigen Datenbank im Gepäck.
Daten verstecken sich inzwischen überall und beherrschen das Geschehen weitaus mehr, als man vielleicht denken mag: in der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, im Sport, in der Kultur und, ach was, im kompletten Alltag. Die sieben Praxis-Beiträge zeigen auf, wo Big Data in unserem Leben eine Rolle spielt – allerdings nicht nur eine negative, sondern auch durchaus eine mit positiven Zügen. Zeitgleich werden aber auch Grenzen aufgezeigt, wie Michael Moorstedt anhand der digitalen Selbstvermessung (Quantified Self) beschreibt: „Die Technik ermöglicht zwar eine beinahe vollständige Dokumentation sämtlicher Signale, die Körper und Geist so von sich geben, löst aber noch lange nicht das Problem ihrer Interpretation.“ (S. 75).
Im zweiten Teil des Sammelbandes kommen zehn Experten in Essays zu Wort, die sich grundsätzlicher mit der Frage von Daten und dem Umgang mit ihnen auseinandersetzen. Chris Anderson etwa sieht in der Datenlage ein großes Potential, um Phänomene zu erklären: „Wir müssen nicht weiter nach Modellen suchen. (…) Wir füllen die Zahlen einfach in die größten Serverfarmen, die die Welt je gesehen hat, und warten darauf, dass die Algorithmen dort Muster aufspüren, wo die Wissenschaft nicht weiterkommt“ (S. 128). Einen Schritt zurück geht beispielsweise Dirk Baecker, der sich mit Begriffsdefinitionen herumschlägt und eine Basis für einen weiteren (wissenschaftlichen) Diskurs über Big Data schaffen möchte.
Aktueller denn je ist der Beitrag von Thilo Weichert über die Herausforderungen des Datenschutzes und der Bedeutung von Daten. Er geht sogar so weit, dass er den Besitzern von Datenmassen eine immense Macht zuspricht: „Denkbar ist so nicht nur die Kontrolle einzelner Individuen, sondern auch die umfassende Überwachung von Menschengruppen oder gar ganzer Gesellschaften. Und die Kontrolle durch diejenigen ausgeübt, die die Hoheit über die Daten haben.“ Man mag sich bei diesen Aussagen fragen, ob diese Form der Machtausübung nicht zu stoppen ist. „Die Betroffenen wiederum haben allenfalls als Datenlieferanten Einfluss – und bisweilen nicht einmal auf diesem Wege, etwa wenn die Erfassung heimlich oder unbewusst erfolgt“, so Weichert wenig ermutigend (S. 124f.). Bedeutet der Datenbesitz also Macht? Sind Daten das Wissen des 21. Jahrhunderts? Fragen, die andiskutiert, aber natürlich nicht endgültig beantwortet werden.
Trotzdem: Big Data ist ein aufgrund der technischen Möglichkeiten neues und sich schnell entwickelndes Phänomen, das wir verstehen sollten, um damit umgehen zu können. Denn wie in diesem Sammelband trotz der darüber schwebenden „Vorsicht: Überwachung“ – Wolke deutlich wird: Daten nehmen eine zunehmend zentrale Rolle in dieser Gesellschaft ein. Die bunte Mischung aus Praxisberichten, subjektiven Äußerungen und wissenschaftlichen Beiträgen machen das Suhrkamp-Werk zu einem Lesetipp für alle, die die Welt im digitalen Zeitalter nachvollziehen wollen. Dank kleiner Häppchen ein gut verdauliches Immer-wieder-zur-Hand-Buch.
Heinrich Geiselberger (Hg.) / Tobias Moorstedt (Hg.) (2013): Big Data – Das neue Versprechen der Allwissenheit. Berlin: Suhrkamp Verlag. [14,00 Euro] – auch als E-Book erhältlich.
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Schlagwörter: Big Data, buch, Gesellschaft, Heinrich Geiselberger, Netzpolitik, Suhrkamp, Tobias Moorstedt
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